August 1942: Bomben auf Eschborn
Gerhard Raiss

In der Nacht vom 24./25. August 1942 entschied das britische „Bomber Command" (Oberkommando der britischen Bomberverbände), die Stadt Frankfurt am Main anzugreifen.

Dazu wurden 226 Bomber aufgeboten, mehr als die Hälfte von ihnen waren schwere viermotorige Bombenflugzeuge; davon waren 104 vom Typ Wellington, 53 Sterling, 8 Halifax und 61 Lancaster. Angeführt wurde die fliegende Streitmacht von der sog. Path Finder Force (P.F.F), „Pfadfinder"-Gruppe, einer speziellen Einheit mit besonderer Ausbildung und Ausrüstung zur Zielfindung und Markierung bei Nacht. Sie war erst im August 1942 aufgestellt worden und hatte nur wenig praktische Erfahrung. Der Angriff auf Frankfurt war ihr zweiter Einsatz überhaupt.

Das Bomberkommando hatte den Angriff für die Zeit zwischen 00.35 Uhr und 01.10 Uhr am 25. August 1942 geplant. Die ersten der eingesetzten Flugzeuge, es war die Pfadfindereinheit, starteten kurz nach 21.00 Uhr auf den Flugplätzen im Süden Englands in Richtung Frankfurt, ihrem Ziel in dieser Nacht. Die Sommernacht war warm, der Himmel war bewölkt, am Boden herrschte Dunst, über den Wolken war beinahe Vollmond.

Wenige Minuten nach Mitternacht, um 00.03 Uhr gab es Sirenenalarm in Frankfurt und Umgebung, auch in Eschborn. Kurz darauf hörte man die Flak schießen. Das Flakfeuer kam rasch näher und ging in das bekannte Motorengeräusch der über dem Rhein-Main- Gebiet kreisenden Bomber über, die ihr Ziel suchten. Dazwischen hörte man immer wieder das Explodieren der abgeworfenen Bomben. Man konnte die ersten Brände über Frankfurt und dem Umland sehen, wenn man sich aus dem vermeintlich sicheren Luftschutzkeller wagte.

Ein dichter Bodendunst erschwerte den englischen Bomberpiloten die Sicht nach unten. Sie konnten ihr Ziel, das Frankfurter Stadtgebiet, daher nicht richtig ausmachen. Deswegen dauerte der gesamte Angriff auch mehr als eine Stunde länger als geplant, bis 02.15 Uhr.

Eschborn wurde, wie zahlreiche andere Städte und Gemeinden im Rhein-Main-Gebiet, in dieser Nacht ebenfalls von den Auswirkungen des Angriffs betroffen. Eine schwere Luftmine fiel auf das landwirtschaftliche Anwesen Hill in der Neugasse 5 und zerstörte es völlig. Die Luftmine gehörte zu den schwersten Bomben, die die britische Luftwaffe zu der Zeit besaß. Die dünnwandige Bombe war etwa 2,80 Meter lang und mit über 1.800 Kilogramm hochbrisantem Sprengstoff gefüllt. Sie hatte etwa die Größe eines „Badeofens", weshalb man sie in Deutschland auch scherzhaft so bezeichnete. Die Engländer nannten sie „Blockbuster" (Wohnblockknacker). Sie verursachte durch die enorme Druckwelle, die beim Zünden des Sprengstoffs entstand, gewaltige Schäden an Gebäuden, die einfach umgerissen wurden. Feuerbrände entstanden dadurch üblicherweise nicht, nur außergewöhnliche Zerstörungen.

Eine solche Minenbombe traf den Hof des Wilhelm Hill und seiner Familie.
Genau um 02.15 Uhr ging sie nieder. Es war dies der erste große Bombenschaden mit Personenverlusten, den Eschborn in diesem Krieg erlitten hatte, denn die gesamte Familie Hill sowie ein auf dem Hof eingesetzter junger Fremdarbeiter aus Polen kamen dabei um, obwohl sie sich alle in den Luftschutzkeller des Hauses geflüchtet hatten.
 

