Erste Spuren Eschborner Sozialdemokraten

          Mann der Arbeit, aufgewacht!
          Und erkenne deine Macht!
          Alle Räder stehen still,
          wenn dein starker Arm es will.

          Bundeslied
          Georg Herwegh, 1864

Immerhin vergingen fünfzehn Jahre nach dem Desaster des Paulskirchen-Parlaments 1848 in Frankfurt am Main, bis die Arbeiter, der Vierte Stand, sich besannen, sich selbst zu organisieren und ihre Belange in die eigenen Hände zu nehmen. Der Breslauer Rechtsanwalt Ferdinand Lassalle (1825-1864) legte mit dem "Offenen Antwortschreiben" (1. März 1863) dem "Leipziger Komitee zur Einberufung eines Arbeiterkongresses in Leipzig" ein umfangreiches Dokument über den politischen und sozialen Zustand der Arbeiter vor, auch als Aufruf zur Gründung einer eigenständigen Arbeiterpartei.

In Leipzig gründeten am 23. Mai 1863 Delegierte aus 11 Orten den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" (ADAV), dessen Präsident Ferdinand Lassalle wurde. Leider starb Ferdinand Lassalle ein Jahr später durch ein Duell wegen einer Frau. Der Verein hatte in diesem Jahr etwa 4.600 Mitglieder, ab 1864 mit Johann Baptist von Schweitzer als Vorsitzendem.

Ein weiterer Verein gründete sich in Eisenach am 7.-8. August 1869 als "Sozialdemokratische Arbeiterpartei". Darin sammelten sich u. a. viele Mitglieder aus dem Verband Deutscher Arbeitervereine, der, von liberalen Gegnern der Arbeiter gegründet, ein Gegengewicht zum ADAV darstellte.

Beide Vereine, der ADAV und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, hatten die gleichen Ziele, gingen aber verschiedene Wege. Es gab Versuche der Vereinigung. Am 23.-27. Mai 1875 war es dann auch soweit, auf dem Gothaer Einigungsparteitag. Die Reichsgründung (1871) und eine 1873 einsetzende Wirtschaftskrise waren die zwingenden Gründe zur Versöhnung und Verständigung der Arbeiterschaft. Die Nöte der Arbeiter, Streikkämpfe und Gewerkschaftsfragen drängten zum Zusammenschluß. Hier gab es auch keine Verbindung oder Brücke mehr zur religiösen Arbeiterschaft. Beide Gruppen, die kirchliche und die sozialistische, standen sich als Gegner gegenüber.

Der Vierte Stand019

“Verzeichniß derjenigen Militärpflichtigen, welche beim Aushebungsgeschäft 1899 ausgehoben und der Socialdemokratie und Anarchie angehören.”

Der Vierte Stand020

Auszug aus dem “Mitglieder-Verzeichnis des Kreiswahlvereins im ersten Nassauischen Wahlkreis”, nach dem 6.12.1905 aufgestellt.

Aber auch der Staat, mit Bismarck an der Spitze, bekämpfte die sozialistische Arbeiterbewegung. Am 21. Oktober 1878 wurde das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", das sogenannte "Sozialistengesetz", durch "Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen" im Reichs-Gesetzblatt Nr. 34 verkündet. Es enthielt das Verbot sozialdemokratischer, sozialistischer und kommunistischer Vereine, Versammlungen und Druckschriften. Alle Parteiführer und Agitatoren wurden sofort ausgewiesen. Dieses Gesetz wurde immer wieder verlängert, endete aber 1890. Im gleichen Jahr, am 28. März, wurde Reichskanzler Otto von Bismarck durch den Kaiser entlassen.

Die Maßnahmen durch das "Sozialistengesetz" und die neuen sozialen Versorgungsgesetze erreichten aber bei den Arbeitern nicht die von der Regierung gewünschte Abkehr vom Sozialismus, sondern genau das Gegenteil: die Sozialdemokraten wurden immer stärker. Nach der Eschborner Kirchenchronik wurden 1884 von 127 registrierten Wählern bereits 26 SPD-Wähler gezählt. 1890 wählten von 191 Wählern 60 Sozialdemokraten, und diese Zahl nahm weiter zu bis 1898 auf 104 für die SPD von insgesamt 232 Wählern.

Bisher wissen wir allerdings nicht, wer der Sozialdemokratischen Partei in Eschborn angehörte. Nur durch die geheime politische Berichterstattung der Polizei "über Anarchisten und Sozialdemokraten unter den diesjährigen Militärpflichtigen" vom 15. Januar 1894 (HHStAW) kennen wir die ersten Namen. Es gab zu dieser Zeit noch keinen Ortsverein der SPD.

Musterungs- Jahr

Lfd. Nr.

Vorname, Zuname

geboren am

Berufsbezeichnung

1894

11

Karl Adolf Straßheimer

30.11.1868

Zimmermann

 

7

Josef Heinrich Noß

13.02.1868

Schriftsetzer

 

3

Heinrich Dietz

14.11.1868

Eisendreher

 

9

Johann Christoph Geiger

03.12.1868

Zimmermann

1899

10

Karl Emmerling

06.12.1877

Maurer

1900

263

Karl Karttmann

 

Tagelöhner

1901

7/00

Peter Bäuscher

14.02.1880

Tagelöhner

 

13

Ludwig Eckner

 

Dienstknecht

 

4/01

Martin Bernhard

20.03.1881

Spengler

 

20

Theodor Kunz

18.01.1881

Zimmermann

 

25

Ludwig Lienow

26.07.1881

Bauschlosser

 

28

Eduard Nickel

04.11.1881

Drechsler

1902

 

Ernst Wilhelm Zahn

 

Knecht

 

 

Adolf Kirchner

05.10.1882

Tagelöhner

 

 

Johann Börner

06.09.1882

Schlosser

 

 

Paul Christ

22.01.1882

Zimmermann

 

 

Peter Bäuscher

14.02.1880

Tagelöhner

1910

3 4

Reinhard Isidor Braun

24.06.1888

Zimmermann

 

 

Johann Wilhelm Christ

 

Tagelöhner

 

 

Heinrich Wilhelm Mayer

 

Zimmermann

 

 

Mathias Vogel

 

Fabrikarbeiter

1911

1

Philipp Henning

01.03.1891

Schlosser

 

2

Heinrich Nicolai

08.10.1891

Schlosser

 

3

Philipp Winter

26.01.1891

Zimmermann

Alle aufgezählten Militärpflichtigen wurden in geheimen Polizeilisten als "Anhänger der Sozialdemokratischen Partei" geführt (siehe dazu Abb. oben).

Der Vierte Stand021

Am 1. Januar 1897 wurde der "Kreiswahlverein im ersten Nassauischen Wahlkreis" gegründet, der aus den vormaligen Amtsbezirken Homburg, Usingen, Hochheim, Königstein, Höchst, Idstein und dem Ortsbezirk Rödelheim bestand. In einem Mitgliederverzeichnis, vermutlich aus dem Jahre 1905 (HHStAW, Abt. 420, Nr. 82), sind alle zu dieser Zeit existierenden Filialen aufgeführt, u. a. auch die Filialen Eschborn und Niederhöchstadt (siehe dazu die Abbildung oben).

Gartenlokal Buch in Niederhöchstadt

Das ehemaliges Gartenlokal der Gastwirtschaft Buch in Niederhöchstadt. (Foto: Historische Gesellschaft)

Für die Filiale Eschborn sind 15 Mitglieder aufgeführt mit Name, Geburtstag und -ort und dem Eintrittsdatum. Das älteste Datum hat der Schreiner Philipp Müller mit dem 8. Dezember 1899. Dieses wird als Beginn der Tätigkeit der SPD in Eschborn angesehen, ein Ortsverein wurde 1902 ins Leben gerufen.

Ein Statut des "Sozialdemokratischen Kreiswahlvereins Höchst-Homburg-Usingen", beschlossen in der Generalversammlung zu Eppstein am 10. Juli 1910, ist ebenfalls vorhanden (HHStAW - siehe dazu auch die Abbildung unten).

Im heutigen Stadtteil Niederhöchstadt, bis vor 25 Jahren noch eine selbständige Gemeinde, die zum Obertaunuskreis gehörte, sind ebenfalls frühe Spuren der Sozialdemokraten festzustellen.

In der Beilage zur Frankfurter "Volksstimme" vom 21. Oktober 1894 lesen wir zum Beispiel die Notiz, daß das "Versammlungslokal der SPD in Niederhöchstadt sich in der Gastwirtschaft Buch" befindet. Anzumerken ist dazu, daß auch die Wirte Schwierigkeiten mit den Brauereien bei der Belieferung bekamen, wenn sie Sozialisten regelmäßig ihre Räume als Versammlungslokal zur Verfügung stellten.

Der Vierte Stand023

Die erste Seite des 1910 in Eppstein beschlossenen “Statut des Sozialdemokratischen Kreiswahlvereins Höchst-Homburg-Usingen”

In einem Artikel in der "Volksstimme" vom 20. März 1901, der über eine stark besuchte Volksversammlung in Sossenheim im "Nassauer Hof" berichtete, heißt es u. a.: "Genosse Strobel, Niederhöchstadt, legte in sachkundiger, eingehender Weise die Verhältnisse der kleinen Landwirte dar und zerstörte die Legende der Zentrums-Redner, daß die Sozialdemokraten den Bauernstand vernichten wollten."

Auf einer alten Liste der "Gemeindeglieder und sonstigen Stimmberechtigten" der Gemeinde Niederhöchstadt (Stadtarchiv Eschborn - siehe dazu die Abbildung auf den Seiten 58/59) steht unter der Nr. 16 ein Franz Strobel aus Niederhöchstadt, 32 Jahre alt, der 18 Mark Steuern zahlte und Metallschleifer von Beruf war, 1872 geboren. 1904 ist er nach Bockenheim verzogen.

Im Jahre 1919, am 7. Januar, finden wir ihn wieder, unter der Nummer 16 auf der Rednerliste des 1. Nassauischen Kreiswahlvereins in Höchst am Main verzeichnet. Für die dort aufgeführten Personen wird ein Reisepaß beantragt, um das damals französisch besetzte Gebiet für die bevorstehende Nationalwahl zum Reichstag und Landtag bereisen zu dürfen. (HHStAW - siehe Abbildung oben).

In der - bereits auf Seite 60 erwähnten - im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden befindlichen Mitgliederliste steht die Filiale Niederhöchstadt von 1905 mit 7 registrierten Mitgliedern. Das älteste Mitglied ist der Spengler Curt Vorndran, geboren ist er am 14. August 1872 zu Unterteutschental und am 12. Juli 1902 in die SPD eingetreten (siehe Abbildung oben).

Aus:
Der Vierte Stand-200-00207