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Denkmalpflege im Main-Taunus-Kreis: Lange Zeit wurden Bauernhäuser als Zeugnisse unserer Kultur und Kunst nicht oder zu wenig beachtet. Noch das 19. Jahrhundert fragte mehr nach den aus künstlerischen und historischen Gründen bedeutenden Einzeldenkmälern als nach Bauernhäusern, Scheunen, Ställen. Ihre Gestaltung war eine zweckdienliche, selbstverständliche, während Jahrhunderten entwickelt und verbessert. Traditionelle Bauformen waren entstanden, den Erfordernissen des Klimas und der Landschaft ebenso angepaßt wie im einzelnen auf die Bedürfnisse ihrer Bewohner zugeschnitten. Sie prägten das Gesicht der Landschaft und gaben dem Dorf ein typisches, unverwechselbares Bild. Erst der zunehmende Verlust solcher Bauten schärfte den Blick für ihre Qualitäten. Mehr noch als der Verlust von Bausubstanz durch Kriege trugen Automatisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft dazu bei, daß sich das traditionelle Bild der Dörfer änderte - ändern mußte. Dies trifft auch und gerade für den Main-Taunus-Kreis zu, dessen rasante wirtschaftliche Entwicklung nach 1945 heute fast vergessen läßt, daß er über Jahrhunderte rein landwirtschaftlich geprägt war. Dank seiner zentralen geographischen Lage und des enormen Anwachsens der Bevölkerungszahl wurde er zu einem der am dichtesten besiedelten Landkreise Deutschlands, was in der historischen Bausubstanz seiner Orte zahlreiche Lücken schlug. Dichte Straßennetze, Vorort-, Gewerbe- und Industriegebiete beherrschen heute von außen gesehen das Bild des Kreises. Jedoch: Insbesondere im westlichen Teil ist die Landwirtschaft noch stark vertreten.
Mitteldeutsche Gehöfte in der typischen Abfolge giebelständiger Wohnhäuser (Hauptstraße in Eschborn-Niederhöchstadt). Und läßt man sich die Zeit, genau hinzusehen, so stellt man fest, daß sich jeder Ort seinen historischen Kern - in mehr oder weniger starkem Ausmaß, zugegeben - bewahrt hat. Der Reiz des Main-Taunus-Kreises liegt in seinen Kontrasten: Mainebene und Taunushänge, großstädtische Siedlungsgebiete und bäuerliche Dorfstrukturen, moderne Gewerbegebiete gegen Acker-, Obst- und Weinbau. ,,Kulturdenkmal" - Gütesiegel oder Wertminderung? Die Einstufung eines Gebäudes als Kulturdenkmal geschieht nach im Hessischen Denkmalschutzgesetz festgelegten Kriterien, die sich auf die Bedeutung des Bauwerks aus historischen, künstlerischen, wissenschaftlichen, städtebaulichen oder technischen Gründen beziehen. Dem modernen Denkmalschutz ist vor allem der Schutz der Gesamtanlagen, also ablesbarer, historisch gewachsener Strukturen ehemaliger Siedlungs- und Hausformen, der räumliche Zusammenhang eines Ortes mit seinen Wohn-, aber auch all den bescheidenen Neben- und Wirtschaftsgebäuden, ein besonderes Anliegen. Ziel des Denkmalschutzes ist aber nicht im entferntesten ein musealer Zustand, in dem nichts mehr verändert werden darf, sondern die lebendige Auseinandersetzung unserer Zeit mit der Geschichte. Unsere historischen Höfe werden meist dann zum Problem, wenn landwirtschaftliche Betriebe durch Konzentration und Auslagerung immer häufiger die angestammten Hofflächen in den Ortszentren verlassen oder am Ort Erweiterungsmöglichkeiten benötigen. Die alten Scheunen und Wohnhäuser sind nicht mehr groß genug, nicht mehr funktional, nicht mehr komfortabel genug. Gleichzeitig wird weiterer bzw. modernerer Wohnraum benötigt. Hier bieten Bauernhöfe aber auch Chancen. Mit ihnen ist häufig in innerörtlichen Bereichen nutzbarer Raum in einer Dichte und Größe vorhanden (Scheunenumbauten), wie er heute an gleicher Stelle nicht mehr geschaffen werden könnte. ,, Bau werke sind stets gegenwärtig (...), sie halten Phänomene präsent, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen." (1) In diesem Sinne sorgen historische Bauten dafür, daß unsere Geschichte lebendig