Es starben:

  • Wilhelm Hill, 41 Jahre alt,
  • seine Ehefrau Berta Hill geb. Dahlem, 33 Jahre alt,
  • ihre gemeinsame Tochter Irene, 8 Jahre alt und
  • die verwitwete Mutter von Wilhelm Hill, Johanna Hill, geb. Gauf, 70 Jahre alt, sowie
  • der junge ledige polnische Landarbeiter Wladislav Pozeklasa, 18 Jahre alt.

Durch das einstürzende Wohnhaus und den starken Luftdruck der explodierenden Bombe waren alle sofort tot.
Britisches Flugblatt G.41

 

Britisches Flugblatt G.41 (Vorderseite), welches am 25. August 1942 zusammen mit den Bomben über dem Zielgebiet abgeworfen wurde.
Britische Bomben

Britische Bomben im Größenvergleich. Vorne rechts ist eine 4000 Ibs. Luftmine zu erkennen.

Nicht nur in Eschborn waren in dieser Nacht Bomben gefallen. Durch die äußerst schlechte Sicht konnten die Bomber ihr Ziel aus der Luft kaum erkennen. Sie flogen in einigen tausend Metern Höhe und suchten im Dunst nach Frankfurt. Selbst die „Pfadfinder", die speziell dafür ausgebildet waren, konnten ihnen dabei kaum helfen. Durch die totale Verdunkelung am Boden und die für sie schlechten Witterungsverhältnisse waren sie nur wenig erfolgreich.

Also warfen sie ihre Bomben auf gut Glück ab, wenn sie glaubten, sie seien über dem Zielgebiet - oder wenn sie am Boden den Feuerschein eines brennenden Gebäudes sahen, gleich wo sich dies befand.

So kam es, dass zahlreiche der eigentlich für Frankfurt gedachten Bomben an ganz anderen Stellen niedergingen und Orte in der Umgebung trafen. Es fielen in dieser Nacht Bomben von Idstein/Taunus bis Mainz, von Usingen bis Hanau, von Nierstein bis Königstädten.

Insgesamt zählten die deutschen Behörden nach dem Angriff 23 Minenbomben, 20.700 Stabbrandbomben, 280 Sprengbomben, 55 Phosphor-Kanister, 1500 Phosphorbrandbomben zu 14 Kilogramm, sowie 20 Flüssigkeitsbrandbomben zu 112 Kilogramm, die abgeworfen worden waren. Die Zahl der Opfer in dieser Nacht wurde auf deutscher Seite mit 29 Toten, 21 Schwerverletzten und 6l Leichtverletzten angegeben.

Als um 02.11 Uhr in der Nacht die Sirenen Entwarnung gaben, waren die englischen Bomber bereits wieder auf dem Heimweg. Aber nicht alle hatte diesen Einsatz heil überstanden. 17 britische Bomber (5 Wellington, 5 Sterling, l Halifax und 6 Lancaster) stürzten ab und gingen verloren. Dabei kamen 77 Besatzungsmitglieder ums Leben.

Nur zwei Bomber gingen auf deutschem Gebiet nieder, einer bei Kalbach, der andere in der Nähe von Köln, bei Efferen. Alle anderen fielen auf dem Rückflug auf belgisches oder französisches Gebiet, einer ging in England verloren.

Das bei Kalbach abgeschossene Flugzeug war eine Lancaster, ein viermotoriger Bomber der 83. Squadron, einer Pfandfindereinheit. Es wurde genau um 01.00 Uhr von der Flak getroffen. Die 6 Mann Besatzung waren sofort tot, als der Bomber auf einem Acker am Rande von Kalbach aufschlug. Vorher hatten sie noch schnell ihre Bombenlast, darunter ebenfalls eine 4000 Ib. (brit. Pfund) Luftmine abgeworfen, ebenso Stabbrandbomben und wohl auch farbige Zielmarkierungsbomben. Mit ihnen sollte das Zielgebiet für die anderen, nachfolgenden Bomber, vor dem eigentlichen Angriff, mit buntem Licht gekennzeichnet werden, damit es dann besser getroffen werden konnte. Durch den Dunst und Bodennebel gelang das aber nicht richtig, daher die zahlreichen Fehlwürfe, die nicht auf Frankfurt gingen.
Neugasse Eschborn

Blick auf die bombenzerstörten Häuser der Neugasse.
Hof Hill Neugasse

Der zerstörte Hof Hill in der Neugasse.

