Karl Hopf, ein Massenmörder aus Niederhöchstadt
GERHARD RAISS

Einen der sensationellsten Strafprozesse unseres Jahrhunderts in Deutschland erlebte Frankfurt kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges. Der Drogist, Fechtlehrer und Hundezüchter Karl Hopf war des mehrfachen Mordes an seinen Familienangehörigen angeklagt. Er sollte sie alle mit Gift und Bakterien umgebracht haben.

Geboren wurde Hopf in gutbürgerlichen Verhältnissen 1863 in Frankfurt. Er verließ die Musterschule nach der Untersekunda und begann in London eine Drogistenlehre, lebte zeitweise in Casablanca (Marokko), reiste nach Indien, mußte das Land aber wegen einer Malariaerkrankung verlassen. In England und Marokko ließ er sich im Florett- und Säbelfechten ausbilden, was er mit großer Perfektion beherrschte. In London erwarb er sogar einen Weltmeistertitel in der Kunst des Säbelfechtens. Um die Jahrhundertwende ließ er sich in dem damals kleinen Taunusdorf Niederhöchstadt, heute ein Stadtteil von Eschborn, nieder und begann eine Hundezucht. Auch in diesem Metier war er recht erfolgreich. Er entwickelte ein probates Mittel gegen die Hundestaupe und verfaßte ein Buch mit dem Titel „Der St. Bernhardshund"; für einen seiner Hunde erhielt er die für damalige Zeiten enorme Summe von 10.000 Goldmark beim Verkauf!

Im Frühjahr 1902 heiratete er in Niederhöchstadt seine erste Frau Josefa geb. Henel, die noch im selben Jahr am 28. November nach kurzer Krankheit verstarb. Aus ihrer Lebensversicherung erhielt er 20.000 Goldmark ausbezahlt. Bald darauf heiratet er zum zweiten Male: Auguste Christine geb. Schneider war 20 Jahre jünger als er. Auch sie bekam sehr bald gesundheitliche Probleme und wurde mehrfach von ihren Eltern gesund gepflegt. Jedesmal, wenn sie wieder in Niederhöchstadt bei ihrem Ehemann zurück war, setzten die Beschwerden erneut ein. Sie ließ sich von Hopf scheiden und verließ ihn. Dennoch verstarb sie bald darauf.

Hopf konnte die auf sie abgeschlossene Versicherung von 30.000 Goldmark nicht kassieren. Sein Töchterchen Elsa aus dieser Ehe starb bereits 1906 in Niederhöchstadt.

Er verkaufte sein Anwesen in der Katharinenstraße in Niederhöchstadt 1908 und zog nach Frankfurt. Die Hundezucht gab er auf und verlegte sich auf das Variete. Er trat unter dem Künstlernamen „Athos", einer der drei Musketiere, als Meister im Florett- und Degenfechten auf. Mit Leichtigkeit konnte er eine in die Luft geworfene Frucht im Fallen zerteilen. Besonders gerne zeigte er sich in einer Kapitänsuniform mit zahlreichen Medaillen an der Brust auf der Bühne und führte seine Kunststücke mit dem Degen vor; er konnte mit einem Hieb einen an den Hinterbeinen aufgehängten Hammel zerteilen. Als „Captain Charles Vernon" hieb er seiner Mitarbeiterin mit einem gezielten Schlag einen Apfel entzwei, den sie sich im Sitzen und nach hinten gelehnt, auf ihren Hals gelegt hatte.

Im Jahre 1912 heiratete er in London zum dritten Male. Seine in Dresden geborene Frau Wally geb. Siewec versicherte er nun mit 80.000 Goldmark „auf Gegenseitigkeit", allerdings bei einer anderen Versicherungsgesellschaft. Auch Wally erkrankte sehr bald an einer schrecklichen Magen-Darmsache. Hopf bemühte sich scheinbar sehr um seine Frau, gab ihr ohne Unterlaß Medizin und war immer um sie herum. Erst als es den Eltern von Wally gelang, sie in das Diakonissenkrankenhaus nach Frankfurt einliefern zu lassen, ging es ihr wieder besser. Zum Glück praktizierte zu der Zeit ein anerkannter Facharzt für Toxikologie, Dr. Rossmann, in diesem Krankenhaus. Er erkannte sofort, daß Frau Wally Hopf an den Symptomen einer starken Vergiftung litt. Karl Hopf besuchte seine kranke Frau täglich, brachte ihr Blumen und andere Aufmerksamkeiten mit.
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Karl Hopf (1863-1914), der Massenmörder aus Niederhöchstadt.
 

Dr. Rossmann schloß sich mit dem zuständigen Kriminalisten von Salamon kurz, der nach umfangreicher Überzeugungsarbeit beim Haftrichter einen Haftbefehl für Hopf erwirkte. Von Salamon erinnerte sich dunkel, daß er einige Jahre zuvor in der Zeitung gelesen hatte, daß im Vordertaunus ein Mann ähnlichen Namens in eine polizeiliche Untersuchung geraten war, da er nach Ansicht von Nachbarn seine Frauen und sein Töchterchen vergiftet hatte. Verschiedene Tageszeitungen, darunter der „Taunusbote" und das „Höchster Kreisblatt", hatten von diesen Vermutungen berichtet und waren von Hopf im Wege einer Zivilklage zum Schweigen gebracht worden. Der Chefredakteur des „Wiesbader Tageblatt", der die Meldungen ebenfalls verbreitet hatte, mußte 200 Mark Geldstrafe deswegen bezahlen. Damals hatten die Ermittlungen keinen Erfolg.

Mit diesem Wissen im Hintergrund ging die Kriminalpolizei erneut ans Werk. Bei einer Haussuchung in der Wohnung Hopfs fanden sich große Mengen verschiedener hochkonzentrierter Gifte, darunter Arsen, Fingerhutgift (Digitalis) und lebende Kulturen von Typhus- und Cholera-Bazillen. In Hopfs Korrespondenz fand sich z. B. ein Brief an ein Wiener bakteriologisches Institut. Dort hatte er seine Reinkulturen für Typhus und Cholera bestellt, sich sogar schriftlich beklagt, über die „sehr mangelhafte Wirkung beim Menschen"; in Wien hatte man statt „Menschen" das Wort „Meerschwein" gelesen. Hopf gab bei der Vernehmung an, daß er die Gifte und Bazillen zum Experimentieren und zur Herstellung von Medizin für seine Hunde gebraucht hätte.

Bei der Haussuchung durch den vereidigten Gerichts-, Zoll- und Handelschemiker Dr. G. Popp in Hopfs Wohnung wurden neben den Giftmengen auch noch andere pikante Dinge gefunden, die auf den Charakter und die geheimen Leidenschaften Hopfs schließen ließen: Ruten, Peitschen, seidene Rocke, Damenunterkleider und insbesondere Fotos, auf denen der Beschuldigte beim intimen Zusammensein mit „nicht näher bekannten Frauenspersonen" nur mit Socken, Sockenhaltern und einer Maske bekleidet war.- Der „Frankfurter Verein für Hundefreunde", dessen Mitglied Hopf war, schloß ihn u.a. aus diesen Gründen aus. Bei Hopfs Festnahme am 14. April 1913 im Krankenhaus hatte er in seiner Westentasche ein Fläschchen mit Zyankali bei sich. Dies wollte er, so sagte er später, eigentlich im Falle seiner Verhaftung trinken und sich damit umbringen. Allein, die Kriminalpolizei war schneller, und die Handschellen schnappten zu.
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Wally Hopf überlebte die Mordanschläge mit Arsen und Typhusbazillen. Karl Hopf hatte seine dritte Frau mit 80.000 Goldmark versichert.

Der Prozeß vor dem Schwurgericht begann am 19. Januar 1914 in Frankfurt. Der Saal, in dem die Verhandlung stattfand, war sogleich überfüllt. Zahlreiche Neugierige warteten auf der Straße vor dem Justizgebäude. Der Verkehr brach zusammen. Zum Teil wurden Wagen, die am Straßenrand standen, gegen Geld als Tribünenplätze vermietet. Acht Photographen und einige „Kino-Operateure" lauerten auf der Straße auf eine Chance für ihre Aufnahmen von Hopf. Über 64 Zeugen und Sachverständige waren geladen und wurden gehört. Bei der umfangreichen Verhandlung kam ans Tageslicht, daß Karl Hopf seinen Vater, seine erste Frau, seinen unehelichen Säugling und sein Töchterchen Elsa aus seiner zweiten Ehe mit Gift ermordet hatte. Allen Ermordeten hatte er heimlich, teilweise über längere Zeit, Gift zugeführt, meist versteckt in Nahrungsmittel und Getränken. Die daraufhin erfolgten Störungen im Magen-Darmbereich hatte er, unter dem Vorwand diese kurieren zu wollen, erneut mit Gift oder Bazillen verschlimmert - bis hin zum Tode der Patienten. Sein besonders ruchloses Vorgehen wird z.B. daran sichtbar, daß er seiner dritten Frau Wally zwar Blumen mit ins Krankenhaus gebracht hatte, diese Blumen aber vorher mit tödlichen Bazillen besprüht hatte. Die von den Ärzten gegen die Durchfalle verordnete Opiumtinktur hatte er heimlich gegen Digitalis (Fingerhutgift)-Tinktur vertauscht und sie der Kranken eingegeben.

Durch die Exhumierung der Leichen aller seiner verstorbenen Angehörigen (seiner Eltern, seiner beiden Frauen, seiner Kinder) hatten die Gerichtschemiker erstmals in der Kriminalgeschichte die Möglichkeit, auf wissenschaftlichem Wege den Giftnachweis in den Knochen und Leichenteilen zu führen. Dazu kam, daß Hopf, der bei den Exhumierungen der Leichen auf dem Friedhof mit anwesend sein mußte, unter dem Eindruck der Situation am geöffneten Grab und durch die Last der Beweise, ein Geständnis ablegte.
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Am 23. März 1914 wurde Karl Hopf im Strafgefängnis Frankfurt-Preungesheim durch Enthauptung hingerichtet (Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 407/Zugang 68 aus 1991. Akte Hopf).

In seinem Plädoyer nannte der Staatsanwalt Hopfs Methode zu töten „eine neue Art des Mordens, die man wohl als wissenschaftlichen Mord bezeichnen muß." Hopf habe mit wahrhaft teuflischer Berechnung gearbeitet. Nach sechs Verhandlungstagen zogen sich am 17. Januar 1914 die Geschworenen um 15.08 Uhr zur Urteilsfindung zurück. Nach einer Stunde und 20 Minuten hatten sie einen einstimmigen Urteilsspruch gefällt: schuldig des mehrfachen Mordes und des mehrfachen Mordversuches wurde Karl Hopf zum Tode verurteilt. Er hatte nachweislich seinen Vater, seine erste Frau, seinen unehelichen Säugling und sein Töchterchen Elsa aus zweiter Ehe durch Gift umgebracht. Dazu wurde er noch dreier Mordversuche - ebenfalls durch Giftbeibringung - an seiner Mutter, seiner zweiten und dritten Frau für schuldig erkannt.

Im Alter von 51 Jahren wurde Hopf am 23. März 1914 um 7.00 Uhr morgens im Hof des Königlichen Strafgefängnisses Preungesheim durch das Fallbeil hingerichtet. Es wird berichtet, daß Karl Hopf bis zum letzten Augenblick keinerlei Reue gezeigt, habe, in starrer Ruhe wie geistesabwesend, und ständig rauchend habe er die letzten Tage verbracht. Den Pfarrer, der ihn vor seiner Hinrichtung noch einmal besuchte, habe er keines Blickes gewürdigt. Als Henkersmahlzeit verzehrte er Wurst und Brot. Um 7.04 Uhr wurde sein Tod festgestellt. Da sein Leichnam von keinen Angehörigen beansprucht wurde, ließ man ihn in die Universität Marburg bringen, wo er den Studenten zu Lehrzwecken diente.

Der Prozeß gegen den Massenmörder Karl Hopf war weltweit der erste Indizienprozeß, bei dem es Chemikern gelang, einen Giftmörder aufgrund von umfangreichen chemischen Analysen zu überführen.

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1994 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors