Repro HGE016

Eschborn zwischen Pfarr- und Schulhaus
Eine Zeitreise in die Vergangenheit des 18./19. Jahrhunderts
Hausarbeit von Mirella Herrmann *

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Eschborn zwischen Pfarr- und Schulhaus - eine Zeitreise in die Vergangenheit

1.

Eschborn - ein Dorf und seine Geschichte

2.

Das Armenwesen in Eschborn - ein Ort der öffentlichen Fürsorge

2.1

Der Rheinfeldzug Kurt Schorneders und seine Folgen 1792-1795

2.2

Das Armenhaus - Geburt eines Schorneder Sprößlings in Eschborn

2.3

Der Bromhof - Hochmut und Fall des Eschborner Adels 1795-1801

3.

Die Eschborner Dorfschule im Wandel der Zeit

3.1

Die Entstehung der Freischule in Eschborn 1790

3.2

Bildung zwischen aufgeklärtem Pietismus und Reformpädagogik

3.3

Kindheitsjahre 1800-1806 - Erschwerte Bildung in Kriegszeiten

3.4

Jugendjahre 1809-1812 - Reformen und Lehrerbildung in Nassau

3.5

Befreiungsjahre 1812-1820 - Bildung zwischen Restauration und Freiheitskamp

4.

Schwere Zeiten - Kriegsfolgen und die Nassauische Armenpflege

5.

Blick in die Zukunft der Familie - Fortschritt, soziales Engagement und Diakonie

Stammbaum Schorneder Familie ...................................................

Fazit

 

Literatur- und Materialliste



Vorwort

Geschichte der Sozialen Arbeit - ein spannendes und weit reichendes Sachgebiet, dem ich mich bislang noch wenig zugewandt hatte. Nach dem Bearbeiten der Seminartexte war mir klar, daß ich den Zeitraum des 18./19. Jahrhunderts vertiefen wollte. Der Grund war mein berufliches Interesse an der Pädagogik als Erzieherin in einer altersgemischten Gruppe mit Kindergarten- und Schulkindern. In diesem Zeitraum haben entscheidende Ereignisse und bedeutende Persönlichkeiten (u.a. Pestalozzi, Diesterweg und Fröbel) die Entwicklung des Volksschulwesens und der pädagogischen Konzepte vorangetrieben.

Das Ziel meiner Hausarbeit ist die Entwicklung heutiger sozialer Einrichtungen meines Wohnorts, der Stadt Eschborns im Taunus, unter den gesellschaftlichen und politischen Aspekten und dem sozialen Wirken einzelner engagierter Bürger des damals landwirtschaftlich geprägten Dorfs zu verfolgen. Meine inhaltlichen Schwerpunkte liegen in der Bildungspolitik und der Armen-, Kranken- und Altenfürsorge im damaligen Herzogtum Nassau. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, gehe ich nicht näher auf das Zeitalter der Industrialisierung und auf die Geschehnisse im Rahmen der Deutschen Revolution 1848/1949 ein.

Die Kontaktaufnahme mit dem Stadtarchivar Herrn Gerhard Raiß und dem Vorstand des Vereins Historische Gesellschaft Eschborns e.V. Herrn Herbert Steffes erwies sich als sehr hilfreich und informativ. Beide Herren unterstützten sofort mein Vorhaben und stellten mir kostenfrei etliche Bücher und Texte zur Historie Eschborns zur Verfügung. Herr Gerhard Raiß hat sich zusätzlich Zeit genommen bei einem persönlichen Interview und per E-Mail auf meine aufkommenden Fragen zu antworten und hat mir Zugang zu einigen Originaldokumenten des Stadtarchivs ermöglicht. An dieser Stelle möchte ich mich bei beiden für ihr Engagement herzlichst bedanken!

Zu Beginn meiner Arbeit hielt ich es für unumgänglich einen intensiven Blick auf die Geschichte Eschborns zu werfen, um ein Verständnis für die örtlichen Gegebenheiten sowie der Entwicklung der Sozialstruktur und der Herrschaftsverhältnisse des 18./19. Jahrhunderts in diesem Ort zu bekommen, der mich in seinen Bann gezogen hat.

Im Rahmen meines historischen Romans habe ich mich bemüht möglichst viele wahre örtliche Begebenheiten einzuarbeiten, um den Realitätsbezug zu wahren. Diese stammen aus der Literatur der lokalen Autoren Adolf Paul, Hansjörg Ziegler, Theodor Niederquell, sowie Veröffentlichungen der Historischen Gesellschaft Eschborn e.V.. Die Gestalt des Kurt Schorneders, der Maria und deren Nachfahren und Beziehungen zu Eschbornern, sowie des Frankfurter Lehrers Meyer sind fiktiv. Der Erzähler meines Romans ist ein Zeitreisender, der in verschiedene Situationen eintaucht und diese beobachtet oder miterlebt. Diese Erzählperspektive ermöglichte es mir auch eigene Gedanken und Thesen unter heutigen Gesichtspunkten einzubringen.

In wenigen Sekunden wird es soweit sein. Meine Augen sind geschlossen. Das Rauschen in meinen Ohren füllt meinen Kopf. Ein Knall - Stille - Meine Zeitreise beginnt...
 

Eschborn zwischen Pfarr- und Schulhaus -
eine Zeitreise in die Vergangenheit

Der Geruch von feuchtem Lehmboden umhüllte mich und ich spürte den leichten Regen, der sich durch mein Leinenhemd sog. Als ich meine Augen öffnete stand ich auf einem Feldweg kurz vor dem evangelischen Dörfchen Eschborn im südlichen Vorgelände des Taunusgebirges. Gegen Norden bedeckten Buchen- und Tannenwälder die Hänge des Altkönigs. Im Südwesten erstreckten sich Wiesen, Felder und Fruchtgefilde in der Mainebene. Die Felder und Obstbäume ringsum waren reich an Fruchtstand. Offenbar gedieh hier die Landwirtschaft gut. Das Klima war mild, geschützt vor dem kalten Nordwind durch die nahen Taunusberge.1 Den unübersehbaren Kirchturm von Eschborn im Blick folgte ich am Samstag, den 26. September 1795 dem Feldweg, der bald in eine breite Straße mündete. Ich befand mich auf der alten Handelsstraße, der „Hohen Straße", die von Frankfurt über Eschborn nach Limburg und Köln führte, als sich von hinten ein Gespann näherte. Dankend nahm ich die Mitfahrgelegenheit an, die mir der Fuhrmann anbot. Das Holpern des hölzernen Wagens über die groben Pflastersteine erinnerte mich wieder an meine Anreise. In Gedanken rauschte der Abriß der Historie Eschborns nochmals an mir vorbei, wie ich ihn im zeitlosen Raum gesehen hatte:

1. Eschborn - ein Dorf und seine Geschichte

    „Ein Volk, das nichts von seiner Geschichte weiß, hat keine Zukunft. Ein Dorf, das sich nicht um seine Vergangenheit kümmert, verkümmert im Alltag der Gegenwart. "
    (Paul [9], 1969: S.9)

Seit frühen Zeiten lag das erstmals 770 erwähnte „Ascenborne" bzw. „Aschenbrunne" verkehrsgünstig an der Nord-Süd- und Ost-West-Achse der Handelsrouten. Bereits zu keltischen bzw. germanischen Zeiten, so vermutet man, lag in den Eschenwäldern Eschborns an einem sprudelnden Quell eine heidnische Kultstätte. So läßt sich der Name aus dem keltischen Wort Asc (Esche) und dem Wort Born (Quelle) ableiten. Die Anfänge und Bedeutsamkeit des christlichen Glaubens für das evangelische Pfarrdorf Eschborn liegen im frühen Mittelalter. Um ihre Macht und ihren Glauben zu stärken errichteten die Franken Missionsmittelpunkte an früheren heidnischen Anbetungs- und Opferstätten. So wurde Eschborn Urpfarrei des Niddagaus.2 Die Bedeutung des Dorfes bestätigt sich in den Aufbauhilfen nach dem verwüstenden Unwetter 875 durch umliegende Gaugemeinden und dem Erzbistum Mainz, das bereits seit 770 immer wieder große Schenkungen an das Kloster Lorsch durch Eschborner Geschlechter erhalten hatte. Bei diesem Wiederaufbau wurde das heutige Ortsbild des Dorfes geprägt: der Oberort und der Unterort mit den entlang des Westerbachs (ehemals Krebsbach) gereihten Häusern und der Neugasse, der Durchgangsstrasse nach Norden. Um den Ortskern herum lagen frei die großen Höfe, eine Mühle und in der Ortsmitte entstanden der Pfarrhof des Erzpriesters und eine Kirche aus festem Stein mit einem mächtigen Turm.3

Um das Jahr 1000 lebte die Eschborner Bevölkerung bereits überwiegend von der Landwirtschaft. Fränkische Herrengeschlechter hatten große Höfe zu Lehen mit Leibeigenen, die alemannischer Abstammung waren. Die Einwohner bestellten die Felder für ihre Herren und hatten kleine Länder in Pacht oder betrieben nebenbei ein Handwerk. Zwischen dem deutschen Kaiser Heinrich II und dem Mainzer Erzbischof Willigis kam es im Jahr 1008 zu einem Geländetausch, der für die nächsten 800 Jahre Eschborn mit dem neu gegründeten Stephansstift zu Mainz verband. Der Eschborner Königshof wurde zum Stephanshof auf dem jährlich das Höfische Gericht stattfand. Der Kaiser wollte durch den Tausch den jungen Stift unterstützen und das Hofgut sollte frommen Zwecken dienen.3 Die Höfe mit ihren Ländereien standen im Besitz verdienstvoller Männer aus dem Stamm der Franken. Die Eschborner Ritter, die „Herren von Hesscheburnen" verwalteten königlichen Besitz bis in den Taunus. Im Jahr 1230 zog das Herrengeschlecht derer von Eschborn in eine neue Burg auf den Südhang des Altkönigs und nannten sich fortan Ritter von Kronberg.3 Zu den Herren von Kronberg zählte auch Hartmut XII (Namensgeber einer der heutigen Grundschulen Eschborns), ein Freund Martin Luthers und glühender Verfechter der evangelischen Konfession. Mit Einführung der Reformation im Herrschaftsgebiet Kronberg 1526 durch den hessischen Landgrafen Philipp, den Großmütigen, fand die geistliche Herrschaft von Mainz vorläufig ihr Ende.4 Die Bevölkerung Eschborns wurde nach mehrfachem Konfessionswechsel endgültig evangelisch. Zur Erledigung der weltlichen Geschäfte und zum Schutz vor feindlichen Angriffen wurden ab 1585 die Ritter von Kronberg durch den Erzbischof und Kurfürst von Mainz mit der Vogtei Eschborn belehnt. Die Eschborner Untertanen hatten hohe Lasten zu tragen, so den Zehnten sowie Kriegs- und Frondienste zu leisten. Bei rückständigen Abgaben, auch in Notzeiten des 30-jährigen Krieges, blieben die Herren unbarmherzig im Eintreiben der Pflichten. Das offene Dorf lag ungeschützt in der Landschaft und war häufigen Plünderungen der Gehöfte ausgesetzt. Schutz fanden die Bewohner nur hinter den Mauern der Stadt Kronberg. Die Belehnung erlosch erst 1704 nach dem Tod des letzten Erben des Kronberger Rittergeschlechts. Bis zum Frieden von Luneville 1801 blieb das Kurfürstentum Mainz in Besitz des Reichslehen Kronberg-Eschborn.5 Das Amt Kronberg übte die Grundherrschaft über die Landwirte, Handwerker und Bewohner aus. Es bestimmte über Wirtschaftsund Rechtsfragen, legte Steuern und Abgaben durch ihre Hofämter fest und ließ diese überwacht von den Schultheißen durch ihre Amtskeller eintreiben.6

Neben dem großen Stephanshof (dem ehemaligen Königshof) gab es die vier Kronberger Höfe, den Solmser Hof, den Königsteiner Hof, den Ritterschen Hof und den Bromhof, sowie das Pastoreigut. Die Höfe der Herrschaften wurden von Hofmännern mit erhöhtem Einfluß und Mitspracherecht in der Gemeinde verwaltet und von Unfreien bearbeitet. Nur die Herren des Bromhofs, die Adelsfamilien von Andreae, von Buchenröder und von Heyles lebten am Ort. Trotz ihrer Sonderstellung als Adelige waren sie alles andere als beliebt. Sie gehörten weder zur kirchlichen (da nicht lutherisch), noch zur politischen Gemeinde (da keine Kurmainzer Untertanen).7 Ihre Arroganz und ihr unchristliches Verhalten führten im Alltag öfters zu Reibereien mit den Dorfbewohnern.

