Die Untaten des Hofheimer Kellers Johann Zolp im Jahr 1531
HANS ULRICH COLMAR

Der folgende Beitrag geht auf einen Zufallsfund im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden zurück, wo in der Abteilung 106/Nr. 475 Beschwerdebriefe Hofheimer Bürgerinnen und Bürger gegen unglaubliche Willkürakte des Kellers Johann Zolp erhalten sind. Anläßlich des 70jährigen Jubiläums des Hofheimer Volksbildungswerks am 17. März 1995 hat der Verfasser die Ereignisse des Jahres 1531 einem größeren Publikum in Form eines Vertrags vorgestellt, der hier geringfügig verändert wiedergegeben werden soll.

Die zu schildernde Episode Hofheimer Geschichte spielte sich in den letzten Regierungsjahren des Grafen Eberhard IV. von Eppstein-Königstein ab, mit dem das Geschlecht am 25.5.1535 ausstarb; bereits am 7.6.1535 huldigten die Hofheimer dem neuen Landesherrn Graf Ludwig von Stolberg, einem Neffen seines Vorgängers. Unter ihm und seinem Bruder Christoph mußten die Hofheimer für fast ein halbes Jahrhundert den evangelischen Glauben annehmen, bevor sie 1603 von Kurmainz ebenso gewaltsam wieder zum katholischen Glauben zurückgeführt wurden. Die Begebenheit ereignete sich in einer Zeit großen Umbruchs: Das Mittelalter war in vielfältiger Weise noch lebendig, die Neuzeit mit Reformation, Humanismus und dem erstarkten Selbstbewußtsein des Individuums in der Renaissance hochaktuell. Man kann dieses neu erstarkte Selbstbewußtsein in den ausgewählten Beispielen vor allem bei den Frauen erkennen, die sich auch von der Obrigkeit nicht mehr alles gefallen ließen und ungerechtfertigten Ansprüchen energisch entgegentraten.

Der Keller Johann Zolp, dessen Aufgabe es war, die Abgaben von Stadt und Amt Hofheim für seine Herrschaft einzusammeln - ein Steuereinnehmer oder Finanzbeamter, wie wir heute sagen würden, nach dem Amtmann immerhin der zweithöchste herrschaftliche Beamte - muß ein Mann von ganz besonderem Zuschnitt gewesen sein: Ein unverschämter Kerl, ein kleiner Tyrann und Autokrat, außerdem ein Säufer, der sich wie ein Diktator aufspielte, besonders gegenüber Frauen, vor allem Witwen, die jedoch - wie oben bereits angedeutet - durch einen Rechtsbeistand („anewalt") ihre Interessen beim Grafen in Königstein vertreten ließen. Vermutlich handelt es sich dabei um den Schreiber des Hofheimer Gerichts, der vom Schultheißen Philips Spar mit der Wahrnehmung der Bürgerinteressen beauftragt worden war, da er über eine juristische Ausbildung verfügte.

Drei ausgewählte Beispiele werfen ein bezeichnendes Licht auf das eigenmächtige und willkürliche Verhalten des Kellers Zolp; sie machen aber auch deutlich, daß die Bürgerinnen und Bürger selbstbewußt und unerschrocken ihr Recht suchten und auch fanden.

Der Keller als Verleumder und Gewalttäter

Elisabeth, Witwe des Bürgers Hans Wolf, klagt, daß Zolp sie mit Schmähworten beleidigt habe, indem er sie öffentlich eine Hure nannte. Ferner habe er ihr den Büttel (Polizeidiener) wiederholt grundlos ins Haus geschickt und auch persönlich zu nachtschlafender Zeit mit einer Kerze ihr Haus durchsucht, um ihren Knecht zu finden. Dem Büttel habe er dann befohlen, den Knecht unter den Strohbündeln zu suchen, finde er ihn nicht, das Stroh anzuzünden, so „daß es brennt, daß es kracht" (Hausfriedensbruch in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung). Ebenso grundlos habe er Schlösser von Türen und Behältnissen aufbrechen lassen, ihren Knecht ins Gefängnis gesteckt und eines ihrer Kinder mit einem Stuhl derart geschlagen, daß man es „für tot" aufheben mußte.

