Ziegeleien in Eschborn und Niederhöchstadt
GERHARD RAISS

Schon vor etwa zweitausend Jahren hatten die Römer erkannt, dass das Gebiet zwischen Main und Taunus ausgezeichnete Ton- und Lössvorkommen bietet, die sich zur Herstellung von Ziegeln besonders gut eignen. Aus diesem Grund errichteten sie in Nied, heute ein Stadtteil von Frankfurt, eine ihrer bedeutendsten Militärziegeleien im Rhein-Main-Gebiet, der damaligen römischen Provinz Obergermanien. Mit den dort hergestellten Ziegeln wurden der größte Teil der Limeskastelle sowie das Legionslager Mainz erbaut. Der dazu notwendige Lehm kam allerdings aus Gruben bei Kelkheim-Münster und musste von dort erst nach Nied transportiert werden. Die fertigen Ziegel wurden dann auf dem Main verschifft. Die römische Ziegelei bei Nied arbeitete bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. Bis zu 12 Meter mächtig liegt der Ton im Vordertaunus, direkt an der Oberfläche. Es ist daher nicht notwendig, vorher größere Mengen Abraum zur Seite zu schaffen, man kann mit der Förderung direkt im Tagebau beginnen. Löss ist ein Verwitterungs- und Abtragungsprodukt der Erdkruste aus dem Tertiär, das vom Wind angeweht wurde. Durch Entkalkung und Umlagerung entstand daraus Lehm, das Ausgangsprodukt für alle gebrannten Ziegel.

Zur Technik der Ziegel-, besser Backstein- (= gebackener Stein) Herstellung in der frühen Zeit sei folgendes bemerkt. Man bewerkstelligte sie in der Form des sog. Feldbrandes, das heißt dicht bei der Lehmgrube, wurden auch die mittels Holzformen einheitlich vorgeformten Ziegel hergestellt, die an Ort und Stelle auf dem Feld zu einem Meiler aufgebaut, im Innenraum mit Brenngut (Holz, Kohle) gefüllt und angezündet wurden. Der Brennvorgang dauerte, bis zur Erkaltung der fertig gebrannten Ziegel, je nach Größe des Meilers, 4-6

Wochen. Auf diese Weise stellte man pro Feldbrand einige Tausend Ziegel her, die vom Herstellungsort mit Pferdefuhrwerken direkt an die Baustellen gefahren und dort vermauert wurden.

Messerschmitt in Niederhöchstadt

Aus Niederhöchstadt ist uns seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts diese Form der Ziegelherstellung bekannt. Wir wissen von Philipp Gundlach, der 1842 im Alter von 50 Jahren mit seiner Familie von hier nach Illinois in Amerika ausgewandert ist und vorher seine Backsteinfabrik in Niederhöchstadt an die Familie Messerschmitt verkauft hat. Ein Nachfahre dieses Philipp Gundlach, der Rechtsanwalt Frank Gundlach, der immer noch in Illinois/USA lebt, hat kürzlich das Eschborner Stadtarchiv besucht und sich über seine Vorfahren erkundigt.

Im „Staats- und Adress-Handbuch des Herzogtums Nassau für das Jahr 1845" finden wir für Niederhöchstadt angegeben, dass dort 88 Familien mit 378 Einwohnern lebten, außerdem eine Mühle, sind eine Backsteinbrennerei (!) und ein Kalkofen erwähnt. Dies kann nur die Messerschmitt'sche Backsteinfabrik gewesen sein. Erwähnenswert ist, dass zum Beispiel auch in Schwalbach zwei Ziegelhütten und in Oberhöchstadt sechs Ziegelhütten für 1845 aufgeführt werden.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde auf der Ziegelei in Niederhöchstadt ein großer fest gemauerter Brennofen, ein sog. Ringofen, mit hohem Schornstein erbaut, außerdem zahlreiche hölzerne Trockengestelle, in denen die frischen, ungebrannten, aber bereits geformten Ziegel, „Grünlinge" genannt, vor dem Brennen vorgetrocknet wurden. In der Blütezeit der Niederhöchstädter Ziegelei besaß der Eigentümer Messerschmitt außerdem noch über zwölf Pferdegespanne, mit denen er seine Ziegel transportierte, aber auch sonst im Fuhrgeschäft tätig war. Die Messerschmitt'sche Ziegelei in Niederhöchstadt war bis vor dem Zweiten Weltkrieg im Familienbesitz, wenn sie auch in den letzten Jahren ihrer Produktion an die Firma Hochtief verpachtet hatten, die den Betrieb weiterführte.

