Die Demontage der Eschborner Firma Schiele & Co. nach dem Zweiten Weltkrieg
GERHARD RAISS

Bereits gegen Ende des Zweiten Weltkrieges stand die Frage der Reparationen durch ein besiegtes Deutschland auf der Tagesordnung der alliierten Zusammenkünfte (z. B. Jalta im Dezember 1945). Als sich die Regierungschefs der USA (Truman), Englands (Attlee) und der UdSSR (Stalin) schließlich im Sommer 1945 nach der Kapitulation Deutschlands in Potsdam zur Konferenz über die Neuordnung der Nachkriegswelt und zur Regelung der gemeinsamen alliierten Besatzungspolitik trafen, wurde die Reparationsregelung im Abschnitt III des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 ausdrücklich festgeschrieben.

Die Ziele, die damit verfolgt wurden, waren die Zerstörung des deutschen Kriegspotentials, die rigorose Drosselung der Wirtschaft und die Abwicklung der Wiedergutmachungsforderungen der durch Deutschland im Krieg geschädigten Länder. Die gefährlichste Waffe Deutschlands, seine Wirtschaft, sollte ihm genommen und seinen Bewohnern nur ein minimaler Lebensstandard belassen werden. Die Wirtschaft sollte bis zum Stand der „Friedensindustrie" zurückgeführt werden, also auf den Vorkriegsstand.

Nicht durchsetzen konnten sich bei den Gesprächen und Diskussionen im Vorfeld zu Potsdam die extremen Vorstellungen des amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau, der u. a. die Demontage der deutschen Industriewerke, Bergwerksstillegungen und die Umwandlung Deutschlands in ein reines Agrarland gefordert hatte. Geblieben und festgeschrieben wurden allerdings Richtwerte, nach denen die wirtschaftliche Kapazität der deutschen Industrie generell um etwa 50-55 % vermindert und auf das Niveau des Krisenjahres 1932 zurückgeführt werden sollte. Gleichzeitig sollten die Nachbarländer mit Hilfe der in Deutschland abgebauten Industrieanlagen wirtschaftlich gestärkt und Kriegsschäden ausgeglichen werden. Damit sollte das Gewicht der europäischen Nachbarn vergrößert und eine Sicherung gegenüber einem künftigen deutschen Angriff geschaffen werden. Ein dritter von Deutschland ausgehender Weltkrieg sollte dadurch vermieden werden. Bei all diesen Maßnahmen sollte Deutschland, unbeschadet der verschiedenen Besatzungszonen, als ein gemeinsames Wirtschaftsgebiet betrachtet werden.

Die Entscheidung darüber, welche Industrieanlagen abgebaut, „demontiert" werden sollten, lag im Ermessen der Oberbefehlshaber der einzelnen Besatzungszonen. Zur Koordination wurde im Dezember 1945 in Paris die Inter Allied Reparation Agency (IARA) gegründet, die auch auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens die Verteilung der Reparationsleistungen an die zu begünstigenden Staaten regeln sollte.

Besonders schnell und gründlich, ja ruinös, begannen die Russen in ihrer Besatzungszone mit der Durchführung der Demontage. Aus der vorgegebenen Situation ergab es sich, daß die westlichen Zonen vorwiegend industrielle Gebiete umfaßten, die Russen hingegen die landwirtschaftlichen Regionen Deutschlands im Osten beherrschten. So wurden zahlreiche Industrieanlagen aus dem Westen in Richtung Rußland geliefert - die vereinbarten Lebensmittellieferungen aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet in den Westen blieben hingegen aus. Das veranlaßte den Oberbefehlshaber der amerikanischen Zone, General Lucius D. Clay, am 3. Mai 1945 (?? – webmaster) die Reparationslieferungen aus seiner Zone an Rußland einzustellen. Damit war die „wirtschaftliche Einheit" des besetzten Deutschland nicht mehr gegeben. Daraus folgte eine Revision der amerikanischen Deutschlandpolitik, die am 2. Dezember 1946 mit dem Zusammenschluß der amerikanischen und britischen Zone zur sog. Bizone deutlich wurde.

Die Vereinigung der beiden Zonen erforderte dann allerdings auch eine Revision des Industrieplanes, der nun auf die Gegebenheiten in der Bizone abgestimmt werden mußte. So wurden die Demontagen insgesamt gekürzt, die Industrialisierungsquoten erhöht (z. B. bei der Stahlproduktion oder im Schwer- und Leichtmaschinenbau), in manchen Bereichen wurde die Demontage sogar völlig eingestellt (z. B. bei der Feinmechanik, Optik, Elektro- oder Zementindustrie).