bleibt. Bauernhäuser erzählen Geschichten. Sie geben Auskunft über Wohlstand und Armut ihrer Erbauer, womit sie gleichzeitig etwas über die Ertragskraft des Bodens aussagen. In ihrer Stellung zueinander berichten sie von der historischen Struktur der Dorfgemeinschaft, innerhalb des einzelnen Hofes wird aus der Anordnung der Gebäude und Räume die Organisation des einstigen Wohnens und Wirtschaftens deutlich. (2) Siedlungsformen Als Haufen- oder Straßendörfer entstanden, richten sich die Siedlungen des Main-Taunus- Kreises nach den naturräumlichen Bedingungen. Ausschlaggebend für Ansiedlungen waren Bachläufe oder Quellen, zudem wichtige Verkehrswege. So entstanden die Siedlungen am Main im Zusammenhang mit Furten, Orte des Taunusvorlandes schmiegen sich an die südgeneigten Hänge, während in Taunusrandlagen und Vordertaunus meist die geschützte Tallage, aber auch eine günstige Hanglage gewählt wurde. Um die Kirche mit zugehörigem Friedhof im Zentrum scharten sich die Wohnhäuser, nach außen abgeschirmt durch die zurückliegenden Scheunen, meist auch durch Hecke und Graben abgesichert oder als städtische Ansiedlung mit Mauern geschützt. Heute sind solcherart geschlossene Ortsbilder im Kreis kaum mehr von außen sichtbar. Den schönsten geschlossenen und ablesbar erhaltenen Ortskern besitzt Massenheim; in Hochheim, Flörsheim, Eddersheim ist er aufgrund der Lage am Main, bei Diedenbergen der Lage am Hang zumindest aus einer Blickrichtung noch erkennbar. Haus- und Hofformen Im Main-Taunus-Kreis ist als Hofform nahezu ausschließlich das mitteldeutsche Gehöft (auch fränkische Hofreite genannt) als Zwei-, Drei-, Vierseit- oder Hakenhof anzutreffen. Hierbei gruppieren sich Wohnhaus, Scheune, Stall und eventuell weitere Nebengebäude um einen gemeinsamen Hof. Aus der Anzahl der Nebengebäude, der Größe und Qualität der Bauten läßt sich zurückschließen auf Betriebsform und Betriebsgröße. (3)
Wohnhaus mit Sichtfachwerk um 1720 (Bad Soden, Zum Quellenpark 42, jetzt Heimatmuseum). Meist steht das Wohnhaus giebelständig zur Straße, die Scheune im Winkel dazu traufständig im Hofbereich. Sie bilden einen Zweiseit- oder, wenn dem Wohnhaus der Stall angebaut und hiermit der Abstand zur Scheune geschlossen ist, einen Hakenhof. Die weiteren Nebengebäude, wozu auch ein Altenteiler gehören kann, und häufig ein hohes, überdachtes Hoftor mit Mannpforte schließen den Hof zur Straße hin ab. Das Wohnhaus besitzt in der Regel einen zwei- oder dreizonigen Grundriß, wobei der traufseitig gelegene Eingang in die Küche führt, zur Straße schließt sich die Stube, nach hinten die Kammer an. Die meist zweigeschossigen Häuser wurden bis ins 19. Jahrhundert hinein nahezu ausnahmslos als Fachwerkrähmbauten errichtet. Erst dann hielt mit der Ziegelbauweise eine neue Konstruktionsform Einzug. Vorher brachte jedoch schon das 18. Jahrhundert vielen Fachwerkbauten einen Außenwandverputz, um den Häusern den repräsentativen Anschein eines soliden Steinbaus zu geben. Sofern sie nicht extra dafür als schlichtes Gefüge konzipiert und neu errichtet wurden, büßte hierbei manches Fachwerkhaus seine Zierformen ein. Fachwerkbauten der Konstruktionsform des 13. bis 15. Jahrhunderts, der Ständerbauweise, scheinen im Main-Taunus-Kreis nicht erhalten zu sein. Allerdings wurden Ständerkonstruktionen - mit wandhohen, durchgehenden Ständern und eben solchen Streben - auch noch in späteren Jahrhunderten für Scheunenbauten verwandt, hierbei dann häufig als gemischte Ständer- und Stockwerkkonstruktion. Auch wurden nicht mehr die alten Holzverbindungen (Überblattung), sondern Verzapfungen gewählt. Gefüge der sogenannten „Übergangszeit" von ca. 1450 bis 1550 mit ihren charakteristischen Verstrebungsfiguren aus gebogenen Streben und Gegenstreben mit aufgeblatteten Riegeln kamen bei einigen wenigen bäuerlichen Wohnhäusern unter dem Putz zutage.