Die Ziegelherstellung wurde mit Beginn des Zweiten Weltkrieges eingestellt.

Die Niederhöchstädter Ziegelei hatte ihre Abbau- und Produktionsstätten, die dicht zusammen lagen, etwa in dem Bereich, der heute begrenzt wird von der Bahnlinie Eschborn-Niederhöchstadt, dem Friedhof Niederhöchstadt und der Hessenallee. Das Gelände ist jetzt überwiegend mit Wohnhäusern überbaut. Die Messerschmittstraße in Niederhöchstadt ist nach der Familie des Ziegeleibesitzers benannt.

Anzumerken wäre hier, dass die Mehrzahl der in Niederhöchstadt und Eschborn verantwortungsvoll eingesetzten Ziegelmeister, hießen sie nun Depping oder Junker, aus dem Lippischen (Westfalen) kamen und ihre Fachkenntnis von dort mitbrachten. Sie zogen andere Ziegeleifacharbeiter nach. In den Protokollen für die Ziegelei-Berufsgenossenschaft über kleinere Unfälle in den Betrieben lesen wir von uns heute seltsam anmutenden Berufsbezeichnungen, wie Einschieber, Aufkarrer, Lehmlader oder Einspetter. Brenner und Ziegler sind uns dabei noch verständlich.

Die Eschborner Ziegelei Rübsamen

Auch in der Eschborner Gemarkung ist der ergiebige Lehmboden weit verbreitet und lohnte damals den Abbau und die Verarbeitung vor Ort.

Hier war es Adolf Ostertag, 1839 in Ratingen/Westfalen geboren und später nach Eschborn gezogen, der die ersten Ziegel gegen Ende des 19. Jahrhunderts mittels Feldbrand herstellte. Er arbeitete in seiner besten Zeit mit 18 Helfern auf dem Gebiet, das heute von der Hauptstraße, der Bahnhofstraße und Schwalbacher Straße begrenzt wird. Er besaß vier Wagen und vier Pferde in seinem Betrieb. Außerdem hatte er einen Milchhandel mit einem Pferdegespann angemeldet. Wann genau und warum er die Backsteinfabrikation eingestellt hat, ließ sich leider nicht ermitteln. Es muss aber etwa um 1900 gewesen sein.

Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann der aus Bad Soden stammende Heinrich Rübsamen in Eschborn mit der Backsteinbrennerei auf dem Gelände der heutigen Heinrich-Graf-Sportanlage / Süd-West- Schule. Auch dort stand der dazu notwendige Lehm viele Meter hoch an. Im Jahre 1890 baute Rübsamen, der seinen Bruder, den Eisenbahnbauinspektor August Rübsamen, und später auch seinen Neffen, Victor Rübsamen, beide wohnhaft in Frankfurt am Main, in die Eschborner Firma aufnahm, seinen ersten Brennofen, dazu Stallungen für Pferde, Werkstätten und ein Wohnhaus sowie Unterkünfte und ein Badehaus für seine Arbeiter auf dem Fabrikgelände.

In Jahren der Prosperität beschäftigte die Firma Rübsamen & Co., Ziegelwerke, Eschborn, im Sommer über 60 Arbeiter (1921) und im Winter etwa 30. Etwa um 1926 geriet der Betrieb, nunmehr Ziegelwerke Eschborn, erstmals in finanzielle Schwierigkeiten. Die Gebrüder Rübsamen schieden teilweise aus der Firma aus und der Chemiker Dr. Walter Schäffer aus Frankfurt am Main wurde neuer Miteigentümer.

Allerdings konnte auch er die Finanzprobleme der Firma nicht lösen. Obwohl es im Stadtarchiv Eschborn einen Beleg gibt, dass die Nassauische Heimstätte im Dezember 1930 noch 250.000 Stück I a hartgebrannte Ringofensteine, deutsches Normalformat, von dort kaufte, erfahren wir durch ein Schreiben von Dr. Schäffer vom August 1934 an die Gemeinde Eschborn, dass er seine Steuerschuld nicht begleichen könne, da der Betrieb seit September 1930 still liege und er keinerlei Einnahmen mehr aus der Firma hätte.

Aus einer Meldung über die Anzahl der in seiner Firma mit der Ziegelherstellung beschäftigten Personen aus den Jahre 1934 bis 1938 für die Gewerbestatistik erfahren wir dann aber, dass in diesen Jahren zwischen 34 und 39 Arbeiter bei „Rübsamen und Co" in Lohn und Brot standen. Endgültig wurde die Ziegelproduktion dann aber 1941, kriegsbedingt, eingestellt. Einmal durch den Mangel an Arbeitskräften und Brennmaterial (Kohle) zum Heizen des Brennofens, aber auch weil der hohe gemauerte Schornstein des Ringofens abgebrochen werden musste, da er in unmittelbarer Nähe zum Militärflugplatz Eschborn stand und die Flugbewegungen beeinträchtigte. Die Eschborner Bevölkerung konnte mit dieser Tatsache der Schließung gut leben, da sie die große Menge der hölzernen Hürden zum Vortrocknen der rohen Steine als willkommene Brennholzquelle ansahen, insbesondere nach Kriegsende, als Brennmaterial besonders knapp war.

Das Gelände lag erst einmal brach, bis sich 1948 der Kleinunternehmer Karl Mittelstaed mit einer Heilerdefabrik dort ansiedelte und den Lehmboden auf andere Weise nutzte. Sein Geschäft konnte sich aber auch nicht lange halten.

In der zum ehemaligen Betrieb gehörenden Scheune startete am 1. April 1963 das Zweite Deutsche Fernsehen mit seiner ersten Sendung. Durch die alsbaldige Verlagerung des ZDF von Eschborn nach Wiesbaden und dann nach Mainz, konnte das Gelände schließlich anderweitig genutzt werden. Vorher waren die Lehmkuhlen alle mit Trümmerschutt aus Frankfurt verfüllt worden. Es entstanden an der Stelle Wohnhäuser, die Süd-West-Schule und die Heinrich-Graf-Sportanlage.

Die Gebrüder Helfmann und Hochtief in Eschborn

Die größte und bedeutendste Ziegelei Eschborns war die der Gebrüder Helfmann, später Hochtief, auf dem Areal des heutigen Novotels, Dorint-Hotels und Real- bzw. Lidl-Einkaufsmarktes und der Eurohypo AG (Helfmannpark).

Die Brüder Philipp und Balthasar Helfmann stammten aus Kelsterbach. Bereits ihre Eltern betrieben bei Weißkirchen eine kleine Feldbrandziegelei. Von daher stammte ihr Wissen um die Ziegelherstellung. Über die Ziegel kamen die Brüder zu einem eigenen Baugeschäft, welches 1875 gegründet wurde und die Keimzelle der späteren Hochtief Aktiengesellschaft für Hoch- und Tiefbau, vorm. Gebr. Helfmann, wurde.

Im Jahre 1896 erwarb die Hochtief in Eschborn Gelände für den Bau eines Ringofens zur Ziegelherstellung. Der Platz für den Betrieb und den Ofen war günstig ausgesucht, denn er wurde inmitten des ergiebigen Lehmabbaugebietes gefunden. Kurze Wege erlaubten rationelles und damit kostengünstiges Arbeiten. In Handarbeit erstellten 45 Mann die Ziegel.

Das geschah in folgender Weise: zuerst wurde das Rohmaterial, der Lehm, obertägig abgebaut, meist kam er aus einer Lehmgrube ganz in der Nähe, wo er 7 bis 10 Meter mächtig anstand und zum Transport in Loren verladen wurde. Dies wurde in Handarbeit erledigt. Erst in den späteren Jahren wurde dazu ein Eimerkettenbagger eingesetzt. Die Loren wurden erst per Hand, dann mit Pferden und später mit einer kleinen dieselgetriebenen Feldbahn-Lokomotive zu der Halle gefahren, wo die eigentliche Ziegelfabrikation stattfand. Der Lehm musste aber vor seiner Verarbeitung noch aufbereitet, d.h. „eingesumpft" oder „eingespettet" (mit Wasser vermischt) und fein gemahlen werden. Die Mühlen wurden anfangs von Pferden, später von Motoren betrieben.

Darauf folgte die „Formgebung". An verschiedenen Arbeitstischen standen je zwei Mann, die den Lehm in genormte (das „Reichsformat" eines Ziegels war 25 x 12 x 6,5 cm) Holz- bzw. Blechrahmen pressten. Die so gewonnenen „Grünlinge" wurden sogleich wieder aus der Form genommen und zum Trocken an der Luft erst einige Tage flach, den aufrecht hingestellt. Wenn sie fest genug waren um transportiert zu werden, wurden sie unter die Schutzdächer, „Hagen" genannt, gebracht, wo sie bis zur Einbringung in den Brennofen weiter abtrocknen mussten. So waren dann „Handstrichziegel" entstanden.

Es wird überliefert, dass auf diese Weise an einem Tisch pro Tag bis zu 10.000 Steine hergestellt wurden. 1937 endete die Zeit der Handstrichziegelei, als mit einer Stangenpresse zu arbeiten begonnen wurde, die automatisch, unter Druck den Lehm in die Formen presste. Durch diese verbesserte Methode konnten je Tisch 5000 Stück Ziegel in der Stunde hergestellt werden.

Nun zum eigentlichen Brennen der Ziegel. Es geschah auch bei Hochtief in einem Ringofen. Dieser hatte erst einmal 25 Trockenkammern, jede für sich verschließbar, fasste in zehn Etagen 6000 frisch geformte Rohlinge zum Vortrocknen. Die etwa 40° C warme Abluft des Ringofens wurde über die zu trocknenden Steine geleitet, die dann nach zwei bis drei Tagen soweit vorbereitet waren, dass sie in eine der eigentlichen ringförmig angelegten Brennkammern, deshalb Ringofen, zum Brennen eingebracht werden konnten.

Etwa 980 ° C waren zum Brennen nötig, jedoch musste die Temperatur abgestuft allmählich hochgefahren und dann wieder langsam abgesenkt werden. Dieser Vorgang dauerte sieben Tage, danach waren die Ziegel fertig und konnten entnommen werden. Die Beschickung und Entladung des Ofens geschah natürlich nur von Hand.

 

Das Ende

Der 1896 in Eschborn erbaute große Ringofen blieb unverändert bis 1947 in Betrieb. Dann wurde wegen eines Kriegsschadens eine Erneuerung notwendig. Eie Bombe hatte 1944 das Gelände getroffen, dabei wurde der damalige Ziegelmeister Adolf Wellner tödlich verletzt. Während des Krieges arbeitete die Eschborner Hochtief Ziegelei weiter, teilweise unter Einsatz von ausländischen Fremdarbeitern. Im Zuge der Erneuerung des Brennofens 1949 wurde er modernisiert und seine Kapazität auf 250.000 Steine pro Woche erhöht.

Die Belegschaft betrug bis zum Ende etwa 35 Mann, die teilweise in Schichtarbeit beschäftigt waren. Zahlreiche Arbeitskräfte in den letzten Betriebsjahren waren „Gastarbeiter" und kamen aus Italien, Portugal und Jugoslawien. Der Ofen war damals auf dem neuesten Stand der Technik. Doch das half alles nichts, zunehmend fanden die neuen Konkurrenzbaustoffe, zementgebundene Steine aus Trümmerschutt und Hohlblocksteine aus Bims, beim Bauen Verwendung. Die klassischen „Backsteine" hatten ausgedient. Es kam, was kommen musste. Die Ziegelei arbeitete nicht mehr rentabel und wurde stillgelegt. Eine Epoche ging zu Ende.

Am 21. Dezember 1973 wurden die letzten Ziegel gebrannt. Ab dann blieb der Ringofen kalt. Die Gebäude wurden abgerissen, die Lehmkuhlen verfüllt. Heute ist das Areal mit einem Gewerbegebiet überbaut. Zu Erinnerung an den Gründer und Erbauer der Ziegelei wurde die erschließende Straße „Philipp-Helfmann-Straße" genannt.

Aus: Zwischen Main und Taunus / MTK-Jahrbuch 2005 – mit freundlicher Genehmigung des Autors
24.6.05