Richtwert für die amerikanischen und britischen Militärbehörden war eine Industriekapazität ihrer beiden Zonen, die etwa 5-10 % unter der Leistung von 1936 liegen sollte. Die zur Demontage freigegebenen Anlagen der Bizone umfaßten nach einer Liste vom 16.10.1947 insgesamt 682 Betriebe ganz oder teilweise. Davon lagen in der britischen Zone 496 und in der amerikanischen Zone 186. Unter den zur Demontage in der US-Zone vorgesehenen Industrieanlagen befand sich auch die Firma G. Schiele & Co., Maschinenfabrik und Eisengießerei. Ihre Demontage-Nummer auf der Liste war 380 S.

Die Firma Schiele wurde 1865 in Bockenheim bei Frankfurt gegründet. Sie stellte in erster Linie Ventilatoren für Schmiedefeuer und zum Befeuern von Schmelz- und Heizöfen sowie zum Trocknen, Saugen und Blasen her. Im Laufe der Jahre spezialisierte sich der Betrieb auf die Herstellung von Zentrifugalgebläsen (Ventilatoren und Exhaustoren) zur künstlichen Bewetterung im Bergbau und von Hochdruckgebläsen für Schmelzöfen in Hüttenwerken und Gießereien sowie von Gebläsen zur Förderung von Gasen (Leuchtgas, Heizgas). Auch eine eigene Hochdruck-Kreiselpumpe wurde entwickelt.

Rotor eines Staubventilators. Foto aus den 1930er Jahren.

Produktionsgenehmigung der US-Militärregierung vom 22. Mai 1945.

Im Jahre 1908 verlegte die Firma ihre Werkstätten nach Eschborn; dort hatte man einen direkten Gleisanschluß an die Bahn, und die Werksanlage konnte viermal größer als in Frankfurt gebaut werden. Weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg hat die Firma Schiele & Co. Kriegsmaterial hergestellt oder sonst für die Rüstung gearbeitet. Die Belegschaft betrug rund 250 Mann, darunter etwa 50 Angestellte. In der Zeit von der Firmengründung 1865 bis zum Jahre 1945 wurden mehr als 150.000 Gebläse und über 10.000 Spezialpumpen hergestellt und in alle Welt, bis hin nach Übersee, verkauft.

Als sich der Zweite Weltkrieg im Rhein-Main-Gebiet dem Ende näherte, mußte der Betrieb ab dem 25. März 1945 schließen. Die Belegschaft wurde entlassen. Mit dem Einmarsch der amerikanischen Besatzungstruppen am 29. März 1945 in Eschborn wurde das Werksgelände von Soldaten besetzt; die Arbeit mußte weiter ruhen. Erst am 22. Mai 1945 gab das Hauptquartier der US-Militärregierung für den Main-Taunus-Kreis in Hofheim die Erlaubnis, daß die Firma Schiele wieder mit der Arbeit beginnen konnte. Diese Betriebsgenehmigung bezog sich anfangs nur auf die Herstellung von Ventilatoren. Die Belegschaft bestand damals nur aus acht Mann, deren Zahl sich auf etwa 100 bis Ende 1947 steigerte. Der Schwerpunkt der Fertigung lag in der Nachkriegszeit in der Herstellung von Ventilatoren - als Ersatz für Kriegsverluste bei den alten Kunden, ebenso im Reparaturgeschäft, was im Hinblick auf die Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft besondere Bedeutung erhielt.

Am 18. März 1946 erteilte dann der „Präsident des Landeswirtschaftsamtes für Groß-Hessen" der Firma Schiele & Co. eine Produktionsgenehmigung in Auftrag der Hessischen Staatsregierung. Mit der Genehmigung wurde der Betrieb zugleich verpflichtet, die genehmigte Produktion unverzüglich aufzunehmen. Die Arbeit im Werk konnte sich langsam konsolidieren.

