Das Drei-Klassen-Wahlrecht
Das Preußische Wahlgesetz vom 30. Mai 1849, nach der gewaltsamen Beendigung der Frankfurter Nationalversammlung 1848 ohne parlamentarische Mehrheit eingeführt, ist ein Drei-Klassen-Wahlrecht. Es war in Preußen bis 1918 gültig, obwohl der Kaiser in der "Osterbotschaft" vom April 1917 eine Änderung bereits versprochen hatte. Um ein gerechtes Wahlrecht kämpfte und demonstrierte bereits 1890 August Bebel u. a. in Höchst mit 18.000 Menschen. Eine große Kämpferin für eine Reform des Wahlrechts war Rosa Luxemburg, die in Frankfurt am Main 1910 im Schuhmanntheater in einer großen Kundgebung sprach. 1914 mußte sie sich vor dem Landgericht Frankfurt am Main dafür verantworten und wurde verurteilt.
Erst mit der November-Revolution 1918 wurde ein neues Wahlrecht (12. November 1918) eingeführt. Es garantierte geheime, gleiche und freie Wahlen für Männer und Frauen.
Eingeteilt sind die Gemeinden im Drei-Klassen-Wahlrecht in Urwahlbezirke. In den drei Klassen, die nach Steuerleistung gebildet wurden, mußte die gleiche Anzahl von Wahlmännern von den Urwählern in ihrem Urwahlbezirk gewählt werden.
In der ersten Klasse sind die Höchstbesteuerten, zum Beispiel Unternehmer und Fabrikbesitzer, mit einem Anteil von 4,7% vertreten, die zweite Klasse stellten ca. 12,6% der Bevölkerung, während der dritten Klasse ca. 82,6% der Bevölkerung angehörten, hatten aber nicht mehr Wahlanteile als die in den ersten beiden Klassen, obwohl sie den größeren Bürgeranteil stellten. Dieses Wahlsystem diente zur Sicherung
der Vorherrschaft des liberalen Bürgertums. Bis 1908 haben sich die Zahlen kaum verändert. (Siehe auch "Schlaglichter der deutschen Geschichte", Bonn 1986.)
Die erste Seite des Protokolls vom 3. Mai 1888 über die Wahl der Wahlmänner.
Zweite und dritte Seite des o.g. Protokolls.
Für jede nicht zur Einkommensteuer veranlagte Person werden 3 Mark angesetzt. Stimmberechtigt waren nur Männer ab dem 21. Lebensjahr, die mindestens sechs Monate in der Gemeinde wohnten. An der Wahl durfte nicht teilnehmen, wer von der Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln lebte und wer nicht im Vollbesitz der bürgerlichen Rechte war. Für alle aktiven Militärpersonen ruhte ebenfalls die Wahlberechtigung. Nur Wahlmänner waren berechtigt, die betreffende Wahl der Abgeordneten vorzunehmen. Sie selbst brauchten auch nicht der gleichen Klasse, in der sie gewählt worden waren, angehören, mußten aber im gleichen Urwahlbezirk wohnen.
Der Bürgermeister als Wahlvorsteher ernannte aus den anwesenden Urwählern einen Wahlvorstand, bestehend aus einem Schriftführer und drei bis sechs Beisitzern, die er durch Handschlag an Eidesstatt verpflichtete.
Zu der festgesetzten Wahlhandlung haben sich alle Wahlberechtigten der drei Klassen einzufinden und bis zum Ende der Wahlhandlung ihrer Klasse anwesend zu sein. Die Wahlhandlung zur Wahl der Wahlmänner wurde mit der dritten Klasse begonnen. Der Protokollführer ruft die Namen auf. Der Aufgerufene tritt an den Tisch des Wahlvorstehers, nennt laut seinen Namen und den Namen des Wahlmannes, dem er seine Stimme geben möchte. In der vorgefertigten Liste wird dies unter seinem Namen eingetragen. Ist die Wahl einer Abteilung, sprich Klasse, durchgeführt und das Protokoll unterschrieben, dürfen die anwesenden Teilnehmer dieser Klasse das Wahllokal verlassen. (Siehe Faksimile des Protokolls vom 3. Mai 1888 - HHStAW)
Im Jahre 1882 hatten in Eschborn 110 Bürger [= ausschließlich Männer] das Recht zur Wahl, waren sogenannte Urwähler. In der I. Klasse waren es 11 Bürger, in der II. Klasse 19 und in der III. Klasse 80 Bürger. Ein wenig veränderten sich die Zahlen, wie aus der am 3. Mai 1888 stattgefundenen Wahl zum Bürgermeister zu ersehen ist. So waren es in der I. Klasse 9 Urwähler, 18 in der II. Klasse und 67 in der III. Klasse, das sind insgesamt 94 Urwähler, d. h. wahlberechtigte Bürger.
Protokoll zur Bürgermeisterwahl vom 17. November 1908.
Nach einer Statistik gingen in Preußen im Jahre 1861 55,8 %, 1862 61 %, 1863 57,0 % und 1866 60,0 % in der I. Abteilung zur Urwahl. In der II. Abteilung waren es noch 42,4 %, 45,4 %, 44,0 % und 47,5 % in den angegebenen Wahljahren. Von den Berechtigten der III. Abteilung (sprich Dritte Klasse) nahmen nur noch 23,1 %, 30,5 %, 27,3 % und 27,6 % an der Urwahl teil.
Das Protokoll der Bürgermeisterwahl vom 17. November 1908 (siehe Faksimile - HHStAW Abt. 425 Nr. 115) weist 16 abgegebene Stimmen aus, davon eine ungültig und 15 gültig. Für Gottlieb Kerber wurden 12 Stimmen abgegeben, für Wilhelm Michel 3 Stimmen. An dieser Wahl waren drei sozialdemokratische Gemeindevertreter beteiligt, laut Liste der Einladung vom 9. November 1908 Ludwig Börner, Reinhold Epp und Philipp Friedrich Müller, die vermutlich nicht für den konservativen Kandidaten Kerber stimmten, sondern für den Landwirt Wilhelm Michel ihre Stimme abgaben.
Aus:
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