Der Taufstein ist Zeuge „Ein schwedischer Bischof - nein, es war sogar der Reichsbischof - hat 1960 ein Grußwort an unsere Gemeinde gerichtet" erzählt Pfarrer Christoph Müller aus Massenheim schmunzelnd. „Grund war, denke ich, der Taufstein, der noch heute in der Kirche steht. Seine Inschrift besagt nämlich, dass 1631 ein schwedischer Hauptmann den Taufstein gestiftet hat." Heute weiß man, dass jener schwedische Hauptmann namens Christophorus Florus kein Schwede, sondern der Sohn des Massenheimer Pfarrers gewesen war. „1631, das war im 30-jährigen Krieg, da waren auch die Schweden hier in der Region", erläutert Müller. Der schwedische König hatte sich 1629 in den Konflikt zwischen katholischen und protestantischen Landesherren im Deutschen Reich eingeschaltet, weil er seine Interessen berührt sah. König Gustav II. Adolf von Schweden landete mit seinen Truppen in Pommern. Im Herbst 1631 erreichte er den Main. Mainz war aufgrund seiner politischen Bedeutung und geographischen Lage das Etappenziel, wo die Schweden auch ihr Winterlager errichteten. Schweden als Befreier Im November 1631 nimmt Gustav II. Adolf Höchst ein. Das Höchster Schloss wird Quartier des Herrschers und seines Hofstaates. Von den Landgrafen zu Hessen-Darmstadt mietet er die Festung Rüsselsheim, die „ein Glanzstück der Festungsbaukunst aus der Seit derer von Katzenelenbogen war", wie der Flörsheimer Bernd Blisch in einem Aufsatz über jene Zeit schreibt. Auf seinem Weg nach Mainz verbringt der schwedische König auch einige Tage beim Grafen Wolfgang Heinrich von Isenburg. Dieser war reformiert und schloss sich - obwohl er 1623 schwören musste, sich nicht gegen den katholischen Kaiser zu stellen - dem schwedischen König an. Zur Grafschaft Isenburg gehörte Okriftel, das daher reformiert evangelisch war. „Für Okriftel waren die Schweden eine Befreiung", so Heimatforscher Heinz Loos, „Okriftel war von alters her Mutterkirche für Eddersheim und Hattersheim". Eddersheim und Hattersheim gehörten zu Mainz und waren katholisch. Da hatte der Krifteler Pfarrer einen schweren Stand. „1622 fielen die kaiserlichen Truppen in Okriftel ein, das nur durch einen Graben geschützt war, und nahmen die Kirchenglocke und die Kirchenuhr mit. Das war ein schwerer Schlag für die reformierte Gemeinde", erzählt Loos. Nach dem Abzug der schwedischen Truppen 1635 kamen die kaiserlichen Truppen wieder und plünderten, was noch da war. Viele Okrifteler flohen über den Main nach Rüsselsheim. Dort wütete die Pest. Nachweislich starben zehn Okrifteler dort an der Seuche. Am Ende des 30-jährigen Krieges standen in Okriftel nur noch sechs von ehemals 28 Häusern. Die Kirche war ebenfalls zerstört. Hunger und Not Das katholische Flörsheim ergab sich erst nach achttägiger Belagerung den Schweden. Der Widerstand war möglich, da Flörsheim eine steinerne Ortsbefestigung besaß. Enteignung und Abgabenerhöhungen trafen die Flörsheimer genauso wie die anderen Gemeinden. „Hunger und Not gab es auch in Flörsheim, allerdings blieb die Gemeinde von der Pest in der Zeit der Schweden verschont", erzählt Blisch. 1635 brannte Wicker durch die Unachtsamkeit schwedischer Burschen fast völlig ab und auch Weilbach wurde in dieser Zeit des Abzugs der Schweden fast völlig zerstört. „Hochheim gehörte zu Kurmainz. Es war also im Gegensatz zu Delkenheim, Nordenstadt und Massenheim, die zu Nassau gehörten, katholisch", erläutert der Hochheimer Heimatforscher Franz Luschberger. Schon 1620 hatten Mainzer Domkapitulare die Hochheimer gebeten, ihre Bewaffnung zu erhöhen und ihre Ortsbefestigung zu verstärken. Daher arbeiteten die Schweden bei der Eroberung mit einer List, wie Luschberger berichtet: „Schwedische Reiter gaben sich als Spanische Späher aus, die den ganzen Tag unterwegs gewesen seien, um auszukundschaften, aus welcher Richtung der Schwede käme. Die Wachen durchschauten das Spiel und verweigerten den Einlass. Danach verfielen die Schweden auf Drohungen." Die Hochheimer übergaben daraufhin freiwillig ihre Stadt. Wie überall, nahmen die schwedischen Truppen auch hier alles mit, was ihnen nützlich erschien. Hinzu kam, dass viele Hochheimer zur Fronarbeit herangezogen wurden. Denn Gustav II. Adolf ließ an der Mainspitz, gegenüber der Stadt Mainz, eine sternförmige Befestigungsanlage errichten. Diese Anlage wurde erst 1633 fertig gestellt und erhielt in Erinnerung an den am 16. November 1632 in der Schlacht von Lützen gefallenen Schwedenkönig den Namen Gustavsburg. „Von der Festung steht nichts mehr" erzählt Luschberger, „nur der Namen Gustavsburg für den Stadtteil ist noch erhalten." Am 19. Dezember 1631 stand Gustav II. Adolf vor den Toren der Stadt Mainz. Nach der Beschießung und dem ersten Sturm kapitulierte Mainz am 23.Dezember 1631. Man schätzt, dass für die folgenden vier Jahre 10.000 bis 16.000 schwedische Soldaten in Mainz und der näheren Umgebung stationiert waren. Ursprünglich wohnten hier maximal 26.000 Menschen. Hat kaum Spuren in der Region Rhein-Main hinterlassen: König Gustav II. Adolf von Schweden - hier in der Bildmitte, 1631 bei einem Empfang für die Frankfurter Ratsherren. Nach dem Abzug der schwedischen Truppen 1635 fiel das Rhein-Main-Gebiet wieder in die Hand der kaiserlichen Truppen. „Für die Bevölkerung brachte der Abzug der Schweden keine Besserung ihrer Situation“, darin sind sich die Heimatforscher einig. Der 30-jährige Krieg wurde mit dem Westfälischen Frieden 1648 beendet. Das Land brauchte Jahrzehnte, um sich von den Kriegsfolgen zu erholen.
Frankfurter Rundschau – 5.1.06 – mit freundlicher Erlaubnis der FR |