Nun hatte sie schon am 3. Mai 1531 eine erste Klageschrift nach Königstein geschickt, wo dem Keller ausdrücklich untersagt wurde, Elisabeth Wolf, ihren Knecht oder ihre minderjährigen Kinder weiterhin zu beschimpfen. Doch schon am Dienstag nach Pfingsten (30.5.1531) habe er über sie gespottet und sie erneut übel beschimpft und die Verunglimpfungen noch dadurch verschärft, daß er jetzt behauptete, sie sei nicht nur eines Mannes, sondern jedermanns Hure und außerdem eine Pfaffenhure, „welches mir nicht allein, sondern meinen unerzogenen (unmündigen) Kindern und meinem frommen Hauswirt seligen, der doch Euer Gnaden treuer Diener vormals geweset, merklich zur Unehre gereichen tut."

Die öffentlichen Beschimpfungen waren ein Angriff auf ihre Ehre und die ihres verstorbenen Mannes. Hier mußte sie auf Wiedergutmachung dringen, um ihr Ansehen in der Gesellschaft wiederherzustellen. Sie geht noch einen Schritt weiter und ermahnt den Grafen, seiner Verpflichtung nachzukommen und die armen Witwen und Waisen seines Territoriums gegen unzutreffende Diffamierungen in Schutz zu nehmen und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, was durchaus auch eine Erstattung der entstandenen Kosten für Zeugen und Wegegelder einschloß. In einem nicht datierten zweiten Brief verleiht sie ihrer Forderung Nachdruck und erinnert den Grafen an seine Pflicht.

Zolp, ein Säufer und Messerheld

Jacob Schmidt, Bürger zu Hofheim, schildert in einem Brief vom 18. Juli desselben Jahres den Keller als unverschämten Trunkenbold, der ehrliche Männer gegen ihren Willen zum Trinken animiert und unter dem Druck der Autorität seines Amtes Mitbürger zu Saufkumpanen macht. Schmidt hatte seine Klage schon einmal mündlich vorgebracht und kommt jetzt der Aufforderung nach einer schriftlichen Eingabe nach: Als er mit seinem Knecht und Melchior Wolf zusammensaß, sei Johann Zolp gekommen und habe von ihm ein Maß (ca. 2 Liter) Wein verlangt. Er habe sich zunächst geweigert, sei aber von Zolp derartig unter Druck gesetzt worden, daß er den Wein holte. Daraufhin forderte der Keller Jacob Schmidt und Melchior Wolf auf, die ganze Kanne auf einen Sitz auszutrinken, d.h. je Mann ein Liter in einem Zug. Da Schmidt der Aufforderung weder nachkommen konnte noch wollte, schalt der Keller ihn einen Unflat und Schelm (ganz schlimmes Schimpfwort, denn ein Schelm war keineswegs ein neckischer Spaßmacher, sondern der Name für den Scharfrichter oder Henker, der von der Gesellschaft geächtet war; so durfte niemand mit einem Schelm an einem Tisch sitzen, und die Scharfrichter-Familien heirateten stets untereinander, weil sie als unehrlich galten; ihnen oblag auch die Tierkörperbeseitigung, d.h. sie mußten das Aas auf dem Schindanger verscharren). Jacob Schmidt ließ es nicht auf eine tätliche Auseinandersetzung ankommen und verließ das Haus, worauf der Keller und Schmidts Knecht die Kanne allein austranken. Nun befahl Zolp Jacobs Frau, ihm noch mehr Wein zu holen; diese weigerte sich jedoch, worauf der Keller ein glühendes Eisen nahm (wohl den Schürhaken aus dem Herdfeuer) und damit nach dem Gesicht der Hochschwangeren stach, die in die Stube flüchtete. Er verfolgte sie dorthin und betatschte sie unzüchtig, worauf sie ihm über die Hand schlug. Dann hetzte er zu allem Überfluß seinen Hund auf sie, der sie ansprang, worauf sie ihn packte und von sich schleuderte.

Zolp schrie sie an: „Wer meinen Hund schlägt, den muß ich auch schlagen" und setzte das Wort augenblicklich in die Tat um. Schließlich zog er ein Messer und ließ erst von der Frau ab, als Jacobs Knecht und Wolf hinzukamen. Als Zolp von Schmidts Klage in Königstein erfuhr, beschimpfte er ihn als „Lecker" und „Buben", d.h. Spitzbuben, Verbrecher, so schlimm wie für eine Frau das Wort „Hure".

