Klistierspritzen und Maulwurffänger
Eschborn: Stadtarchivar Gerhard Raiss gräbt Kuriositäten in alten Rechnungsbüchern aus

Von Claudia Horkheimer

Wenn die Freiwillige Feuerwehr von Eschborn vor einhundert Jahren zum Tanz einlud, mußte sie zehn Mark Lustbarkeitssteuer an die Gemeinde abdrücken. Dem Krieger- und Militärverein hingegen wurde diese Abgabe für seine Feste erlassen. Das ist nicht die einzige Kuriosität, die Stadtarchivar Gerhard Raiss in einem alten Rechnungsbuch von 1910 entdeckte. Damals wie heute zeichnete die Gemeinde sämtliche Einnahmen und Ausgaben akribisch auf.

Von der wenige Pfennige teuren Klistierspritze, die die Gemeindehebamme benötigte, bis zu den Ausgaben für den Maulwurffänger (er verdiente 140 Mark im Jahr) wurde jeder Zahlungsvorgang in fein säuberlicher Handschrift festgehalten - „eine einmalige Gelegenheit, das pralle Alltagsleben nachzuvollziehen", schwärmt Raiss. Insgesamt 594 Belege wertete er aus; heutzutage komme die Stadt auf 80 000.

Nur die Umstände ändern sich

Die Rechnungsbücher im Stadtarchiv gehen bis in die napoleonische Zeit zurück, das älteste stammt von 1790. Raiss hat es sich zur Gewohnheit gemacht, jeweils zum Jahresbeginn einen Blick in das jeweils einhundert Jahre alte Rechnungsbuch zu werfen. Dabei kommt er zu dem Schluß: „Die Menschen ändern sich eigentlich nicht." Doch die äußeren Umstände tun es sehr wohl.

1910 hatte Eschborn gerade einmal 1454 Einwohner und war stark landwirtschaftlich geprägt. Der Bürgermeister übte sein Amt noch nebenberuflich aus und bekam dafür 1500 Mark im Jahr, der hauptberufliche Ortspolizist 1200, der Feldhüter 700 und die Hebamme 230. Man war stolz auf die Milchwirtschaft; täglich fuhren die Bauern bis nach Kronberg, Höchst und Frankfurt, um dort den weißen „Kuhsaft" feilzubieten. Die Gemeinde besaß drei Zuchtbullen, von denen einer für stolze 650 Mark an Adolf Gutenstein in Frankfurt verkauft wurde, weil er nicht mehr zur Zucht taugte. Der Gemeindeziegenbock ging hingegen für 20 Mark weg, wie aus dem Rechnungsbuch hervorgeht. Wie viel eine Mark wert war, zeigt ein anderer Posten: Am 27. Januar spendierte die Gemeinde anläßlich des Geburtstags des Kaisers 100 Brezeln im Wert von zehn Mark an die Schulkinder. Als weitere Ausgaben für das Schulhaus sind 26 Liter Tinte, ein Glas rote Tinte, 30 Schulzeugnisse und ein Bund Papier auf der Ausgabenseite verbucht. Doch wer seinen Nachwuchs nach der Schule zum Stehlen von Obst und Kartoffeln auf die Felder schickte, wurde zur Kasse gebeten. 1,50 Mark mußte ein Vater zahlen, weil er seine Tochter zum Äpfelklauen angeregt hatte. Die Auflistung von Strafgeld macht einen Großteil des Rechnungsbuches aus, wobei nur kleinere Delikte von der Gemeinde selbst geahndet wurden. So etwa als Landwirt Berthold Junghenn „Nachts um ein Viertel nach Elf Uhr ohne Beleuchtung Fahrrad fuhr", kostete ihn das eine Mark. Genauso viel zahlte, wer nach der Polizeistunde noch unterwegs war. Mit 1,50 Mark wurde auch Fuhrmann Heinrich Flügel belangt, weil er auf dem Bock eingenickt war. Insgesamt nahm Eschborn in einem Jahr 346 Mark Strafgeld ein. Dazu kamen das Sühnegeld, das gezahlt werden mußte, wenn man mit jemandem Krach hatte, erzählt Raiss.

„Damals gab es praktisch keine Privatsphäre", sagt Raiss. Jeder kannte jeden, in den Gasthäusern tauschte man sich aus und dort standen auch die Armenbüchsen, die einmal im Jahr geleert wurden. Allerdings hatten die Bürger offenbar nicht viel zu verschenken. Gerade einmal 9 Pfennig kamen im Gasthaus von Ludwig Dahlem zusammen, 45 Pfennig im heutigem Goldenen Hirsch. In der Bürgermeisterei waren es immerhin zwei Mark. Fast doppelt soviel kosteten sechs Schlösser, die die Gemeinde für die Spendendosen anfertigen ließ.

Wie heute stand Eschborn schon damals finanziell gut da. Bei Gesamteinnahmen von mehr als 53.000 Mark blieb ein Überschuß von fast 6.000 Mark. Dieses Geld wurde bei der Nassauischen Sparkasse angelegt. Und man war auch schon damals spendabel: Fünf Mark gingen jeweils „an die Idiotenanstalt in Scheuer und an ein Waisenhaus zu Jerusalem".

Es gab auch schon Großbauprojekte: 1910 stand für 1210 Mark der Bau einer Leichenhalle an. Doch eins war früher anders: Für die 199 im Ort lebenden Hunde wurde Steuer erhoben. Die brachte der Gemeinde satte 348 Mark ein.

Frankfurter Rundschau -3.2.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Und so berichtet das Höchster Kreisblatt.