Einen herben Rückschlag erlitt diese Entwicklung allerdings im Dezember 1947. Am 15. Dezember 1947 teilte das hessische Staatsministerium/Der Minister für Wirtschaft und Verkehr der Betriebsleitung der Firma Schiele & Co. mit, daß „aufgrund der Proklamation der Befehlshaber der Vereinigten Zonen vom 16. Oktober 1947 und nach Anweisung der Militärregierung von Hessen Ihr Betrieb zur Demontage und für Reparationsleistungen herangezogen würde". Eine Reparationsinventur sei unter der Aufsicht der Militärregierung aufzustellen. Sämtliche in dieser Inventur vermerkten Gegenstände galten mit sofortiger Wirkung als beschlagnahmt. Mit der Demontage sei sofort zu beginnen. Die nötigen Arbeitskräfte seien von der Firma zu stellen; die Kosten der Demontage gingen zu Lasten des Staates Hessen. Die nicht für die Demontage vorgesehenen Produktionsmittel konnten im Eigentum des Unternehmens verbleiben, bestehende Produktionsgenehmigungen weiterlaufen. Die US-Militärregierung war allerdings damit einverstanden, daß die durch die Demontage verlorenen und für die laufende Fertigung wichtigen Produktionsmittel wieder ergänzt wurden. Die Wirtschaftsverwaltung des Landes Hessen unterstützte die Wiederbeschaffung, die allerdings dadurch erschwert wurde, daß kaum Maschinen und Ausrüstung in benötigtem Umfang und Qualität zu erwerben möglich war, bedingt durch den allgegenwärtigen Mangel im Zuge der Kriegsfolgen.

Die Firma Schiele & Co. gehörte zu den 51 Betrieben in Hessen, die auf der Demontageliste standen; 30 Betriebe davon waren reine Rüstungsfirmen. Grundsätzlich bestand seitens der Alliierten die Möglichkeit der Teildemontage eines Betriebes oder der totalen Demontage. In Hessen wurden 11 Fabrikanlagen vollständig demontiert. Schiele & Co. wurde nur teildemontiert, was aber faktisch einer Stillegung des Betriebes gleichkam, da alle Maschinen und Geräte, die zur Produktion erforderlich waren, entfernt wurden.

Die eingangs genannte Inventurliste der Maschinen und Werkseinrichtungen („Details of Evaluation") umfaßte bei Schiele 58 Seiten und ist datiert vom 30. November 1947. Auf der Grundlage dieser Liste erfolgte später die Auslieferung der Reparationsgüter. Im einzelnen enthielt die Inventurliste 213 verschiedene Positionen („Items"). Das Gesamtgewicht der erfaßten Maschinen und Einrichtungen betrug 294.380 kg, der Gesamtanschaffungswert wurde mit 460.000 Mark angesetzt, für die damalige Zeit eine enorme Summe.

Anfang 1948 wurde allmählich mit der Demontage in Eschborn begonnen. Bis Mitte Dezember 1948 wurden die Arbeiten von einem durch das Hessische Wirtschaftsministerium bestellten „Beauftragten für Reparationsmaßnahmen" überwacht. Bei laufenden Besuchskontrollen erteilte der Leiter der „Reparations Section" der „Economics Division" der US-Militärregierung für Hessen besondere Anweisungen für den Fortgang und die Durchführung der Arbeiten. Ende Dezember 1948 erging dann die Weisung an Schiele, die Auslieferung der Reparationsgüter zügig umzusetzen.

An folgende Länder mußten diese Güter von Eschborn aus zum Versand per Bahn gebracht werden (in Klammern die Anzahl der Items bzw. das Gewicht in kg):

    Jugoslawien (140 / 232.500 kg)
    Norwegen (40 / 725.600 kg)
    Frankreich (18 / 1.117 kg)
    Indien (6 / 714.343 kg)
    Belgien (5 / 79.600 kg)
    Australien (l / 7 7.800 kg)
    Griechenland (2 / 71.250 kg).

Anfang 1949 wurde mit dem Verladen und dem Versand der Maschinen an die verschiedenen Empfängernationen begonnen. Damit verbunden war vorher die Anfertigung von hölzernen Schlitten, auf denen die Maschinen vor dem Transport festgeschraubt wurden, sowie die Herstellung von Holzkisten für Verpackungszwecke. Die Vorbereitung der Teile für die seemännische Versendung, z. B. nach Indien oder Australien, bestand darin, daß alle Maschinen mit einem Anstrich versehen werden mußten, der besonders die blanken Teile vor der rauhen Seeluft schützen sollte. Die zur Verladung der schweren Teile erforderlichen Kräne und Lastenaufzüge, die im Eigentum der Firma Schiele standen, mußten anschließend selbst demontiert und versandt werden. Auch diese standen auf der Demontageliste.

Die beiden großen 10-Tonnen-Kräne wurden von Spezialmonteuren auswärtiger Firmen abgebaut. Die Empfängerländer waren vor Ort in Eschborn mit Abnahmebeamten der jeweiligen Militärmissionen vertreten, die den Abbau, die sachgerechte Verpackung und den richtigen Versand überwachten. Dieser erfolgte überwiegend auf dem Schienenwege. Nur die nach Übersee bestimmten Auslieferungen (Indien, Australien, Griechenland) wurden durch eine Überseespedition über den Seehafen Hamburg vorgenommen.

Gesamtansicht des Werkes von Südosten, um 1954.

Die Verladung erfolgte ab Bahnhof Eschborn in insgesamt 36 Eisenbahnwaggons; allein die Menge der nach Jugoslawien versandten Güterwaggons betrug 28 Stück. Der letzte Transport verließ den Bahnhof Eschborn am 29. März 1949. Damit waren die Demontage- und Reparationsmaßnahmen bei der Firma Schiele & Co. zum Abschluß gekommen.

Die Demontage wurde im Werk Schiele mit einem Zeitaufwand von 22.235 Arbeitsstunden, einschließlich der Auslieferung, bewerkstelligt. Pro Arbeitsstunde wurden im Schnitt 2,49 Mark angesetzt, was zu einer Gesamtsumme von 55.496 Mark an reinen Lohnkosten führte. An Sachkosten für Material (Holz, Putzwolle, Farbe, Schrauben etc.), Frachtkosten, Kraftstrom usw. wurden 46.154 Mark aufgewendet. Alle Kosten, die mit der Demontage im Zusammenhang standen, wurden von Schiele vorgelegt und später vom Land Hessen rückerstattet. Auch das im Zuge der Demontage für diverse Fahrten benötigte Benzin wurde, nachdem es erst 50-literweise vom Hess. Wirtschaftsministerium zugeteilt wurde - Benzin unterlag damals noch der Zwangsbewirtschaftung - abgerechnet und der Firma ersetzt.

Die Maschinenfabrik im Jahre 1965.

Nach dem Abschluß der Demontage setzte die Werksleitung, unterstützt von der Hessischen Landesregierung und der US-Militärregierung, alles daran, die durch die Demontage in Verlust geratenen Maschinen und Einrichtungen möglichst bald wieder zu ersetzen. Die Produktion sollte nicht stillgelegt - eher ausgeweitet werden. Die dazu erforderlichen Maschinen und Ausrüstungen wurden z. T. auf dem „freien Markt", soweit es diesen damals überhaupt gab, gekauft; anderes wurde z. B. aus Beständen der US-Armee erworben oder aus deutschen Betrieben, die der Vermögenskontrolle unterlagen (wegen Verstrickung der Inhaber in die NSDAP), zur Verfügung gestellt.

Da die finanziellen Möglichkeiten der Inhaber von Schiele damals begrenzt waren, ihr Betrieb in Frankfurt-Bockenheim war durch Bomben total zerstört, stellte die Hessische Landesregierung, im Wege einer Bankbürgschaft, Sicherheiten für angemessene Kredite zur Remontage des Betriebes in Eschborn zur Verfügung. Auf diese Weise konnten die Arbeitsplätze in Eschborn nicht nur erhalten, ja im Laufe der Zeit sogar ausgeweitet werden.

Als im September 1954 der bisherige Inhaber der Firma, Dr. Alfred Luce, verstarb und sein langjähriger Mitarbeiter Walter Geisel seine Nachfolge antrat und die Geschäfte an seiner Stelle weiterführte, hatte der Betrieb schon wieder internationale Verbindungen aufgebaut und unterhielt weltweite Geschäftsbeziehungen. Die Folgen der Demontage waren in ihren Auswirkungen überwunden.

Quellen:
Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 507 und Abt 519
Firmenarchiv der Firma Schiele & Co. (Ein besonderer Dank gilt Herrn Walter Geisel, der die Unterlagen großzügig zur Einsicht freigab.)

Aus: Zwischen Main und Taunus / MTK-Jahrbuch 1998 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors
22.7.05

Besonders “ruinös” hatte allerdings zuvor die Kriegsmaschine der Nazis die sowjetische Wirtschaft und Infrastruktur zerstört. Webmaster