Machtmißbrauch und Psychoterror gegenüber einer wehrlosen Witwe

Friderichs Katharine, ebenfalls Witwe zu Hofheim, nimmt sich den gleichen Anwalt wie Elisabeth Wolf. Sie hat im herrschaftlichen Brühl, den Brühlwiesen, angeblich „gegrast", wie man das nannte, wenn man etwas Grünfutter für Ziegen und andere Kleintiere holte. Da „Brühl" schon immer ein Feuchtgebiet war (Hofheimer Stadtplanern, Architekten und Bauherren seit Jahrhunderten wegen des hohen Grundwasserstandes leidvoll bewußt) trat sie mit einem Fuß ins Wasser, worauf sie den Schuh auszog und mit etwas Gras trocken rieb. Dies war das einzige Gras, das sie abgerissen hatte, ansonsten nur Brennesseln. Sie war vom Stadtfeldschützen beobachtet worden, der sich ihr näherte und ihr zurief, sie hätte dem herrschaftlichen Brühl genug Schaden zugefügt, worauf sie ihre Schürze aufhielt und dem Schützen die Nesseln zeigte. Der machte offensichtlich sofort Meldung beim Keller, denn dieser kam kurz darauf zu ihr in das Haus ihres Sohnes. Sie hatte gerade ihren Enkel auf dem Schoß, worauf Zolp ihr befahl, das Kind herunterzunehmen, sowie dem Sohn, seine Mutter verhaften zu helfen. Obwohl sie sofort bereit war, sich zu verantworten und über Bürgschaften angesehener Hofheimer Bürger verfügte, habe sie der Keller von einem Gefängnis ins andere gebracht, „wo man üblicherweise Frauen nicht einzusperren pflegt". Danach habe er sie mit „schrecklichen Worten angetast" und sie eine Zauberin genannt (= Hexe; dies konnte einem Todesurteil gleichkommen, wenn der Vorwurf nicht widerlegt werden konnte). Deshalb müsse man sie im Gefängnis behalten, es sei denn, sie bekenne sich mit Siegel (unter Umständen reichten auch die berühmten 3 Kreuze XXX als Unterschrift) dazu, den Grafen von Königstein durch Grasen in den Brühlwiesen geschädigt zu haben.

Dies alles sei nicht nur ihr selbst und ihren frommen (rechtschaffenen) Kindern, sondern auch den Blutsverwandten eine unerträgliche Schmach und Schande. Ihr Anwalt macht deutlich, daß es nicht angehen könne, den Keller solche willkürlich erfundenen und nicht beweisbaren Anschuldigungen weiter verbreiten zu lassen. Katharine verlangt daher von ihrem gnädigen Herrn Rehabilitation und Kostenerstattung für die Wege der Zeugen nach Königstein.

Den größten Umfang unter den diesbezüglichen Akten nimmt ein sogenanntes Rügenprotokoll ein, das offensichtlich am 31.5.1531, d. h. am Tag unmittelbar nach Zolps nächtlichem Übergriff auf Elisabeth Wolf, vom Gerichtsschreiber im Auftrag des Schultheißen gefertigt wurde und das die Aussagen sämtlicher Zeugen der Ereignisse der vergangenen Nacht enthält. Dabei überrascht manche Unterschiedlichkeit der Darstellung, je nach Erinnerungsvermögen und Perspektive (wie beispielsweise auch heute noch ein Verkehrsunfall von fünf Zeugen ganz unterschiedlich gesehen wird). Einig sind sich jedoch alle darin, daß der Keller in völlig unzulässiger Weise immer wieder ehrliche Bürger anpöbelt mit Worten wie Huren und Buben und ihnen droht, sie in den Turm zu werfen.

Wichtig ist natürlich die Stellungnahme des Kellers zu den einzelnen Vorwürfen.

Zolps Rechtfertigungsversuche

Zu den Vorwürfen von Elisabeth Wolf erklärt er: Der eigentliche Grund für die Verfolgung des Knechtes sei gewesen, daß dieser ihm nachts auf der Gasse mit einem Messer aufgelauert habe - seine Magd habe ihn gerade noch warnen können - und dieser früher schon einmal einen anderen Knecht hinterrücks mit einem Karst (dreizinkige Hacke) niedergeschlagen habe. Dies sei damals geschehen, als der gnädige Herr von Königstein (Eberhard IV.) und die gnädige Frau von Stolberg (die Schwester Anna des Grafen, Mutter seines Nachfolgers Ludwig von Stolberg) in Hofheim zu Gast gewesen seien.

Er bestätigt jedoch, daß er bei der Verfolgung des Knechtes, den er im Stall vergeblich gesucht habe, in das Haus stürmte und sein „Rapierchen" (Säbel) zog, worauf Elisabeth aus der Küche gelaufen kam und „Mord" schrie. Als der Knecht über die Stiege fliehen wollte, habe er mit der blanken Waffe nach ihm geschlagen und dabei Els leicht getroffen, da sie sich zwischen ihn und den Knecht gedrängt habe. Der Knecht konnte dadurch entkommen, und als Els nicht aufhörte zu schreien, habe er gesagt: „Ihr Hure, schweigt, ich will Euch doch nichts tun, der Lecker ist hinaufgelaufen". Weil Hans Bender besser klettern konnte, mußte er mit einem Licht die Leiter hinaufsteigen, um den Knecht auf dem obersten Boden direkt unter dem Strohdach zu suchen und unter die Strohballen zu leuchten, um ihn aufzustöbern; vergeblich, statt des Gesuchten fand er lediglich ein Ei, das er nach vollbrachter Tat in der Küche ablieferte. Danach habe Els in der Küche weiter auf ihn geflucht und ihn gescholten, was er überhaupt in ihrem Haus zu suchen hätte.

Zur Klage Jacob Schmidts bestätigt Johann Zolp in seiner Entgegnung die „Sauftour", bei der er mit einigen Zechkumpanen von Haus zu Haus ging und überall Wein verlangte, schließlich auch bei Jacob Schmidts Frau, die er ebenfalls zwingen wollte, Wein zu holen. Als ihr Kind aus Angst vor seinem Hund schrie, habe die Mutter mit einem Brett erst den Hund und dann ihn auf Hand und Schulter geschlagen, worauf er ihr ebenfalls mit einer Hand auf die Backe geschlagen habe.

Bezüglich Friderichs Katharine beruft sich Zolp auf die Aussagen eines Mädchens, vermutlich seiner Magd, die Katharine wiederholt beim Grasen in den Brühlwiesen beobachtet habe. Da Katharine - wohl in richtiger Einschätzung der Lage - bemerkte, daß man die Magd als Spitzel auf sie angesetzt hatte, habe sie diese übel beschimpft und ihr Schläge angedroht. Erst daraufhin habe er sie in den Turm gelegt. Er könne sich jedoch nicht erinnern, Katharine eine Zauberin genannt zu haben.

Das Rügenprotokoll endet mit der dringenden Bitte der drangsalierten Hofheimer Bürger an den Grafen Eberhard von Eppstein-Königstein, sie von diesem Unhold zu befreien: „dann zu besorgen, es werd die lenge kein gut uß seiner boßen handelunge werden", d.h. sie fürchten, daß auf Dauer dieser bösartige Mensch nicht gut tun wird, weshalb sie seine Ablösung verlangen.

Das Ergebnis ist nicht direkt bekannt, indirekt jedoch zu erschließen aus dem zweiten Hofheimer Gerichtsbuch (1500-1593): hier ist auf Seite 138 für das Jahr 1533 Schmidthen als neuer Keller genannt. Der Protest der Hofheimer Bürger hatte sich also doch gelohnt, der Erfolg war wohl nicht zuletzt den couragierten Frauen zu verdanken.

Wie zahlreiche Gerichtsbucheinträge beweisen, lebte Zolp weiterhin in Hofheim. Erst 1563 (S. 274 a) - anläßlich des Kaufs seines Hauses durch den Schultheißen Hieronymus Mergler - wird er als tot bezeichnet.

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1997 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors

Starke, mutige  Frauen - schon im Jahre 1531.