Eine alte Straße in Schwalbach am Taunus
SIGI FAY

Wer sich ältere Ortspläne von Schwalbach am Taunus genauer ansieht, beispielsweise den weithin bekannten aus dem Jahr 1670, der wird schnell erkennen, wie sehr die sich im Ortsmittelpunkt kreuzenden Straßenzüge das Ortsbild beherrschen. Wer sich dann dazu noch die übliche Kartenlegende durchliest, dem wird zudem auffallen, daß dort schon in dessen Entstehungszeit (1670) gleich drei Gasthäuser genannt werden: der „Hirsch", der ,,Schwan" und das ,,Ross". Ungewöhnlich viele, wird man meinen. Jedenfalls für das damals so winzige Dorf. Im Entstehungsjahr des oben erwähnten Ortsplanes hatte Schwalbach am Taunus nur ca. 174 Einwohner. Es kommen dann berechtigte Zweifel, ob auf dieser schmalen „Marktbasis" von nur 174 Einwohnern gleich drei Gasthäuser florieren konnten. Daß sie aber sogar über Jahrhunderte floriert haben, steht wohl schon deshalb außer Zweifel, weil immerhin auch noch heute zumindest der „Hirsch" und der „Schwan" an denselben Stellen existieren.
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Situationsplan von Schwalbach 1670.

Wenn wir voraussetzen, daß fast durchweg alle Gewerbe im Dorf über Jahrhunderte bis in die jüngste Zeit nur mit einer oder mehreren zusätzlichen Einnahmequellen überleben konnten, so muß es gerade hinsichtlich der Existenzfähigkeit der dörflichen Gasthäuser noch eine weitere Einnahmequelle gegeben haben als nur die Besucher aus der Schwalbacher Dorfbevölkerung. Denn gerade bei den Schwalbacher Gasthäusern ist belegbar, daß der jeweils dazugehörende Ackerbesitz nicht gerade groß war. Anzunehmen ist außerdem, daß die Ackererträge weitgehend auch als Naturalien im Gaststättenbetrieb verbraucht wurden.

Also worin bestand diese „verbreitete Marktbasis", durch die der Wirt die Existenzfähigkeit seines Hauses sichern konnte?

Fremdenverkehr?

Was liegt in der Gastronomie da näher als der „Tourismus"? Tourismus aber im winzigen Dorf Schwalbach und dann noch über Jahrhunderte? Eine merkwürdige Vorstellung! - Und doch: Wenn hier auch der moderne Begriff Tourismus in seinem heutigen Sinn etwas schief angewendet sein mag, es war der Fremdenverkehr, der Verkehr Dorffremder in Schwalbach, der den Wirten das gute Geschäft verschaffte.

Dabei fallen uns wieder die eingangs erwähnten Straßen ein: die Eschborner-, die Haupt-, die Taunus- und die Schulstraße. Über sie kamen die Fremden ins Dorf, rasteten und übernachteten hier. Sie sind seit Jahrhunderten durch das Dorf führende Überlandstraßen, die bis in das vorige Jahrhundert kaum an verkehrstechnischer Bedeutung verloren. Der Straßenzug Eschborner-, Haupt- und Taunusstraße ist nichts anderes als die durch das Dorf führende uralte Überlandstraße, die von Nürnberg über Würzburg und Seligenstadt kommend und die Messestadt Frankfurt am Main berührend als Reise- und Kaufmannsstraße über Königstein, Limburg und Köln bis nach Antwerpen verlief. Über die heutige Schulstraße erreichte außerdem die schon im Mittelalter bekannte und Wein- oder auch Wagenstraße genannte Überlandstraße Schwalbach und führte weiter bis nach Thüringen und Erfurt. Sie verband insbesondere das Zentrum des Kurfürstentums Mainz am Rhein mit dessen Landesteilen im östlichen und nordöstlichen Deutschland.

Die Trassenführung beider hochbedeutender mittelalterlicher Straßen ist noch heute, soweit ihr nicht ohnehin auch heute noch moderne Straßen folgen, an vielen Stellen auf Luftaufnahmen, in uralten Straßen- und auch in Flurnamen erkennbar, die vielfach bis heute im Alltagsgebrauch benutzt werden. Die aus Mainz kommende und durch Sulzbach führende Wagenstraße beispielsweise wird schon in mittelalterlichen Urkunden und Akten als „Mainzer Straße" bezeichnet und heißt auch heute noch so. In der Schwalbacher Gemarkung gibt es noch den Flurnamen „Am Königsteiner Pfad", der nichts anderes meint als die genannte Messestraße von Nürnberg über Frankfurt und Königstein nach Köln und Antwerpen. Unmittelbar daneben finden wir die „Mannshohl". Reste davon gab es bis zuletzt im Bereich des heutigen Schwalbacher Bebauungsplanes Nr. 67, also zwischen dem alten und dem neuen Teil der Stadt, der derzeit bebaut wird. Und zwar in Form einer zwar flachen, aber deutlich erkennbaren Mulde. Die „Mannshohl" und die nahe dazu parallel verlaufende Trasse der älteren Straßenführung des „Königsteiner Pfades" sind noch deutlich in der topographischen Karte des Jahres 1928 zu erkennen. In ihr wird auch der Verlauf der Straße in Richtung Mammolshain und Königstein in Form von Hohlwegen dargestellt (siehe Abbildung). Die beiden „Hohlen" wurden erst beim Bau der Schwalbacher Limesstadt ab 1962 mit Erdaushub aufgefüllt. Diese Hohlwege waren in der Tat ebenfalls nichts anderes als die Trassen der uralten Straßenverbindung in Richtung Königstein über Limburg nach Köln.
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Hohlwege bei Schwalbach als Reste der alten Straße von Frankfurt nach Köln. Topograph. Karte 1928.