Zur exakten Menge und Art der in dieser Nacht abgeworfenen Bomben sagen die britischen Unterlagen, die der Verfasser im Militärarchiv in England persönlich eingesehen hat, folgendes:

  • 187 Luftminen zu 4000 Ibs. [engl. Pfund]
  • 48 Luftminen zu 2000 Ibs. H.C. (907 kg)
  • 53 Bomben zu 1000 Ibs. H.C. (453 kg)
  • 101Sprengbomben zu 500 Ibs. H.C. (226 kg)
  • 9 Sprengbomben zu 250 Ibs. H.C. (l 13 kg) H.C. [High Capacity] (1.814 kg)
  • 86 schwere Brandbomben zu 250 Ibs.(113 kg)
  • 5.936 Brandbomben zu 30 Ibs.
  • 89.838 Stabbrandbomben

Außerdem wurden Flugblätter der Serie G.41 für die deutsche Bevölkerung abgeworfen mit der Aufforderung, die Nazis zu stürzen.
Grabstein Fam. Hill

Grabstein der Familie Hill, die bei dem Bombenabwurf ums Leben kam.

Grabstein Wladislav Pozeklasa, 1942

Grabstein des jungen Polen Wladislav Pozeklasa, der 1942 zusammen mit der Familie Hill Opfer des Bombenabwurfes wurde.

Über dem Frankfurter Stadtgebiet selbst, so die deutsche Zählung bald nach dem Angriff, gingen nur 6 Luftminen, 21 Sprengbomben, 50 Phosphorkanister, 50 Flüssigkeitsbrandbomben (250 Ibs.), 500 Phosphorbrandbomben (30 Ibs.) sowie 10.000 Stabbrandbomben nieder. Alle anderen Bomben fielen auf das Umland.

Es wird oft angenommen, die zahlreichen Bombenabwürfe der Engländer auf die Dörfer und Kleinstädte seien mit Absicht erfolgt. Dem ist sicher nicht so. Die meisten britischen Angriffe, die nachts bei völliger Dunkelheit über Deutschland geflogen wurden, galten den zusammenhängenden Wohn- und Industriegebieten der größeren Städte. Besonders die Zivilbevölkerung sollte getroffen werden. Nach der Theorie der Engländer hatte der Soldat an der Front keine Veranlassung mehr zu kämpfen, wenn in der Heimat sein Haus zerstört und seine Familie umgekommen war. In der Praxis hatte dies allerdings keine Auswirkungen. Gerade wenn alles zerstört und kaputt war, hatte der deutsche Soldat nichts mehr zu verlieren und kämpfte erst Recht weiter. Das Kalkül des britischen Bomber Command ging so nicht auf.

Dennoch hat der unselige Bombenkrieg hunderttausende von Luftkriegsopfern gefordert, ganz abgesehen von den immensen Sachschäden. Eschborn ist dabei noch glimpflich davongekommen, im Gegensatz z.B. zum Nachbarort Schwalbach, der fast 30 Tote durch Bombenangriffe zu beklagen hatte.

Die Gräber der Familie Hill und des jungen Polen Wladislav Pozeklasa mahnen uns noch heute auf dem Eschborner Friedhof an die schreckliche Nacht im August 1942.

 

Quellen

  • National Archives Kew/London AIR 14/3408.
  • Stadtarchiv Eschborn
  • Schulchronik Eschborn

 

Bildnachweis

Flugblatt: Klaus Kirchner, Flugblattpropaganda im 2. Weltkrieg. Flugblätter aus England, Erlangen 1974, S. 84.
Fotos: Bildersammlung Stadtarchiv Eschborn, Sammlung Raiss.

Aus: Rad und Sparren - 34/2005 - mit freundlicher Erlaubnis des Autors