Fachwerk der Übergangszeit mit gebogenen, überblatteten Streben und Gegenstreben, datiert 1573 (Hochheim-Massenheim, Hauptstr. 30). Der größte Teil der Bauernhäuser des Kreises ist in Rähmkonstruktion der Zeit zwischen 1550 und 1800 errichtet. Zu unterscheiden sind Sichtfachwerke mit reichen Schmuckformen von rein konstruktiven, schlichten - aber nicht minder qualitätvollen - Fachwerken. (4) Schmuckformen an Wohnhäusern Der Fachwerkrähmbau bietet allein durch seine Konstruktion einige Möglichkeiten der dekorativen Ausgestaltung. Reine Konstruktionselemente sind ursprünglich Schwelle und Rahm, Geschoßvorsprung, Eck- und Bundpfosten (an dieser Stelle bindet eine Raumtrennwand in die Außenwand ein) sowie die eingezapften Streben, die den Pfosten und Gefachen Standsicherheit verleihen. Kunst und Einfallsreichtum der Zimmerleute gestalteten dieses Grundgerüst teilweise prächtig aus. Schwelle und Rahm wurden profiliert, die dazwischen sichtbaren Balkenköpfe entweder ausgeschnitzt und dekorativ integriert oder durch reich gekehlte Füllhölzer verkleidet. Die Eckpfosten wurden durch Schnitzereien verziert. Gedrehte Säule, Seilschlag, Flechtband, Rankenornamente, Spiralen oder auch Masken sind häufige Schmuckmotive. Durch die Verstrebung der Eck- und Bundpfosten ergab sich die Figur des »Wilden Mannes". Seine „breitbeinige" Erscheinung mit ausgestreckten Armen ist nur zum Teil konstruktiv bedingt. Notwendig ^zur Aussteifung des Gerüsts sind die Streben, die (geschnitzten) Kopfwinkelhölzer, Brust- und Halsriegel haben statisch untergeordnete, dafür aber hohe repräsentative Bedeutung. In gleichem Sinne bieten die Brüstungsgefache Raum für phantasievolle Schmuckformen: Andreaskreuze, durchkreuzte Rauten oder Kreise, Feuerböckchen, geschnitzte, mit Inschriften versehene Brüstungstafeln - solche und andere Formen bereichern das Fachwerk. Um sich möglichst effektvoll darzustellen, wurden die reichsten Zierformen im Obergeschoß der Straßenseite angebracht. Für uns heutige Betrachter ist wichtig, daß sich die Fach werke an der unterschiedlichen Ausbildung ihrer Zierformen zeitlich und auch landschaftlich bestimmen lassen. Darüber hinaus gestatten sie Rückschlüsse darauf, ob der Bauherr es sich leisten konnte, in die Gestaltung seines Hauses mehr als das Notwendige zu investieren. Scheunen Eine ganze Anzahl von Scheunen im Main-Taunus-Kreis sind unter Denkmalschutz gestellt - aus guten Gründen. Nicht nur, daß sie häufig als Teile des „Scheunenkranzes" die Ausdehnung des alten Ortskerns und mit den anschließenden Gärten den Übergang von der Bebauung zur (kultivierten) Landschaft markieren. In der Mehrzahl der Fälle sind sie auch von ausgezeichneter, ungestört erhaltener Konstruktion, häufig sind die alten Lehmgefache mit Weidenstakungen noch vorhanden. Die Sorgfalt, die auf ihre Konstruktion und Auszier verwandt wurde, läßt die Bedeutung erahnen, die sie als Aufbewahrungsort der Ernte für den Bauern hatte. Im Wandaufbau finden sich oft reiche Verstrebungsformen, die durch ihre Regelmäßigkeit und Symmetrie beeindrucken. Zierformen und Inschriften sind an Scheunentoren bzw. ihren Sturzbalken anzutreffen. Auch hier sind die Schmuckformen zunächst konstruktiv bedingt.
Reich geschnitzter Eckständer, 1568 (Kelkheim-Hornau, Hornauer Str. 134). Der Sturzbalken des Scheunentores muß dessen gesamte Breite überspannen und seitlich Befestigungsmöglichkeit für die Torangeln bieten. Eine charakteristische Gestaltungsform ist ein seitlicher Vorsprung des Balkens, so daß in seine vorkragenden Enden die hölzernen Torangeln eingelassen werden konnten. Der Vorsprung geschieht meist mit drei Diagonalen, roh behauen oder von unterschiedlichem Profil, die nach innen oder außen geneigt sind. Ähnliche Formen wurden bereits für den Untertaunus beschrieben. (5) Häufig trägt der Torbalken zudem eine Datierung und/oder eine Inschrift, deren Länge und Inhalt variiert. Sie vermitteln uns interessante historische Informationen. Je nach Ausführlichkeit nennen sie den Namen des Bauherrn, seiner Frau, das Jahr der Erbauung mit Tag und Monat, den Zimmermann, dessen Herkunft; hinzu kommen Sprüche apotropäischen Inhalts, die den Segen Gottes und die Abwehr alles Bösen, insbesondere die Bewahrung vor Feuer für Scheuer und Hof, erbitten. Vielfach sind die Fachwerkkonstruktionen von Bauernhäusern heute noch unter unschönen, die Bausubstanz schädigenden Verkleidungen verborgen, durch unmaßstäbliche Fenstereinbauten entstellt. Wo Scheunen und Nebengebäude leerstehen, droht der Verfall. Dem kundigen Blick bleiben aber auch die Qualitäten solcher Bauten nicht verborgen. Im Interesse des Denkmalschutzes liegen immer eine schonende Sanierung und Neunutzung bei größtmöglichem Respekt für die historische Substanz, so daß das Kulturdenkmal auch Bauernhaus bleiben kann.
Literatur: 1 Stolte, Dieter, in: Denkmalschutz Informationen 5/1990, S. 58
Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1993 |