Schutz und Geleit

In enger Beziehung zu den Straßen und Gasthäusern in Schwalbach am Taunus als geschichtliche Dorfbildungs- und Entwicklungsfaktoren stehen wohl auch die Schwalbacher Burg und ihre ursprünglichen Besitzer, die Ritter und „Vögte" von Schwalbach. Das Rittergeschlecht, das sich nach den Forschungen Dr. Simons „Vogt von Schwalbach" nennt, begegnet uns in den Urkunden und Akten des Mittelalters durchweg als Lehnsleute und Vasallen der Herren bzw. Grafen von Königstein im Taunus. Sie sind von diesen belehnt mit Burg, Dorf und Gericht Schwalbach und dem Dorf Mammolshain. Das bedeutet, daß innerhalb ihres Lehensgebietes die genannten Straßen bis unmittelbar an die Grenzen des Königsteiner Kerngebietes, der Burg und Stadt Königstein im Taunus, verlaufen.

Über diese Straßen stand der Herrschaft Königstein das vom Reich lehnbare königliche Geleitrecht zu.

In diesem Zusammenhang läßt uns dann der Name der Schwalbacher Ritterfamilie aufmerken: „Vogt von Schwalbach". Das verwundert insbesondere deshalb, weil im hohen und späten Mittelalter „Vögte" überwiegend Vögte geistlicher Grundherrschaften waren und mit deren Schutz beauftragt wurden. (Die geistlichen, insbesondere die klösterlichen Grundherrschaften durften und wollten sich zunächst aus ihrem geistlichen Selbstverständnis heraus nicht mit militärischen Dingen befassen.) Beispielsweise waren die Herren bzw. Grafen von Eppstein-Königstein selbst Vögte der Grundherrschaft des Klosters Limburg an der Haardt rund um Sulzbach, Soden und Neuenhain. Es bleibt also die Frage, was die Ritter, die sich „Vogt von Schwalbach" nennen, zu „bevogten", also zu beschützen hatten. Eine geistliche Grundherrschaft hatte sich jedenfalls niemals in Schwalbach etablieren können.

Da sie als Königsteinische Lehnsleute auftreten, liegt der Schluß nahe, daß sie als königsteinische Vasallen von dort mit dem Schutz, also der Bevogtung der alten Geleitstraßen von der Frankfurter Stadtgrenze bis zur Königsteiner Grenze beauftragt waren. Das wird nicht zulezt auch dadurch deutlich, daß die Schwalbacher und Mammolshainer Bauern und Einwohner, also die Leibshörigen der Schwalbacher Ritter, fron- und abgabepflichtig waren für den Bau und die Unterhaltung dieser Straßen und daß die Vögte von Schwalbach diese Fronen und Abgaben von den Schwalbachern und Mammolshainern auch in der Tat forderten, wie uns die Quellen zeigen.

Damit werden also die wesentlichen Faktoren deutlich, die in Schwalbach am Taunus maßgeblich waren für die Existenz und die Entwicklung des Dorfes vom Mittelalter bis in die Neuzeit: die Straßen, die Gasthäuser, die Burg und die Ritter. Zentraler Ausgangspunkt dafür war jedoch das königliche Geleitrecht an den wichtigsten Reichsstraßen, das die Herren von Königstein als Lehen hatten und das sie offensichtlich für den kleinen Bereich Schwalbach und Mammolshain, ergänzt durch zusätzliche Rechte, wie z. B. die Gerichtsbarkeit und Grundrechte, an ihre Vasallen, die Ritter und „Vögte von Schwalbach", unterverlehnt hatten. Als das königliche Geleitrecht mit der beginnenden Neuzeit seine Bedeutung verlor, als die Grafen von Thurn und Taxis im Jahr 1490 mit dem königlichen Postregal belehnt wurden und das Rittertum als gesellschaftliche Schicht ebenfalls bedeutungslos wurde, verschwanden auch die Vögte von Schwalbach von der Bildfläche der Geschichte.

Sie wurden von den Nachfolgern der Herren bzw. Grafen von Königstein, denen die Herrschaft Königstein später zufiel, aus ihrem Lehensbesitz und aus ihrer Burg regelrecht verdrängt. Alle diesbezüglichen Prozesse vor den Reichsgerichten führten zu keinem positiven Ergebnis im Sinne der Ritter.
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Burghaus der „ Vögte von Schwalbach", um 1960 abgebrochen.

Aus: Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch 1993 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors