Schultheiss Michel

Der Herr Schultheiß und die Umbettung der Toten
Johann Balthasar Michel tat viel für Eschborn – gedankt wurde es ihm nicht

Eschborn. Größere Umgestaltungen im Ortskern hat es in Eschborn auch früher schon gegeben. Stadtarchivar Gerhard Raiss schildert im MTK-Jahrbuch, was sich dabei Mitte des 19. Jahrhunderts zugetragen hat.

Gelegentlich wird das Amt des Schultheißen mit dem heutigen Bürgermeisterposten gleichgesetzt. Der Vergleich hinkt aber, denn des Schultheißen wichtigste Aufgabe war die Vertretung der Interessen des Landesherrn im Ort. Johann Balthasar Michel, Schultheiß von 1833 bis 1848, nutzte diese Autorität aber, um etwas im Sinne der Eschborner zu unternehmen. Gedankt haben sie es ihm nicht.

Stadtarchivar Raiss beschreibt Michel, geboren 1793, als «zielstrebigen jungen Mann». Das erstreckte sich auf verschiedene Gebiete: Bei seinem Vater erlernte er das Schreinerhandwerk und betrieb später eine eigene Werkstatt. Mit Margarete Veronica Henrich aus Kronberg, die er im April 1818 heiratete, hatte er acht Kinder. Am 27. April 1833 wurde er zum Schultheiß ernannt.

Im gleichen Jahr wurde die Straßenverbindung nach Steinbach ausgebaut, zu diesem Zweck mußte aber der Verkehr in Eschborn neu geregelt werden. Denn die Durchfahrt auf der heutigen Hauptstraße war durch den rund um die Kirche gelegenen Friedhof versperrt. Michel ließ daher nicht nur den Westerbach verlegen und eine neue Straßenbrücke darüber bauen, sondern verfügte auch, daß ein Teil des Friedhofes dafür verwendet werden sollte. Zwar hatte die Gemeinde ein Grundstück für einen neuen Friedhof erworben. Aber als ein Teil der alten Gräber abgeräumt wurde und dabei einige Tote noch recht unversehrt zum Vorschein kamen, erregte dies Unmut in der Bevölkerung.

Die Stimmung im Ort war in diesen Jahren ohnehin nicht gut. Zwar war Leibeigenschaft, nicht aber der Zehnte abgeschafft worden. Diese Abgabe konnte zwar durch eine Einmalzahlung abgelöst werden, aber die Bauern mußten dafür Schulden machen, deren Rückzahlung sie vor erhebliche Probleme stellte. Und die gleiche Obrigkeit, die dafür verantwortlich war, störte nun in Person des Schultheißen die Totenruhe auf dem Friedhof.

Und kaum war die Straße fertig, hatte Michel schon ein neues Projekt im Kopf. Daß ein neues Schulhaus gebraucht wurde, konnte keiner bestreiten, denn in dem alten Gebäude Oberortstraße 21 war nur für 80 Kinder Platz, zum Unterricht aber kamen über 150. Michel konnte sich ihrer Unterstützung der Nassauischen Landesregierung sicher sein, auch bei der Auswahl des Bauplatzes. Und er entschied sich für den Platz gleich neben der Kirche, wegen seiner zentralen Lage und weil er schon der Gemeinde gehörte.
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Die Unterschrift des Schultheißen Johann Balthasar Michel.

Der Plan hatte den Schönheitsfehler, daß wieder ein Teil des alten Friedhofes in Anspruch genommen werden mußte. Das löste im Ort Bestürzung aus, sowohl der Pfarrer als auch der Lehrer ergriffen die Partei der Bürger. Als der Geistliche von der Kanzel herab das Ausgraben der Leichen kritisierte, eröffnete die herzogliche Landesregierung ein Verfahren gegen ihn – man witterte revolutionäre Bestrebungen. Das ist keine Überraschung – ein paar Jahre zuvor hatte sich wenig entfernt in Hofheim der Unmut der Bürger gegenüber der Regierung im Protest gegen ein aufgezwungenes Schulbauvorhaben entladen.

Allerdings versuchte die Regierung in Eschborn die Wogen zu glätten, der Schultheiß wurde ermahnt, mit den Leichen pietätvoller umzugehen. Diese wurden dann auch in angemessener Form umgebettet, wenn auch auf Eschborner Kosten. Schultheiß Michel konnte wohl von Glück reden, daß er wenigstens die knapp kalkulierten Kosten des Schulhausbaus einhalten konnte. Der Umgang mit den Toten vergaßen die Eschborner ihm aber nicht, im Zuge der revolutionären Ereignisse 1848 verlor er sein Amt. Michel starb am 24. Juni 1854 in Eschborn.

Wer mehr Details wissen möchte, besorgt sich das MTK-Jahrbuch 2011 im Kreishaus, verschiedenen Rathäusern oder im Buchhandel für 7 Euro. Oder, selbstverständlich: im Archiv/Museum Eschborn.

Höchster Kreisblatt - 10.1.11 - mit freundlicher Erlaubnis des HK