Die ertragreiche Landwirtschaft war im 18. Jahrhundert die Basis für das wirtschaftliche Leben Eschborns und die Landwirte fanden in der nahen Großstadt Frankfurt einen sicheren Absatzmarkt für ihre Produkte. Es standen 1283 Morgen (320,75 ha) Acker- und Brachland zum Anbau von Korn, Gerste, Hafer und Weizen und 92 Morgen (23 ha) Wiese zur Verfügung. Im Jahr 1771 hatte das Dorf 84 Haushalte, wobei nur 7% der Eschborner Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt keinen Landbesitz als Eigentum hatte. Neben den Hofleuten hatten auch die einflußreichen „Nachbarn", die Bürger der Gemeinde mit einem gewissen „landherrlichen" Recht, hohes Ansehen.8 Wer es schaffte in diese Familien einzuheiraten hatte nicht nur Nachbarschaftsrechte, sondern auch Anrecht auf ein Teil des Hoferbes. Um durch dieses Realteilungserbrecht die Zerstückelung der Hofländereien zu vermeiden wurden häufig Ehen unter alt eingesessenen Eschborner Nachbarn geschlossen. Öffentliche Ämter der Gemeinde (Schultheiß, Schöffen, Büttel und Flurschütz) wurden durch diese wohlhabenden Nachbarn besetzt, die hauptsächlich Landwirtschaft betrieben und gelegentlich nebenbei ein Handwerk ausübten. Bescheiden ausgestattete Nachbarn stammten oft von auswärts und bestellten neben ihrem Handwerk ein paar Äcker. Die landesherrlichen Beamten, der Pfarrer, der Dorfschulmeister und der Landjäger, der landesherrlicher Polizist war, hatten ebenfalls Nachbarschaftsstatus. Arme Bewohner ohne Nachbarschaftsrechte waren Beisassen, so z.B. zugereiste Gesellen, Mägde und Knechte, Tagelöhner und Saisonarbeiter, die über Generationen zur Erntezeit auf den Feldern halfen. Die Eschborner Handwerker (Müller, Schmied, Wagner, Schreiner, Schuhmacher, Bäcker, Metzger, Brauer, Schneider und Weber) gehörten den Kronberger Zünften an. 9

In dieses feste Sozialgefüge wurde ich nun hineinkatapultiert. Eschborn, Ende des 18. Jahrhundert, von den Herrschaften von oben herab bestimmt, von den Nachbarn in öffentlichen Ämtern und von den Landesbeamten kontrolliert, von dem arbeitenden Volk mühsam zum Lebensunterhalt aller bewirtschaftet. Jeder wurde in seine Rolle, in seinen Stand in die Gesellschaft hineingeboren und in der Familie für seine Lebensaufgabe erzogen. Ein Aufstieg war nur durch eine überstandesgemäße Eheschließung möglich. Ein Abstieg konnte durch Krankheit, Arbeitsunfähigkeit oder Mißernten jederzeit eintreten, wenn einem nicht geholfen wurde. So war es selbstverständlich Pflicht, daß die Verwandtschaft für in Not geratene Familienmitglieder nach Möglichkeit aufkam. Auch half man sich kurzfristig unter befreundeten Nachbarn aus. Herren waren für ihre Bediensteten im Krankheitsfall verantwortlich 10 und für die ärmsten der Armen war die Kirche, bzw. der Herr Pfarrer zuständig. Im Gottesdienst wurde für die armen Seelen eine Kirchenkollekte gesammelt und Spendenbüchsen für das eigene Seelenwohl standen allzeit bereit. Von diesen Almosen bezahlte der Pfarrer die Unkosten für die Armenverpflegung.10a Leider kam es häufiger vor, daß Herren sich ihrer Verpflichtung gegenüber Bediensteten entledigten, die durch Unfall oder Krankheit arbeitsunfähig wurden, indem sie das Arbeitsverhältnis einfach kündigten. In diese, über Jahrhunderte gewachsene und gefestigte Sozialstruktur kam nun aus dem benachbarten Frankreich Unruhe über das Reichslehen.

2. Das Armenwesen in Eschborn - ein Ort der öffentlichen Fürsorge

Worte des Fuhrmanns über österreichische und preußische Truppen, die er in der Stadt Frankfurt gesehen hatte ließen mich in das Jahr 1795 zurückkehren. Man sprach auf den Straßen von Krieg. Was war geschehen? Stechende Kopfschmerzen trübten plötzlich wieder meine Sinne und mir schoß ein neues Szenario durch den Kopf:

2.1. Der Rheinfeldzug Kurt Schorneders und seine Folgen 1792-1795

Aufgerüttelt durch die Ereignisse in den USA, hatten die Revolutionäre in Frankreich am 14.Juli 1789 mit: „Zu den Waffen, Volk von Paris! In den Kampf, ihr Bürger, in den Kampf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!" zum Kampf gegen die Unterdrückung durch den Adel, zur Völkerbefreiung aufgerufen. Sie forderten die Abschaffung aller Steuerbefreiungen, der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, des Frondiensts, des ausschließlichen Jagdrechts, des Bestimmungsrechts und die Käuflichkeit von Ämtern, sowie die Einführung der Menschenrechte nach amerikanischem Vorbild. König Ludwig XVI. wurde mit seiner Familie 1791 auf der Flucht gefangen genommen. Um das Königspaar zu retten und das Übergreifen dieser „schändlichen Volksherrschaft" zu verhindern, zogen Österreichs und Preußens Heere 1792 in den Kampf gegen Frankreich.11 Im Winter 1792 meldete sich der Soldat Kurt Schorneder, geboren in Gumbinnen (Ostpreußen) am 12. Juli 1757 als Sohn des Sebastian S. und seiner Frau Lore S., geb. Lenz, ordnungsgemäß für den Rheinfeldzug beim 3. Bataillon des Regiments Garde Nr. 15b zum Abmarsch aus Potsdam. Das Regiment bezog erst in Frankfurt am Main, dann in Wiesbaden Stellung.12 Die patriotischen Franzosen leisteten nicht nur heftige Abwehr gegen die verhaßten Fürsten der Nachbarstaaten, sondern erreichten sogar bis zum Jahresende 1792 Vorstöße über Worms und Mainz bis nach Frankfurt.13 Im August 1792 wurde in Frankreich die Republik ausgerufen und die Radikalen Jakobiner übernahmen die Macht. Im Januar 1793 fiel der Kopf Ludwig XVI. und seine Frau folgte ihm im Oktober in den Tod. In der Zeit der Schreckensherrschaft der Jakobiner 1793-1799 herrschte Terror gegen Adelige, Geistliche und Bürger, die anders dachten. Viele wurden eingesperrt und hingerichtet. Bleibend an der revolutionären Umgestaltung war die Befreiung der Landbevölkerung. Die Bauerngesetze des Jahres 1793 machten die französischen Bauern zu freien Eigentümern des von ihnen bewirtschafteten Bodens. Im Gegensatz zu den übrigen europäischen Bauern waren sie fortan unabhängig und abgabefrei. Für die Erziehung der Jugend stellten die Jakobiner sich folgendes vor: „Alle Kinder sollen gemeinschaftlich erzogen werden; sie sollen ein und dieselbe Kleidung, Nahrung, Erziehung und Pflege erhalten. " „Die Kinder...gehören der Republik.. Was gelten die Ansprüche des einzelnen gegenüber denjenigen der Nation?"13 Diese neuen Ideen aus Frankreich sollten auch später Einfluß auf unser Eschborn nehmen. Nach etlichen Gefechten in den Jahren 1793 und 1794, u.a. die Belagerung von Mainz, war Kurt Schorneder froh als endlich der Winter kam und in dem Dörfchen Eschborn nahe Frankfurt, das ihn an seine Heimat Gumbinnen erinnerte, Winterlager aufgeschlagen wurde.14 Die Soldaten wurden überall einquartiert. Die Gasthäuser waren voll, das Pfarrhaus, das Armenhaus und das Schulhaus wurden besetzt, jeder Hof hatte seine freien Kammern zur Verfügung zu stellen. Am 25. Februar 1795 saßen Kurt, der bereits früh von seiner Mutter das Lesen und Schreiben gelernt hatte, und sein Kamerad der Portepee-Fähnrich Heinrich von Kleist abends im Wirtshaus und schrieben beim Schein der Öllampe Briefe an ihre Schwestern.14

    Liebe Ilse,
    „ein Geschenk mit so außerordentlicher Aufopferung verknüpft, als Deine für mich gestrickte Weste, macht auf mein Herz einen außerordentlichen Eindruck. Du schlägst den Deinen kostbare Zeit ab, um für Deinen Bruder zu arbeiten; Was mich leitet Dir zu danken, ist eine sehr natürliche Empfindung, ist die Folge Deines glücklich gewählten Geschenks. Es flößt mir die wärmste Erkenntlichkeit gegen eine Schwester ein, die an Bedürfnisse eines weit entfernten Bruders denkt und mit der Arbeit ihrer geschickten Hand, den Beweis ihrer Zuneigung ihm gibt."

    Kurz scheint mir die Zeit im Winterquartier, da ich eine liebliche Blume Maria, ein Mädchen aus dem Fuldischen hier im fernen Eschborn zu Frankfurt kennen lernen durfte. Als Magd kümmert sie sich hingebungsvoll um unser leibliches Wohl. Wie schwer wird mir ums Herz, wenn ich an den nahenden Abschied denke. Jedoch meine Pflichten gegenüber unserem preußischen Vaterland muß ich Vorrang gewähren und darf nicht selbstlos werden. Ob die Zukunft uns ein Wiedersehen bescheren wird?

    „Und nun nur noch ein paar Worte: ein Auftrag, mich unseren lieben Eltern und allen meinen Brüdern nebst Familien zu empfehlen: die Bitte, mein jetziges Schreiben bald zu beantworten, und: die Versicherung, meiner unveränderlichen herzlichen Freundschaft. Kurt". 15

Die gesamte Bevölkerung Eschborns mußte ihre Wintervorräte mit den Truppen teilen und Boten- und Handwerksdienste leisten. Die Truppen verschlangen unzähliges Kleinvieh und etliche Pferde wurden neu beschlagen.16 Kurz darauf wurde das Garderegiment verlegt. Kurt mußte von Maria Abschied nehmen. Er wurde beim Marsch nach Osnabrück durch ein schweres Gespann tödlich verletzt und dort am 22. März 1795 beigesetzt. Aber ein Teil von ihm sollte weiterleben...

2.2. Das Armenhaus - Geburt eines Schorneder Sprößlings in Eschborn

In Kürze erreichte der Fuhrwagen das direkt an der Straße liegende Gasthaus „Auf der Geisspitz" in dem ich mir Nachtquartier erhoffte. Hier herrschte bereits reges Treiben, da einige Fuhrleute mit ihren Pferden und Wagen angekommen waren. Beim Betreten der Gaststube stellte ich mit Entsetzen fest, daß der Beutel mit meinen Habseligkeiten verschwunden war. Auf dem Wagen hatte ich ihn doch noch gehabt. Von dem Fuhrmann war keine Spur mehr zu sehen. Ich wollte meine Reise nicht abbrechen, so fragte ich den Wirt, ob er mir einen Rat geben könne. Dieser verwies mich leicht mürrisch an den Stephanshof, indem „heimatlose Fremdlinge", wie ich, „eine Freistatt für die Nacht fänden" .17

Der Stephanshof lag unweit vom Gasthaus am Ortseingang gegenüber vom Pfarrhaus, so daß ich ihn noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Fuß erreichen konnte. Der Stephansstift zu Mainz hatte es seinem Eschborner Hof seit jeher zur Pflicht gemacht sich in christlicher Nächstenliebe um Bedürftige zu kümmern. So wurde die Aufgabe, das Armenhaus in gute Aufsicht zu nehmen, auch an die Pächter des Hofes weitergegeben. Die Bewohner des Armenhauses hatten dafür die Pflicht alle Botengänge und anstehenden Arbeiten unentgeltlich im Sinne einer Erziehung zur Arbeitsamkeit zu machen.18 Für Eschborn war es eine große Ehre und Erleichterung eine solche stationäre Einrichtung der öffentlichen Fürsorge im Ort zu haben. Bedürftige, Kranke und Arme, ortsansässig oder auf Durchreise bekamen vom örtlichen Schultheiß eine Einweisung und der Herr Pfarrer bezahlte eine geringe Gebühr aus der Armenkasse der Gemeinde. Seit 1777 ging es jedoch mit dem Armenhaus bergab. Der neue Pächter des Stephanshof empfand die Aufnahmepflicht dieser Ärmsten, die oft von Krankheit und Ungeziefer verzehrt wurden als ungeheure Belastung und abstoßend. Hinzu kam die Angst, daß „der Hof von Meilen her liederliches Gesindel herbeiziehe, oder daß durch solche Fremde die Feuergefahr für den Hof wachsen könne".17 Es kam öfter vor, daß er seiner Pflicht nicht nachkam und Arme schroff abwies oder sie im Schweinestall nächtigen lies. Der Pächter erhob sogar die Stimme, daß kein Schultheiß und kein Pfarrer ihm zu befehlen habe. Erst nach Beschwerde des Pfarrers im Jahr 1783 wurde die Verpflichtung seitens des kurfürstlichen Amtes neu bestätigt.17 Als ich im Stephanshof ankam, herrschte ein wildes Durcheinander. Anwesend waren der Herr Pfarrer J. Adam Rohm, der Feldschütz, der Pächter, einige neugierige Passanten und zahlreiche Bewohner des Armenhauses. Von den Armenhäuslern nahmen einige für längere Zeit die Guttaten dieser Stiftung und die Almosen der Gemeinde in Anspruch. Manche waren langjährige, nun arbeitsunfähige, Bedienstete Eschborner Haushalte. Manche waren sterbenskrank. Unter ihnen waren zerlumpte Gestalten, zahnlose Kreise und etliche junge Frauen mit Säuglingen auf dem Arm. Der Feldschütz hatte eine Maria Müller, geboren am 8. Mai 1775 in der Stadt Schlüchtern als Tochter des Peter M. und seiner Frau Anna M., geb. Weber, im Felde Richtung Steinbach in Kindsnöten gefunden. Wie sich heraus stellte, war sie in Stellung bei einem Bauerngehöft gewesen. Der Bauer hatte sie vom Hof vertrieben, des kommenden Kindes halber. Er nahm an, daß sie durch „Reizung" bewußt eine uneheliche Schwängerung herbeigeführt habe, um seinen Sohn als Ehemann zu bekommen.19 Die Frau sei auf dem Wege zu ihrer Verwandtschaft in Schlüchtern gewesen, die für sie und das Kind hätten sorgen sollen. Die Hebamme Löllmann, die regelmäßig Frauen in Not im Armenhaus gebären half, kümmerte sich um das arme Wesen. Da die Betten des Armenhauses an diesem Abend ebenfalls voll waren, wich man auf das gegenüber liegende Pfarrhaus aus. Ohne zu Überlegen packte ich mit an und half dem Pfarrer, der eine kleine, hagere Statur hatte, Maria hinüber zu tragen. Inmitten der Nacht wurde im Pfarrhaus um drei Uhr früh Kurt Adam Müller geboren. Erschöpft gingen wir alle zu Bett. Ich war froh, daß ich im Pfarrhaus nächtigen durfte, da die Ausdünstungen der Gestalten des Armenhauses mir bestimmt keine angenehme Nachtruhe bereitet hätten.

Am nächsten Morgen erblickte ich den wahren Zustand des Pfarrhauses. Der Boden war in einigen Zimmern eingestürzt, Wandfächer waren schadhaft, die Wohnstube lies sich wegen der dünnen Wände nur schwer heizen und war völlig verraucht. Einige arme Bauernhütten, die ich auf dem Weg gesehen hatte erschienen mir ansehnlicher als die Verfassung dieses Hauses. Beim Frühstück nach der Sonntagsmesse klagte mir Pfarrer Rohm sein Leid. Bereits mehrfach hatte die Landesregierung einen Bericht des Schultheiß und des Gerichts bekommen, aber der für das Pfarrhaus verantwortliche, geizige Patron Graf von Bassenheim lies das Haus immer nur notdürftig flicken. Teile des Hauses waren einsturzgefährdet (so auch später im Dezember 1795 geschehen). Das Hofamt des Eschborner Pfarrhofs und das Patronatsrecht zu Eschborn wurden 1722 als Erbunterschenkamt von Kurmainz an die Linie der Grafen von Bassenheim gegeben. Somit war der Graf Patron (Zehntherr) und Pastor (Oberpfarrer) in einer Person. Er war verantwortlich für die Gemeinde und für die Ernennung des Pfarrers. Der Eschborner Pfarrer Johann Adam Rohm war kein reicher Mann, aber als Studierter und durch seinen Gemeindedienst, war er im ganzen Dorf hoch angesehen. Er hatte das Amt seines Vaters Johann Daniel Rohm nach dessen Tod 1785 übernommen. Seine Einkünfte waren gering, da die Einnahmen des Pastoreiguts an den Patron gingen. Ihm standen 30 Morgen Land zum Bebauen zu. Da er im Gemeindedienst voll tätig war, hatte er keine Zeit die Felder selber zu bestellen, mußte also die Kräfte dafür entlohnen. Des Weiteren kamen ihm Erträge des kleinen Zehnten zugute und er bekam für Amtshandlungen etwas bares Geld als Gebühr. Nach dem Tod seines Vaters mußte Pfarrer Rohm für den Lebensunterhalt seiner Mutter und seiner sieben Brüder, von denen noch drei unmündig waren, aufkommen. Es waren die widrigen Umstände, die seiner Frau Maria Elisabeth, der Tochter eines Frankfurter Uhrmachers, kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Rosina im Jahre 1790, den Mut und die Lebensfreude nahmen. Pfarrer Rohm mußte fortan für Rosina Vater und Mutter sein.20 Trotz der Armut war Pfarrer Rohm mit Leib und Seele seiner Gemeinde verpflichtet und zögerte keinen Moment die Patenschaft für den kleinen Kurt Adam Müller zu übernehmen. Als Maria einen Tag nach der Geburt an hohem Fieber erkrankte und nach kurzer Zeit starb, übernahmen Pfarrer Rohm und seine Mutter die Pflege und Erziehung für das Waisenkind. So war es ihm wohler, da er die Zustände in dem Wiesbadener Waisenhaus 21 für seinen Zögling nicht guthieß.

2.3. Der Bromhof - Hochmut und Fall des Eschborner Adels 1795-1801

Bei der Sonntagsmesse war mir aufgefallen, daß in der Kirche ein besonderer Kirchenstuhl mit Tür vorhanden war. Als ich meinen Gastgeber danach fragte, erzählte er mir von den oft so unchristlichen Adeligen des Bromhofs, über die er, der Herr Lehrer und auch die Gemeinde sich öfter ärgerten. Bei zu leistenden Abgaben an die Gemeinde, z.B. dem Schulgeld, beriefen sich die Herren von und zu von der mittelrheinischen Reichsritterschaft auf ihre Abgabefreiheit als freiadeliger Hof, verlangten aber andererseits Sonderbehandlung und Ehrenbezeigung z.B. bei ihren Sterbefällen. Für andere Feierlichkeiten bestellten sie sich lieber einen reformierten Pfarrer einer anderen Gemeinde ins Haus. Den Kirchenstuhl hatten sie eigens für sich erstellen lassen, nutzen diesen jedoch kaum selbst, sondern schickten ihr Gesinde, die Knechte und Mägde. Die Gemeinde empfand dies als Demütigung.

Da ich ernsthafte Bedenken wegen dem Zustand des Pfarrhauses hatte, wollte ich mir ein neues Quartier suchen. Meine Geldsorge hatte sich zum Glück durch meinen Brustbeutel, den ich gänzlich vergessen hatte, erledigt. Als ich nachfragte wo, als Alternative zum Wirtshaus, ich längerfristig wohnen könnte, fiel dem Herrn Pfarrer das Vorderhaus des Bromhofs ein. Auch wenn dieses, aufgrund seiner Lage auf exterritorialem Gebiet gegenüber Kurmainz, zum Teil zwielichtige Gestalten beherbergte. Es wohnten dort nicht nur Bedienstete der Herren, sondern auch arme Leute und Nichtetablierte mit hoher Mobilitätsrate, darunter auch Räuber und Hehler, die sich ungern innerhalb eines geordneten Gemeindewesens aufhielten. Andere betätigten sich im Handwerk als Schneider, Barbier und Korbmacher, hatten aber aufgrund des Ortes keinen Anspruch auf zünftische Qualifikationen und unterboten die Eschborner Preise, um sich über Wasser zu halten. Sie waren allesamt von der Gemeinde ungern gesehen. Durch jahrelange Mißwirtschaft und Unmäßigkeit waren die adeligen Herren in dauernden Geldverlegenheiten und verlangten oft Wucherpreise für ihren Mietzins.23 Ich beschloß mir das Anwesen mal anzusehen und bedankte mich vielmals für die Gastfreundschaft. Der Bromhof war durch seine Mauern vom restlichen Dorf völlig abgetrennt. Da ich die Tore zum Hof verschlossen fand und mir die Beschreibung der Bewohner doch nicht geheuer war, kehrte ich alsbald um und nahm ein Zimmer im Gasthaus „Krone" in der Nähe des Pfarrhauses. Die Zustände auf dem Bromhof sollten sich in der nahen Zukunft noch verschlechtern. So schickten die von Buchenröders, von Heyles und von Andreaes mehrfache Gesuche an das Direktorium der mittelrheinischen Reichsritterschaft mit der Bitte um Verkauf von Anteilen ihres freiadeligen Gutes, da es ihnen an Geld, Nahrung und Kleidung mangele. So geschehen im Jahre 1799, 1801 und 1804. Doch der Rat und Ausschuß der Ritterschaft willigten nicht ein. Ein Bevollmächtigter wurde geschickt, der die Ländereien bestmöglich an Eschborner Bauern verpachtete. Inzwischen waren die adeligen Bewohner so hoch verschuldet, daß sie keinen Kredit mehr bekamen und niemand ihnen mehr Brot verkaufte. Innerhalb der Familie gab es keinen Zusammenhalt mehr und aus dem Dorf, bei dem sie hohe Schulden hatten und das hämisch auf das selbstverschuldete Elend blickte, war keine Hilfe zu erwarten. Almosen des Herrn Pfarrers, der ja lutherisch und nicht reformiert war, waren unerwünscht. Am 17. Mai 1805 beschrieb der Kurator (Vormund) der Reichsritterschaft, der sich durch eine Inspektion selbst einen Eindruck machen wollte, ein erschütterndes Bild:

    „Die beiden 70-jährigen Fräuleins von Andreae sind in den kläglichsten Umständen. Mit abgeschnittenen kahl geschorenen Haaren traf sie der Unterzeichnete, mit vom Alter abgestumpften Sinnen, mit Lumpen bekleidet, womit sie kaum ihre Blöße zu bedecken vermochten. Eine harte Rinde schwarzen trockenen Brotes lag als das Überbleibsel ihres Mittagsmahles vor ihnen. In einem Winkel des Zimmers verrieten ein wenig Stroh und alte Lumpen ihre Lagerstätten. Kaum verständliche Worte zeugten von der Schwäche ihres Alters, welche jedoch den Wunsch zur Verbesserung ihrer Pflege und ihrer Lage nicht undeutlich ausdrückten. Der geisteskranke Freiherr von Heyles (jetzt 33 Jahre alt) der übrigens an harte Arbeit und schlechte Kost von trockenem Brot schon eher gewohnt zu sein scheint, geht ebenfalls mit zerrissenen Kleidern umher. Schon besser gekleidet fand ich die alte Freifrau von Heyles und vorzüglich deren Tochtermann, den Herrn Hofrat Jung nebst seiner Gemahlin und drei kleinen Kindern, welche gegenwärtig aber auch der größte Mangel und die bitterste Armut drücken soll. " (Paul [9], 1969: S.164 und 165)

Als Sofortmaßnahme wurden Kleidung und Weißzeug (Hemden) gekauft, Pachtgelder gingen nun an den Kurator, der diese gerechter verteilte. Die ordentliche Pflege und Ernährung der alten Fräulein und des geisteskranken Freiherrn von Heyles wurden durch einen Alimentations-Kontrakt mit der Hofrätin sichergestellt und sollte von einem Dorfbewohner kontrolliert werden. Im Jahr 1806 endete die Reichsritterschaft durch die Mediatisierung. Der Hof durfte endlich verkauft werden und die Adeligen verließen Eschborn.24 Der kranke Freiherr lebte bis zu seinem Tod 1846 im Hospital in Wiesbaden.25

Das Wiesbadener Waisenhaus wurde 1804,26 und das Armenhaus in Eschborn nach der Enteignung der geistlichen Fürsten durch Napoleon, geschlossen. Was fortan mit den ärmsten Bewohnern Eschborns geschah ist nicht bekannt. Vermutlich wurden sie an umliegende Anstalten verwiesen, oder mittels „Bettelfuhren" in andere Gemeinden verschoben.27 Viele Mittellose dieser Zeit emigrierten in die USA, wie Auswandererlisten belegen.28 Das Schicksal der Eschborner Adeligen zeigte mir wie wichtig es ist in einem funktionierenden Sozialwesen integriert zu sein, das sich in Zeiten der Not einschaltet und, wie hier geschehen, individualisierte Maßnahmen ergreift. Nachdem ich nun einiges über das Armenwesen des 18. Jahrhunderts in Eschborn erfahren durfte, interessierte mich natürlich auch brennend das Eschborner Schulwesen. Am späten Abend stellte ich in meinem Gastzimmer in der „Krone" den Zeitraffer Modus von 1795 auf 1803 und schlief ein...

3. Die Eschborner Dorfschule im Wandel der Zeit

Neben der Armen-, Alten- und Krankenfürsorge, lag dem Pfarrer Rohm, wie bereits seinem Vater und Amtsvorgänger Pfarrer J. Daniel Rohm, das Schulwesen sehr am Herzen. Als Vorgesetzter des Dorfschulmeisters oblag ihm natürlich auch die Aufsicht über die Bildung der Jugend. Am Donnerstag, den 12. Mai 1803 ließ ich mir mein Frühstück „runde Kartoffeln" in der Wirtsstube schmecken, als sich Pfarrer Rohm und sein Freund, Lehrer Meyer, der gerade wieder auf Durchreise nach Frankfurt war, an den Nachbartisch setzten. Bei einem Gläschen selbst gebrautem Bier, das der Wirt ausschenkte, diskutierten die Herren über Bildungspolitik, die morgige Inspektion der Schule, die im äußersten Verfall sei und blickten wehmütig auf die Schulgeschichte zurück.

3.1. Die Entstehung der Freischule in Eschborn 1790

    Inschrift über der Schultüre Eschborns nach der Renovierung 1770:
    „Was hilft den Kindern großes Geld und viel Erbens in der Welt.
    Wer sie vor Gott recht lehren läßt, der tut an ihnen das allerbest!"
    (Paul [9], 1969: S.184)

Nach dem 30-jährigen Krieg, angeregt durch die Pädagogen Ratichius und Comenius, wurde von den Landesherren die Errichtung von Volksschulen für Mädchen und Jungen propagiert. Gemeinde und Kirche beschlossen einen Schulmeister in Eschborn anzustellen. Als erster Lehrer wurde 1650 ein Zuckerbäcker aus Frankfurt, der Heinrich Hochheimer, eingesetzt. Eine extra Ausbildung hatte er nicht, aber er konnte lesen, schreiben und rechnen und er brauchte das Geld. Da es noch kein Schulhaus gab, unterrichtete er abwechselnd in verschiedenen Häusern, wie es damals üblich war. Erst 1699 wurde das erste Schulhaus mit Lehrerwohnung von der Gemeinde erbaut. Im Jahre 1749 übernahm J. Andreas Diel das Schulamt seines Vaters, J. Caspar Diel, der bereits 49 Jahre die Eschborner Mädchen und Jungen unterrichtet hatte. Er wurde von Gemeinde, Schultheiß, Gericht und Einwohnern, im Einvernehmen mit Pfarrer und Kirchenvorstand, angestellt. Die Einnahmen waren noch geringer als die des Herrn Pfarrers. Der Lehrerstand mußte damals bereits hart um die Achtung und Anerkennung, die ihm gebührt, kämpfen. Auch der Lehrer Diel konnte von dem geringen Schulgehalt nicht leben. Er mußte Kirchendienste übernehmen, war im Feldbau tätig und verrichtete ab und an sogar Tagelöhner Arbeiten, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. In Eschborn trennte man erst 1850 die seit 1653 bestehende Verbindung zwischen dem Küster- und Glöcknerdienst und der Schulstelle.29 Der Pfarrer ließ den Herrn Lehrer manche Schulstunde nachholen. Im Sommer fiel die Schule meist ganz aus, da auch die Kinder für Haus- und Feldarbeiten gebraucht wurden. Das zu zahlende Schulgeld von einem Gulden je Kind mußte Herr Diel von den Eltern, die oft säumig waren, fast wie ein Bettler einzeln eintreiben, obwohl der Herr Pfarrer von der Kanzel herab immer daran erinnerte. Die Kurmainzer Herrschaften zeigten zwar guten Willen das Landschulwesen zu heben, aber die Nöte der Bevölkerung waren zu groß. Kurfürst Anselm Franz ließ bereits 1682 verkünden, daß alle Untertanen ihre Kinder vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr im Winter zur Schule zu schicken hatten. Viele Eltern kamen jedoch ihrer Schulpflicht nicht nach. Einige aus Unwissenheit, andere wegen Geldmangel, da sie das Schulgeld nicht zahlen konnten oder wollten. Der Pfarrer wußte noch von dem Fall einiger Tagelöhner Kinder, die wochenlang nicht in die Schule kamen, da das passende Schuhwerk fehlte.

Im April 1740 erging dann ein Erlaß über Freischulen des Kurfürsten Philipp Carl von Eltz, der die Dienststellen aufforderte, mit der Gemeinde und der Bürgerschaft Vorschläge über Wege und Mittel der Realisierung zu machen. Pfarrer Rohm erinnerte sich wie bereits sein Vater 1773 versuchte eine Freischule zu bewerkstelligen. Er bat die Eschborner Bürger durch eine jährliche Spende armen Kindern, deren Eschborn viele hatte, Schule und ihr Wachstum im Christentum zu ermöglichen. Die Kirche wäre auch bereit für noch fehlendes Schulgeld aufzukommen. So hatte die Kirche bereits seit dem Jahr 1650 für einige arme Kinder das Schulgeld aus dem Kirchenkasten gezahlt. Aber Gleichgültigkeit und Selbstsucht herrschten vor und das Vorhaben scheiterte. Im Jahre 1790, berichtete nun voller Stolz der Herr Pfarrer, habe er es geschafft die Freischule zu realisieren. Nach Vorlage beim Schultheiß und Gericht stellte er einen Antrag beim Amt in Kronberg, um ein verpachtetes Kirchengut für diesen wohltätigen Zweck verkaufen zu dürfen. Die Zins bringende Erlösanlage sollte allen Eschborner Kindern, mit Ausnahme derer der freien Höfe, eine Befreiung vom Schulgeld bringen. Der Kurfürst und Erzbischof Friedrich Carl Joseph zu Mainz bewilligte im April das Vorhaben, so daß nach dem Verkauf des Kirchenlandes der Schulmeister ein jährliches Gehalt von fünfzig Gulden aus dem Zinsertrag erhielt und Eschborn eine freie Schule bekam.30

3.2. Bildung zwischen aufgeklärtem Pietismus und Reformpädagogik

Den Gesprächen zu folge, waren der Herr Pfarrer und Lehrer Meyer gebildete Herren, die den Ideen der Aufklärung teils positiv, teils kritisch gegenüber standen. Rohm schätzte sehr, daß Eschborn durch die Handelsstraßen häufig von Durchreisenden heimgesucht wurde, die Presseware, Briefe und neue Eindrücke mitbrachten. So wurden langsam die primären sozialen Kontakte des unmittelbaren ständischen Umfelds durch öffentliche Kommunikation, abseits des persönlichen Austauschs, ergänzt.31 Die Verbreitung der Schreib- und Lesekultur und der allgemeinen Bildung der Jugend sahen beide als unabdingbar an. Meyer verstand Bildung im Sinne des aufgeklärten Rationalismus Lockes:

    „Der Umgang mit Menschen bedarf keiner theologischen Vorgaben, seine Möglichkeiten und Grenzen müssen erst im Rahmen der Vorgaben der Natur herausgefunden werden, der Mensch durchläuft von der Geburt zum Erwachsenen eine Entwicklungsgeschichte, die als Lerngeschichte durch Vorbild und Gewöhnung, Erfahrung und Einsicht mit dem Ziel der Selbstregulierung beeinflußt werden kann.” 32

 und der Anthropologie Rousseaus:

    „Was uns bei der Geburt fehlt und was wir als Erwachsene brauchen, das gibt uns die Erziehung. Die Natur oder die Menschen oder die Dinge erziehen uns. Die Natur entwickelt unsere Fähigkeiten und unsere Kräfte; die Menschen lehren uns den Gebrauch dieser Fähigkeiten und Kräfte. Die Dinge aber erziehen uns durch die Erfahrung, die wir mit ihnen machen, und durch die Anschauung. " 32

Als Lehrer an der erst im April dieses Jahres durch Gottlieb Anton Gruner, dem späteren Direktor des Idsteiner Lehrerseminars, gegründeten höheren Musterschule in Frankfurt,33 war er Vertreter der Reformpädagogik der Philantrophen. Diese war entstanden durch die neue Auffassung des Menschen und dem soziokulturellen Wandel u.a. als Folge der französischen Revolution, und der zum Teil verheerenden Zustände in den Schulen. Ihm war wichtig im Unterricht die Neugier und Lernbereitschaft der Kinder zu motivieren (Salzmann), alle Kinder, ständeübergreifend, durch die rationale Elementarbildung zum selbstständigen Denken und Urteilen hinzuführen (Rochow), sie zum sittlichen Betragen zu erziehen und ihre Lernbereitschaft und ihren Fleiß (Industrie-Pädagogik) durch spielerisches und anschauliches Lernen, praktisches Arbeiten, Selbsttätigkeit, Lob und Wertschätzung (Basedow) zu mobilisieren.34 Trotz seiner weltlichen Anschauungen hatten Religion und der Glaube an Gott für Meyer einen hohen Stellenwert, allerdings als getrennter Bereich.

Pfarrer Rohm sah das Ziel der Bildung der Jugend eher unter dem pietistischen Aspekt der Erziehung zur „Gottseligkeit" und „christlichen Klugheit" , wie es bereits Francke formuliert hatte. Der Lehrerstand sollte die moralische und religiöse Besserung der Stände herbeiführen und die sozial schicklichen Fähigkeiten der Schüler in Rede und Verhalten, dem eigenen Stand entsprechend entwickeln. Lehre, Glauben und Leben sollten in einem regierten christlichen Gemeinwesen vereint sein.35 Solche Zustände wie sie in Frankreich herrschten lehnte er strikt ab. Sein Vorbild war Spener, der als Senior des Frankfurter Predigerministeriums sich für die Einhaltung der Sonntagsheiligung und der Kirchenzucht, sowie für die Gründung von Armen- und Waisenhäusern eingesetzt hatte. Trotzdem fand Pfarrer Rohm die reformpädagogischen Lehrmethoden durchaus innovativ und lobenswert und wünschte sich, daß der derzeitige Eschborner Lehrer J. Christoph Diel davon Kenntnis nahm. In Anbetracht dessen Ignoranz und Grobschlächtigkeit schüttelte es ihn und er dachte mit Grauen an die bevorstehende Schulvisitation, die ja auch ihn als Aufsichtspflichtiger traf. Wie war es dazu gekommen?

3.3. Kindheitsjahre 1800-1806 - Erschwerte Bildung in Kriegszeiten

Die institutionelle Erziehung und Aufbewahrung der Kleinkinder in Bewahranstalten, privaten Warte- und Winkelschulen oder öffentlichen Armenschulen, wie sie in der freien Reichs- und Messestadt Frankfurt bereits aus steigender Armut und Nöten der arbeitenden Mütter Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitet war, traf auf das ländliche Eschborn nicht zu. Die Betreuungsangebote des Bürgertums, als karitative Leistung für die Armen, wahrten streng ihre eigenen Standesinteressen und erzogen die Kinder nicht "über ihren Stand hinaus" . Manche sahen darin, wie später auch in den Rettungsanstalten Fliedners (1835), eine sittliche Besserung und Rettung des Seelenheils verwahrloster Kinder und deren Eltern. Aus Sicht des Bürgertums stabilisierten die Anerkennung und Einordnung in die von Gott gefügten Verhältnisse die bestehende gesellschaftliche Ordnung, wie Lehrer Meyer dem Pfarrer berichtete. 36 Das selbstbewußte Frankfurter Bürgertum ließ natürlich seine Jugend von einem Privatlehrer zuhause unterrichten oder schickte sie auf eine der zahlreichen kirchlichen Stiftsschulen.37 Im Gegensatz dazu mußten in der Stadt und auf dem Land alle Haushaltsangehörigen von kleinbürgerlichen Handwerkern, Bauern, Tagelöhnern und Landarbeitern durch ständige Arbeit zum Lebensunterhalt beitragen.36 Wesentliches Wissen und Verhaltensweisen der unteren Stände wurden so in der „alltäglichen Umgangserziehung" erworben. Das Familienleben war geprägt von der „Hand in Hand Arbeit" im Haus, im Stall und auf dem Feld und lies wenig Raum für Freizeit und Intimität. Für die Kinder war es selbstverständlich zu helfen, und durch „Mitahmung" (Nachahmung im gemeinsamen Tun) in die Arbeitswelt der Erwachsenen hinein zu wachsen. Durch die Arbeit lernten sie fleißig und arbeitsam, pünktlich und ordentlich, gewissenhaft, ehrlich und gehorsam zu sein. Ihr Ziel war es groß zu werden und durch die Bewährung bekamen sie Anerkennung, aber in der Abhängigkeit vom Kollektiv der Hausgemeinschaft ließen sich individuelle Lebensentwürfe, anders als im Bürgertum, kaum realisieren.38
Kurt Müller, der Schorneder Sprößling, hatte das Glück in der Obhut der Pfarrersfamilie Rohm aufwachsen zu dürfen. Als er noch klein war durfte er mit Rosina, bei seiner Ziehoma bleiben, während andere Kleinkinder Eschborner Familien mit aufs Feld mußten, in die Obhut der Alten und Armenhäusler gegeben wurden, oder im Haus einfach sich selbst überlassen blieben. (zeitgemäße Annahme!) In den letzten acht Jahren hatte Pfarrer Rohm seinen Ziehsohn fest im lutherischen Glauben erzogen und bereits früh Kurt und Rosina abends im Lesen in der Lutherbibel, im Schreiben und im Rechnen unterwiesen, wie er voller Stolz seinem Freund Meyer erzählte. Kurt zeigte sich als Sohn seines Vaters Schorneder. Er war wißbegierig und lernte schnell. Ab seinem vierten Geburtstag nahm Rosina Kurt mit in die Schule, da die Oma bereits altersschwach geworden war. In der Schule waren einige andere jüngere Geschwister von Schülern, die sich im Stillsitzen üben mußten, da sie am Unterricht nicht teilnehmen durften (zeitgemäße Annahme!). Seit 1786 war J. Christoph Diel, wie bereits sein Vater und Großvater, Lehrer in der Eschborner Dorfschule. Jahrelang hatte er bereits gemeinsam mit seinem Vater, der bei den Kindern und im Dorf hoch angesehen war, aber wegen „Blödheit der Augen" Hilfe benötigte, als Hilfslehrer unterrichtet und sich im Schreiben, Rechnen, Orgelspielen und Singen geübt. Aber nach dem Tod seines Vaters 1786 stellte sich bald heraus, daß er den Aufgaben eines Lehrers nicht gewachsen war und es gab bald unzählige Klagen aus der Gemeinde an den Herrn Pfarrer. So wie sein Vater stellte sich auch Pfarrer Adam Rohm einen guten Lehrer vor:

Aus dem Kirchenbuch des Pfarrers J. Daniel Rohm im Jahre 1775:

     „Schulen sind ein Werk, daran Gott ein besonderes Wohlgefallen hat. Weisheit und Verstand fordert Gott von den Menschen. So sind Schulen die Mittel, solches zu erlangen, und haben unsere Vorfahren sehr darum sich bemüht. [...] Sie sind nötig und nützlich, denn da sollen die Menschen erzogen werden, Gott und den Menschen zu dienen. [...] So sagen Liebhaber der Schule, man hätte den Lehrern mehr zu danken als den Eltern, weil von diesen nur das Leben, sie von den Lehrern aber zu vernünftigen Menschen gemacht würden. [...] Aber was ist heute verächtlicher als ein Schullehrer, dem für seine Arbeit oft nur Undank erwiesen wird. Aber solchen, die also verächtlich handeln und Gottes Werk zu hindern suchen, wird es nicht gelingen. - Ist nun einer ein rechtschaffener Lehrer, so muß er als erstes eine wahre Gottesfurcht und Reinigkeit in der wahren Religion haben, Geschicklichkeit in seinem Amt und Lehren, darf Fleiß und Arbeit nicht scheuen und muß ein vorbildlich Leben führen. Solcher gefällt Gott und ist einer Gemeinde nützlich. "
    (Paul [9], 1969: S.191)

Im Jahr 1794 reichte die Gemeinde beim kurfürstlichen Amt Beschwerde ein und bat um eine unparteiische Examinierung der mißlichen Zustände in der Schule. Es wurde von einer äußerst elenden Unterweisung gesprochen, dem Sinken der Schule und einer gänzlichen Verwilderung der Jugend. In einer fehlerhaften Bildung, Unwissenheit, Verwilderung und Unbrauchbarkeit der Jugend sah man den Ruin der ganzen Gemeinde. Pfarrer Rohm kamen fast die Tränen als er flüsternd Meyer berichtete, so daß ich es kaum noch hören konnte: Es sei zum Erbarmen, wenn man die Kinder beten und lesen höre. Kein Kind könne ordentlich buchstabieren, die wenigsten ihren Namen schreiben und im Singen bei Festen und im Gottesdienst haben sie gar keine Festigkeit. In seinem Gutachten ans Amt mußte Pfarrer Rohm die Unbrauchbarkeit des Christoph Diels bestätigen, der seiner Meinung nach hinter einem Pflug nützlicher wäre als im Schulamt. Jahrelang hatte er mit aller Mühe versucht diesen nicht examinierten und von Naturgaben entblößten Mann für seine Bestimmung als Lehrer zu formen, aber erfolglos. Seitdem hoffte die Gemeinde auf einen tüchtigen examinierten Mann für eine Verbesserung im Schulwesen. Aber erst nach neun Jahren (!) wurde unter nassauischer Herrschaft endlich eine Visitation der Schule anberaumt.39

Am nächsten Vormittag begab ich mich in die Oberortstraße, wo das Schulhaus stand um mir selber ein Bild zu machen. Das zweistöckige Gebäude mit Giebeldach war im Jahre 1772 renoviert worden. Von weitem konnte ich bereits die Schule hören und erinnerte mich an das Schulgutachten Turins:

    „Ein entsetzliches und verwirrtes Geschrei verrät mir die Stelle, wo Herz und Geist vernünftiger Erdenbürger und Christen gebildet werden soll. Ich öffne die Türe! Hilf Himmel! Welcher Tumult, welcher Schwall, welcher Staub und unleidlicher Gestank! Kinder groß und klein durcheinander gleich einer Mördergrube. Etliche Ferkel und ein halbdutzend Hühner laufen unter den Bänken. [...] In dieser Ecke balgen sich Buben, in der anderen reiben sie dem Schulmeister seinen Tabak oder schälen Kraut. Dort sitzt sein Weib und spinnt. Und oben erblicke ich endlich eine hagere,[...], ausgemergelte, [...] Gestalt mit einer Tabakpfeife im Mund und den Stock in der Hand... "
    (Turin, Gutachten über das sämtliche Schulwesen in kurmainzischen Landen: 1776 )40

Wie hielt es Kurt nur in diesem Tumult aus? Ich stellte mir vor, ich müßte allein in einem Schulzimmer, das eigentlich nur für 60 Schüler gebaut wurde, ca. 75 Schüler 41 unterschiedlicher Alters- und Fortschrittsstufen unterrichten... Hilf Himmel! Da war extreme Autorität, Ordnung und Disziplin gefragt. (Auch heute stöhnt noch mancher Lehrer mit 25-30 Schülern einer Altersstufe, wenn es um die Frage der Binnendifferenzierung geht.) Für Herrn Diel kamen die Kriegsgeschehnisse im Rahmen des 2. Koalitionskrieges 1799-1802 zwischen Frankreich und u.a. Österreich und Bayern (Preußen war an diesem Krieg nicht beteiligt) erschwerend hinzu. In kurmainzischem Gebiet, im Land um Eschborn und Höchst, fand offener Krieg statt.42 Die Kinder waren verunsichert, verängstigt und in Zeiten der immer wieder stattfindenden Plünderungen durch französische Husaren und polnische Legionen herrschte Unruhe und Not. Wie Maslow (1943) in seiner Bedürfnishierarchie festhält, konnten die Kinder keine Motivation und Lernbereitschaft entwickeln, da es ihnen am Nötigsten, an Nahrung, Kleidung, Gesundheit, Wärme und Geborgenheit fehlte.

In den immer wieder ausbrechenden Kämpfen der europäischen Fürsten gegen das revolutionäre Frankreich, gegen den Umsturz der bestehenden Ordnung, der auch sie bedrohte, war ein neuer Mann aus der französischen Armee mächtig geworden. Im November 1799 machte sich der General Napoleon Bonaparte zum Alleinherrscher Frankreichs. Nach dem Frieden von Luneville 1801 wird bestätigt, daß das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten wurde. Nun begann das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Napoleon verhandelte mit den deutschen Fürsten rechts des Rheins. Wer zu ihm hielt wurde entlohnt. Insgesamt verschwanden zwischen 1803 und 1806 rund 160 Zwergstaaten von der Landkarte Deutschlands.43 Denn die deutschen Fürsten wurden für ihre Verluste auf dem linken Rheinufer durch die Säkularisierung geistlicher Herrschaften (Ausnahme Mainz) und durch die Mediatisierung der freien Reichsstädte (Ausnahme Hansestädte, Frankfurt, Augsburg und Nürnberg) entschädigt.44 So lag Eschborn seit 1802 im Herrschaftsgebiet des Fürsten Friedrich August von Nassau, der 1806 dem Rheinbund beitrat und von Napoleon den Rang eines Herzogs bekam.45 Der 3. Koalitionskrieg fand 1805 unter Beteiligung Schwedens statt. Außer Preußen und Österreich standen 1806 alle deutschen Fürsten unter französischem Protektorat. Kaiser Franz II., der erst 1802 im Kaiserdom zu Frankfurt gekrönt worden war, legte am 01.August 1806 die deutsche Kaiserkrone nieder. Deutschland war in drei Teile zerfallen, das Kaiserreich Österreich, das Königreich Preußen und das „dritte Deutschland" unter Napoleon, der sich selbst 1804 in der Pariser Kathedrale zum Kaiser Frankreichs krönte. Napoleon ließ die Errungenschaften der Revolution bestehen und erweiterte sie durch das Gesetzeswerk des „Code Napoleon", das später Grundlage für das deutsche „Bürgerliche Gesetzbuch" wurde.43 Im 4. Koalitionskrieg 1806/1807 marschierten nassauische Truppen an Napoleons Seite gegen Preußen. Die nassauische Brigade lag nach dem Zusammenbruch Preußens als Besatzung in der preußischen Hauptstadt. Im November 1806 erging ein Erlaß des herzoglichen Konsistorium Wiesbadens, daß in allen Kirchen zum Siege Napoleons und der Verbündeten ein öffentliches Dankfest zu halten sei, sehr zum Leid des Herrn Pfarrer Rohms. Ebenso wie die Bevölkerung Eschborns war er kein Freund der Franzosen, die seit 1644 immer wieder Eschborn besetzt und geplündert hatten. Der getrübte deutsche Nationalstolz und die Lasten der hohen Kriegskosten ließen viele Bürger nicht an dem befohlenen Dankgottesdienst teilnehmen. Die Kriegsschulden wurden im Jahr 1808 auf die Haushaltungen verteilt und nur widerwillig abbezahlt.45 Auch Kurt und Rosina, so befand Pfarrer Rohm, sollten besser zu Hause bleiben.
Es mögen die Wirren des Krieges dafür verantwortlich gewesen sein, daß es noch weitere drei Jahre dauerte bis im Januar 1806 der Seminarist J. Georg Rupp aus Biebrich, der im Idsteiner Lehrerseminar ausgebildet wurde 46, als neuer Lehrer Eschborns antrat. Ich wollte natürlich mehr erfahren über diese neue Lehrerausbildung im Sinne des Schweizers Pestalozzi, der sich für die Armen und die verarmte Landbevölkerung stark gemacht hatte, der im Spannungsfeld zwischen Sozialpolitik und Sozialpädagogik, Restauration und Revolution stand und durch seine Schriften sozialkritisches Denken verbreitete.47 Nur die Kriegsereignisse wollte ich nicht hautnah miterleben, so stellte ich den Zeitraffer an diesem Abend auf 1809…

3.4. Jugendjahre 1809-1812 - Reformen und Lehrerbildung in Nassau

Am nächsten Tag, es war Freitag, der 18. August 1809, lief ich gerade am Westerbach entlang, als mir Pfarrer Rohm entgegen kam. Er grüßte mich und fragte woher wir uns kannten. Ich erzählte ihm, daß ich Lehrer in Preußen war und öfters auf Durchreise hier Station machte. Begeistert lud er mich in das Vorderhaus des Bromhofs zu einer abendlichen Diskussionsrunde ein, an der auch sein Freund Meyer teilnehmen sollte. Pfarrer Rohm wohnte mit seiner Familie nicht mehr im Pfarrhaus, da dieses immer noch im Zerfall war. Dankend nahm ich an. Bei Einbruch der Nacht trafen wir uns in der Stube des Herrn Pfarrers, in der es nach Bratkartoffeln und dem Qualm der Öllampen roch. Anwesend waren der Herr Pfarrer, der fast vierzehnjährige Kurt, der Lehrer Meyer, der Lehrer Rupp und meine Wenigkeit. Rosina brachte Bier und Brot an den hölzernen Tisch um den wir uns setzten... Die Herren wollten natürlich erstmal wissen, wie es nach der schrecklichen Niederlage durch die französische Revolutionsarmee um die Bildungspolitik in Preußen stand und betonten beschämt, daß Nassau von Napoleon gezwungen wurde, Truppen für die Offensive zu stellen. So berichtete ich von der schwierigen Lage, die eine grundlegende Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens durch wirksame Reformen erforderte, wie sie der preußische Minister des Königs Freiherr vom Stein mit seiner „Freisetzungspolitik" vorantreiben wollte. Die Konzepte der liberalen Befreiungspolitik und die humanistischen Bildungsansprüche, wie sie Pestalozzi mit seinem „Prinzip der Selbsttätigkeit" vertrat, ergänzten sich. Bei der Neugestaltung des Staatswesens sollten Politik und Pädagogik sich gegenseitig bedingen und unterstützen. Das Prinzip der „allgemeinen Menschenbildung" im Gegensatz zur bislang gültigen ständischen Bildungsbeschränkung entsprach den Forderungen nach Freiheit und Rechtsgleichheit, die nach der französischen Revolution breite Zustimmung „von unten" fand. 48 Vom Stein war der festen Überzeugung, daß sich das Volk, wenn es in eigener Sache und nicht zum Wohl der Fürsten und Könige kämpfe, sich gegen die Franzosen für ihr Vaterland Deutschland erheben würde. Er wollte Selbstständigkeit und Unabhängigkeit für ein großes und starkes Deutschland mit freien Bürgern. In seinen Edikten von 1807 und 1808 schaffte er die ständischen Vorrechte ab, hob die Gutsuntertänigkeit auf und ermöglichte eine Selbstverwaltung der Bürger in den Städten. Die Adeligen lehnten sich gegen die Reformen vehement auf und beschimpften vom Stein als Jakobiner. (Später wurde vom Stein von Napoleon zum Staatsfeind erklärt und mußte fliehen. Seine Reformen wurden von seinem Nachfolger Fürst von Hardenberg weitergeführt, der 1810 die Gewerbefreiheit einführte und die Zünfte aufhob.) 49 Napoleon war nicht nur ein Gegner vom Steins, sondern auch des Wilhelm von Humboldt, der den vom Stein 1808 neu eingerichteten Posten als Sektionschef für Kultur und Unterricht im preußischen Innenministerium besetzte. Von Humboldt, der auch mit Schiller befreundet war, stand für die Vermittlung von Allgemeinwissen nach den Zielen des „Guten, Wahren und Schönen" .50 Im völligen Gegensatz dazu, sorgte Napoleon in Frankreich dafür, daß die Bildung sich auf Standeswissen beschränkte und nur für die männliche Jugend vorgesehen war. Mädchen sollten von ihren Müttern zuhause erzogen werden, da sie in keiner Weise für das Leben in der Öffentlichkeit bestimmt waren. In den französischen Elementarschulen sollte nur Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt werden.51 Da Nassau unter französischem Protektorat stand, fragte ich nun den Herrn Lehrer Rupp, wie es den im Herzogtum Nassau um die Bildung bestellt sei.
Da schaltete sich Lehrer Meyer dazwischen, der an seiner Musterschule, die anderen Schulen ein Beispiel sein sollte, die neuen Lehrmethoden des Pädagogen Pestalozzis umsetzte.52 In den höheren Bildungsanstalten, wie der seinen, oder den Stifts-, Latein- und Quartierschulen wäre die Realisierung der allgemeinen Menschenbildung, wie sie die Neuhumanisten forderten, sicherlich kein Problem. Er sehe aber große Schwierigkeiten unter den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, die in der Großstadt und auch hier auf dem Land herrschten. Die soziale Realität der unteren Schichten in der Zeit von Kinderarbeit, Massenarmut, Elend und Krieg erschwerten ungemein die Verwirklichung dieser Postulate, ganz abgesehen von der schlechten Finanzlage der staatlichen und kommunalen Haushalte, die ja eine solchen Bildungsausbau auch mit zu finanzieren hätten. Nicht zu vergessen, den Widerstand des immer noch einflußreichen Adels, der weit in die Administration hineinreichte. Als Lehrer an einer vorbildlich funktionierende mehrklassig ausgebauten höherer Stadtschule hatte er es einfacher, er verdiente viel besser, hatte zahlreiche Kollegen und war besser ausgebildet als ein Dorfschullehrer oder niederer Stadtschullehrer.53 In der Zwischenzeit beobachtete Kurt, der dem Gespräch interessiert gefolgt war, wie seinem Lehrer Rupp die Farbe zu Gesicht stieg. Lag es an dem Bier oder fühlte er sich persönlich angegriffen?

Erregt ergriff er das Wort. Trotzdem ihm nur ein Schulraum für an die 80 Kinder zur Verfügung stand wäre er durchaus in der Lage seiner Dorfjugend eine gute Grundlage fürs Leben zu vermitteln. Er habe schließlich während seiner Ausbildung im Idsteiner Lehrerseminar bereits von den Lernmethoden des Pestalozzi gehört. Der Lehrer Meyer schmunzelte, wohl ob der Tatsache, daß Rupp die zweijährige praktische Seminarausbildung mit seinem dreijährigen Universitätsstudium 53 verglich, schwieg aber, um die Stimmung nicht noch mehr aufzuheizen. Ich bestärkte Rupp darin, daß die Dorfschullehrer für die Arbeit die sie leisteten viel zu wenig Anerkennung, sowohl finanziell als auch in Form von Wertschätzung der Bevölkerung, bekamen und dachte dabei an die Situation des 21. Jahrhunderts. Rupp erzählte nun, daß es noch keinen vorgeschriebenen Ausbildungsgang in den nassauischen Landen gab. Er habe aber bereits das 1779 durch Fürst Carl Wilhelm zu Nassau eingerichtete kostenpflichtige Schullehrer-Seminar in Idstein besucht, das aus dem seit 1734 bestehenden „Seminar zur Bildung künftiger Lehrer" hervorging. Kurt staunte nicht schlecht, als er nun hörte was sein Lehrer im Seminarunterricht alles lernen mußte: Er bekam Unterricht vom Herrn Direktor, zwei Stunden natürliche Moral und eine Stunde Amtsklugheit im Sommer und eine Stunde Landwirtschaft und Katechisieren in der deutschen Schule im Winter. Zusätzlich lehrte ihn der Kollaborator vier Stunden Katechismus, christliche Glaubens- und Sittenlehre, drei Stunden Rechnen, je zwei Stunden Bibellesen und Anfangsgründe der Latinität, je eine Stunde biblische Geschichte, methodisches Buchstabieren und Orthographie. Verpflichtend waren auch je vier Schreib- und Singstunden und er durfte am Gymnasium Lehrstunden in Geometrie, Geographie und Geschichte besuchen. Im seminareigenen Garten wurde praktisch Gartenbau und Obstbaumzucht vermittelt. Als Seminarist hatte er auch die Pflicht der Gottseligkeit, jeden Morgen Gesang eines Liedes, gemeinschaftliches Gebet, fleißiger Besuch der Kirche, Gehorsam, Höflichkeit und Reinlichkeit des Körpers und der Stube. Zusammen mit den fünf anderen Seminaristen wohnte er in einer Art Wohngemeinschaft, die von einer 50-jährigen Frau und deren Mutter betreut wurde. Überwacht wurden das Seminar und die Prüfungen durch die Schulinspektion Nassau.54

Die Regierung in Wiesbaden war, wie nun wieder Meyer berichtete, aufgeschlossen gegenüber den preußischen Schulreformen und den pädagogischen Erkenntnissen Pestalozzis. Karl von Ibell, der Amtmann für Kirchen- und Schulsachen in Nassau, war ein großer Anhänger der Pestalozzischen Unterrichtsmethode und gab 1805 den Anstoß zu den Reformen des Schulwesens in Nassau, bei denen die Erfahrungen Preußens im Geiste der Aufklärung mit einbezogen wurden. Er trat für die Verbesserung der Schulzustände, eine bessere Ausbildung und Bezahlung der Lehrer, die Trennung des Schulamts vom Kirchendienst ein und wollte Erziehung zur reinen Staatssache machen. Rupp ergänzte, daß 1808 das Seminar zu Idstein reorganisiert wurde. Es umfasste nun eine dreijährige Ausbildung, die für alle Elementar- und Realschullehrer verpflichtend war. 1809 lagen bereits erste Entwürfe für einen überkonfessionellen Erziehungs- und Schulplan vor. Meyer war, wie Ibell und später auch Diesterweg, der Meinung, daß die Ideen Fichtes und Pestalozzis in der Erziehung vereint werden sollten. 54 Diesterweg formulierte es später folgendermaßen:

    „Pestalozzisch, indem wir die Kraft und Macht der häuslichen Erziehung anerkennen und verstärken. Fichtisch, indem wir mit der häuslichen Erziehung in den ersten Perioden des Lebens nachher die öffentliche verbinden. Pestalozzisch und Fichtisch, indem wir in den Schulen, welche den Übergang aus dem Leben im Haus zu dem in dem Staate bilden, den Menschen bilden und den Grund zum künftigen Staatsbürger legen, folglich überall Kraft bildend wirken."
    (Diesterweg zitiert nach Herrlitz [6], 1986: S.38)

Es war schon spät geworden und alle gähnten inzwischen nach Herzenslust, so daß wir die Runde auflösten und nach Hause gingen. Ich hörte noch, wie Pfarrer Rohm seinen Schützling Kurt fragte, ob er nicht nach seiner Schulentlassung dem Herrn Lehrer als Hilfskraft in der Unterweisung der jüngsten Schulkinder beistehen möge. Er könne dabei Nützliches lernen, sollte er die Ausbildung in Idstein anstreben. Kurt, der neben der Landwirtschaft und dem Obstbau, viel Zeit mit den Büchern seines Ziehvaters verbrachte, freute sich auf die neue herausfordernde Aufgabe. Wie ich später von Pfarrer Rohm hörte, wurde Kurt nach Vollendung seines vierzehnten Lebensjahrs und seiner Konfirmation am Palmsonntag 1810 bei dem neuen Lehrer Jakob Ohlenmacher, der 1810 sein Amt in Eschborn antrat und ebenfalls in einem Lehrerseminar ausgebildet wurde, als Hilfslehrer tätig.
Seit Eschborn eine Freischule hatte und die Schulpflicht strenger gehandhabt wurde, stieg die Schülerzahl ständig an. Der Unterricht fand regelmäßig von 7.00-10.00 Uhr im Sommer, von 8.0011.00 Uhr im Winter und nachmittags von 1.00-4.00 Uhr statt. Zwischen der zweiten und dritten Stunde dienten 15 Minuten Pause der Erholung der Schüler und Lehrer sowie dem Lüften des Schulzimmers. Kurt und Herr Ohlenmacher hatten die inzwischen über 100 Schulkinder in Stufen eingeteilt. Kurt kümmerte sich um die ABC- und die Buchstabierkinder, während Herr Ohlenmacher die Lesekinder und den Industrieunterricht, sowie die Schulstunden in Landwirtschaft und Obstbau der Ältesten betreute. Während der dringlichsten Feld- oder Hofarbeiten konnten die Schüler der oberen Klassen sich nachmittags für ein paar Tage oder eine Woche dispensieren lassen. Es wurde sehr auf die Pünktlichkeit und Reinlichkeit der Schüler geachtet. Dem sonntäglichen Gottesdienst und dem gemeinsamen Singen bei diesem und zu Festen und Beerdigungen waren alle Schüler verpflichtet. Der lutherische Religionsunterricht stand im Vordergrund. Zu Beginn des Unterrichts wurden Kirchenlieder gesungen, gemeinsam gebetet und am Montag die Sonntagspredigt wiederholt. Es wurden Katechismusstücke auswendig gelernt und fromme Texte und Psalmen in der Bibel gelesen. Hinzu kamen die Grundrechnungsarten und erste Ansätze von Naturlehre „Vermehrung der Fruchtbarkeit des Bodens". Im Industrieunterricht übten sich die Schüler in handwerklichen Fertigkeiten, Fleiß und Arbeitsamkeit. Die Sorge um die Ernährungssituation und die Tatsache, daß fast die gesamte ländliche Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig war, erklären warum Landwirtschaft und Obstbaumzucht damals ordentliche Lehrfächer sowohl im Schulunterricht, als auch in den Lehrerseminaren waren.55

Gemeinsam mit dem Lehrer Meyer besichtigte Kurt 1812 an seinem Geburtstag die Privatschule für Knaben und Mädchen nach der Pestalozzischen Erziehungsmethode, die von Johann de l'Aspee, einem Handwerkersohn aus dem Rheingau, 1809 in Wiesbaden eröffnet worden war. De l'Aspée war auf Wanderschaft nach Iferten gekommen und ein unmittelbarer Schüler und überzeugter Jünger Pestalozzis geworden.56

Wie Meyer Kurt erklärte, lag für Pestalozzi der Ursprung aller Bildung in der Familie. Die angeborenen Grundkräfte des Menschen als soziales Wesen sollten ihre natürliche Entfaltung als erstes in der lebendigen Gemeinschaft der Familie finden. Kurt erinnerte sich an das mütterliche Prinzip, der „Wohnstubenpädagogik", wie er es in Pestalozzis „Lienhard und Gertrud" gelesen hatte. Daran sollte nun die Volksbildung anschließen, als Erweiterung der Lebenskreise, hin zum Beruf und zum Leben im Staat. Die Elementarbildung sollte nach Pestalozzi die Grundlage aller Bildung sein und allen Kindern ermöglichen ihre Grundkräfte natürlich mit „Kopf, Herz und Hand" zu entwickeln. Der Unterricht nach der Methode Pestalozzis paßt sich den Gesetzen der kindlichen Geistesentwicklung an. Zu Beginn steht das Sinnliche, die Erweiterung der Erfahrungen geht vom Nächstliegenden aus und schreitet langsam und lückenlos zum Schwierigeren, mit Hilfe aller Sinne werden selbsttätig die Dinge veranschaulicht. Die sittlich-religiöse Erziehung, die Entwicklung von Geduld, Gehorsam, dem Gewissen, dem Pflicht- und Rechtsgefühl keimen laut Pestalozzi in der Liebe und Anhänglichkeit zur Mutter und zu Gott.57 Im Gespräch mit Lehrer Meyer wurde Kurt klar, wie stark Pestalozzis Methode von Rousseau geprägt war. Für mich war beeindruckend, daß die damals formulierten Ansätze auch heute noch größtenteils die Grundlage für die pädagogische Arbeit bilden (abgesehen von der Religiosität): „Das Kind dort abholen wo es steht", „Mit allen Sinnen Begreifen", „Förderung durch Selbsttätigkeit des Kindes"... Kurt hatte nach dem Besuch in Wiesbaden lange über die Möglichkeiten der Umsetzung der pestalozzischen Methode in seiner Schule nachgedacht und fand es unmöglich an der Seite Ohlenmachers, der seine eigene festgefahrene Methode entwickelt hatte und ihn streng überwachte. Es herrschte noch ein harter Drill, mechanisches Auswendiglernen und Prügelstrafe. (Annahme!)

Wie sollte es nun weitergehen? Humboldt hatte den Grundstein für die Ablösung der Standesbildung durch die Volksbildung geschaffen. Pestalozzis Methode sollte zur Grundlage der Neuordnung der Volksschulen und der Ausbildung der Volksschullehrer werden. Leider trat Humboldt 1810 wegen Kompetenzgerangels aus dem Bildungsbereich zurück. Sein Nachfolger Schuckmann war ein Alt-Konservativer, so daß die liberalen Beamten die Ideen von Humboldts erstmal zurückstellten. Die Reformen blieben bis auf weiteres „Papier".

3.5. Befreiungsjahre 1812-1820 - Bildung zwischen Restauration und Freiheitskampf

Als ich wieder in meinem Gastzimmer in der „Krone" saß, war ich mir unschlüssig in welches Jahr meine Reise als nächstes gehen sollte. Ich begann in verschiedene Jahre hinein zu „zappen": Nach dem Scheitern des Russlandzug Napoleons im Dezember 1812 zeigten die Reformen Steins ihre Wirkung. Es bahnte sich die Befreiung von den Franzosen an. Das deutsche Volk erhob sich in Preußen am 17.März 1813, um für ein „ganzes Deutschland" zu kämpfen.58

Die nächsten zwei Jahre 1813-1815 waren in Eschborn geprägt von den wechselnden Besetzungen und Plünderungen verschiedener Truppen, so daß Kurt und Lehrer Ohlenmacher Schwierigkeiten hatten einen geregelten Unterricht zu geben. Die Kinder kamen sehr unregelmäßig zur Schule und waren nicht in der Lage sich zu konzentrieren. Im Herbst 1813 war die Eschborner Bevölkerung in höchster Spannung, hörten sie doch ständig den Geschützdonner aus Frankfurt. Am 31. Oktober zog sich Napoleon mit seinen entkräfteten Truppen von Frankfurt nach Mainz zurück. Die zerlumpten Soldaten bettelten nach Brot, verfolgt von bayerischen, österreichischen, preußischen und russischen Truppen, die abwechselnd in Eschborn Quartier bezogen. Wieder plünderten sie Wertsachen, schlachteten nach Belieben und bedienten sich übermäßig an Eßware und Fourage der Einwohner. Die russischen Kosaken wüteten am schlimmsten von allen. Im Pfarrhaus und in den Wirtshäusern quartierten sich die Generäle und Offiziere ein und die Infanteristen belagerten die Dorfbewohner, als ob es eine Rache für die Rheinbundbeteiligung gegen Preußen war.59

Napoleons letztes Heer wurde am 18. Juni 1815 in der Schlacht bei Waterloo geschlagen und der Kaiser auf die Insel St. Helena ins Exil geschickt. Am 09. Juni 1815 unterzeichneten der Zar von Rußland, der Kaiser von Österreich und der König von Preußen die „Heilige Allianz", in der annähernd die alte Ordnung vor der Revolution wieder hergestellt und gesichert wurde. Aus dem „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" wurde der „Deutsche Bund", ein lockerer Fürstenbund, in dem die einzelnen Staaten, so auch das Herzogtum Nassau selbstständig blieben. Gemeinsame Fragen wurden im Bundestag in Frankfurt beraten. Den Vorsitz hatte Österreich mit dem Fürsten von Metternich als Minister, der die Restauration vertrat. Die Idee der Freiheit und Einheit war zu den Akten gelegt worden, verblieb aber in den Herzen des Volkes. Unter einigen liberalen Bürgern, Schriftstellern, Professoren und vielen Studenten gärte die Unzufriedenheit weiter. Die Deutsche Burschenschaft wurde unter dem Motto „Ehre, Freiheit, Vaterland" gegründet, Schwarz-Rot-Gold war ihr Verbindungszeichen, die Farben des Freikorps Lützow. Beim Wartburgfest im Sommer 1817 verbrannten die Studenten fürstentreue Bücher. Der revolutionäre Freiheitskampf gegen die Fürsten, den Deutschen Bund und die Heilige Allianz hatte begonnen.60

Am Mittwoch, den 25. März 1818 sah ich wie Kurt seinen Freund und Mentor, den Lehrer Meyer von der Musterschule abholte. Nachdem er im Auftrag des Pfarrer Rohms Geschäfte in Frankfurt getätigt hatte, trafen sie sich im Schulhof. Das schien spannend zu werden, also stoppte ich den „Schnell-Lauf-Modus" meiner Zeituhr und beobachtete das Geschehen...

Die Musterschule, so wußte Kurt, legte besonderen Wert auf den Philanthropismus und die Realien (Sachfächer). Durch die pestalozzische Methode sollten die Kinder praktisch zu nützlichen Gesellschaftsmitgliedern gebildet werden. Ein Kollege von Lehrer Meyer kam ihnen entgegen und grüßte. Das war Adolph Diesterweg auf dem Weg zum Unterricht, erklärte Meyer. Diesterweg war 1813 nach Frankfurt gekommen, um einer Einberufung zur napoleonischen Armee zu entgehen und unterrichtete Mathematik, Geometrie und Naturkunde. Er schätzte das kulturelle und politische Leben der innovativen Mainmetropole sehr und hatte Meyer bereits öfters zu Veranstaltungen mitgenommen. Die Geschehnisse der deutschen Befreiungskriege im Rhein-Main Raum hatte die patriotische Gesinnung beider erweckt. Meyer empfand, daß sein Kollege einen bemerkenswerten sozialen Gerechtigkeitssinn und Tatendrang hatte. Neben seinen dreißig Stunden Unterricht, die ja auch vorbereitet werden mußten, war Diesterweg noch in verschiedenen städtischen Initiativen tätig. So war er Mitglied in der „Museumsgesellschaft" und hatte die „Frankfurtische Gesellschaft zur Beförderung der nützlichen Künste und ihrer Hilfswissenschaften" gegründet, die soziale, humanitäre, nationale und ökonomische Ziele vereinigte. (Goethe war auch Ehrenmitglied dieser Gesellschaft.) Bereits sozialpädagogisch orientiert, verwirklichte Diesterweg über diese Gesellschaft seinen Plan einer Sonntagsschule für junge Handwerker und Gesellen im Jahre 1817.61 Meyer war sehr beeindruckt von dem Engagement und der pädagogischen Begeisterung Diesterwegs, die ihn zum Gesprächsthema auch bei höheren Kreisen der freien Reichsstadt machten. Bei den Kollegen war Diesterweg sehr umstritten. Es gab Neider, da er Meister des Unterrichtens war und die Liebe aller Schüler hatte. Andere fanden ihn arrogant und frech und lehnten seine Umtriebigkeit ab. Durch seine kontaktfreudige Art lernte Diesterweg in Auseinandersetzung mit der neuen Pädagogik auch viele Kollegen aus anderen Schulen kennen. Kurt fragte, ob Diesterweg auch die Wiesbadener Schule bereits besucht hätte, in der sie vor sechs Jahren gewesen waren. Meyer erzählte, daß sein Kollege in engem Kontakt mit Johann de L'Aspee stand. Die Ehefrau Diesterwegs, Johanna Sabine, hatte ihr Herz mal bei ihm ausgeschüttet: Ihr Gatte würde mit de L'Aspée oft die Nächte bis in die Morgenröte im Gespräch verbringen. Einen regen Austausch hatte Diesterweg auch mit dem ehemaligen Leiter der Musterschule, Gottlieb Anton Gruner, der das pestalozzische Prinzip damals dort eingerichtet hatte und nun Elementarlehrer am Idsteiner Lehrerseminar ausbildete.62 Das fand Kurt spannend, der an seinen alten Lehrer Rupp denken mußte. Diesterweg vertrat die neuen Erziehungsmethoden, warnte aber immer vor der „unglücklichen Verirrung" mancher übereifrigen Lehrer:

    „Es ist eine übelverstandene Philanthropie, wenn man den unreifen Menschen wie einen reifen behandelt, [...] wenn man die Willkür, welche man der Jugend erlaubt, für ein Mittel zur Bildung zur Freiheit hält. [...] Nicht Basedow, nicht Rochow, nicht Salzmann und nicht Pestalozzi, auch nicht der geniale Rousseau, haben diese Popanze herbeigeführt, sondern deren falsche Jünger. "
    (Diesterweg zitiert nach Hohendorf [7], 1990: S.31)

Diesterweg war nicht konfliktscheu, wie Meyer wußte. Er erinnerte sich da an unschöne Auseinandersetzungen im Kollegium sogar mit dem Schulleiter Seel, der ihn für zuchtlos und überheblich hielt. Ein Hauptstreitpunkt war die „ Turnschule ", die Diesterweg mit dem Kollegen Hahn im Schulgarten begonnen hatte und die er auf den ganzen Schulgarten ausweiten wollte. Meyer erinnerte sich an den Tag im Jahr 1813 als Diesterweg in einem Frankfurter Antiquariat Ludwig Jahn kennen gelernt hatte. Er mußte ewig warten, weil die beiden stundenlang ein angeregtes Gespräch führten. Jahn hatte bereits 1810 seine Ideen der Wiederbelebung des Volksbewußtseins und der Stärkung der körperlichen Kraft der Jugend in seiner Schrift „Deutsches Volkstum" veröffentlicht. Er war Initiator der Turnerbewegung und seine militärisch orientierten Turnplätze verbreiteten sich bald über ganz Deutschland. Diesterweg als begeisterter Vertreter der Körpererziehung nahm das Konzept sofort auf. Das eindeutig politisch motivierte Turnvorhaben, das Schulleiter Seel ursprünglich gefördert hatte, war Seel zu brisant geworden. So kam es, daß er später die Turnstunden verbot.63 Meyer wurde traurig, als er nun Kurt berichtete, das Diesterweg aufgrund der ständigen Konflikte mit dem Schulleiter gekündigt hatte, um einem Rausschmiß zuvor zu kommen. Er hatte nicht mehr lange bis er im April 1818 seine neue Stelle als Konrektor in Elberfeld antreten sollte. Der Abschied fiel Diesterweg und den Schülern schwer.64 Später brachte er Kurt die Lieblingslektüren Diesterwegs mit: Jahns „Deutsches Volkstum", Fichtes „Reden an die deutsche Nation" und Schriftsteller Ernst Moritz Arndts „Fragmente der Menschenbildung".65 In späteren Jahren las Kurt auch mit Begeisterung die „Rheinischen Blätter für Erziehung und Unterricht mit besonderer Rücksicht auf das Volksschulwesen". Diese gab Diesterweg regelmäßig ab 1827 bis zu seinem Tod heraus, um seine politischen Einstellungen, seine Ideen der allgemeinen Volksbildung, die pestalozzische Methode sowie sein Konzept der Ausbildung von Elementarlehrern an Seminaren zu verbreiten. Er war bestrebt sich selbst immer weiterzubilden und forderte auch seine Schüler und Seminaristen zum ständigen Lernen auf. 66 Nach dem heutigen Motto des „ lebenslangen Lernens "...

Friedrich Fröbel war ein weiterer Pädagoge, der auch mit Diesterweg im regen Austausch stand. Lehrer Meyer hatte früher Kurt öfter mal von ihm erzählt. Fröbel war in den Jahren 1805/1806 auch sein Kollege an der Frankfurter Musterschule gewesen, bevor dieser 1808 mit zwei Frankfurter Patriziersöhnen zu Pestalozzi nach Iferten gegangen war. Meyer fand Fröbels Gedanken aber immer ein bißchen wirr und konnte ihnen schwer folgen. Wie für Pestalozzi, war auch für Fröbel die Familie als erste Erziehungsstelle und die Mutter als erste Erzieherin besonders wichtig. (Spätere Entstehung der Mutter und Koselieder.) Fröbel war ein sehr frommer Mensch. Er sah die Bestimmung im göttlichen Wesen des Menschen. Dieses sollte sich entfalten und im Leben bewußt wirksam werden, angeregt durch die Erziehung. Ziel seines Unterrichts waren die Einheit der Dinge und ihr Ruhen in Gott den Kindern zur Einsicht zu bringen. Er wollte den Kindern die rechten Kenntnisse vermitteln und ihren Körper ausbilden. Was Meyer an Fröbel gefiel, war sein gutes Einfühlvermögen in die kindliche Welt. Er griff den natürlichen Beschäftigungs- und Spieltrieb der Kinder auf und erweiterte den Anschauungsunterricht Pestalozzis. (In späteren Jahren widmete er sich überwiegend der vorschulischen Erziehung und entwickelte seine „Spielgaben" , die selbsttätige Sinneserfahrungen anregen sollten und in seinem Kindergarten Konzept bis heute in ganz Deutschland und darüber hinaus verbreitet ist.) Fröbel hatte an der Seite von Ludwig Jahn aktiv an den Freiheitskämpfen teilgenommen. So war er 1813 als Freiwilliger dem Lützower Freikorps beigetreten.67 Was Diesterweg und Fröbel verband, war ihre Vorliebe für die Pestalozzische Methode und ihr liberaler Zeitgeist. (Im Jahr 1851 widmete Diesterweg die vierte Auflage seines „Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer" Fröbel.) 68 Kurt überlegte bereits, wie er Lehrer Ohlenmacher zu Turnstunden überreden konnte, aber sein Bemühen scheiterte. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, schaltete ich nun in Zeit und Raum hin und her.

Im Jahr 1819 scheiterte auch der Entwurf eines „Allgemeinen Schulverfassungsgesetzes" für Preußen durch Johann Wilhelm Süvern, der die liberalen Prinzipien der neuhumanistischen Bildungstheorie vertrat. Er war seit 1817 Leiter der Abteilung Unterricht unter dem Minister für Kultus-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Freiherr vom Stein zu Altenstein geworden. Geplant war ein integriertes dreistufiges Schulsystem. Die allgemeine Elementarschule war als erste Entwicklungsstufe für alle Kinder gedacht und sollte den unteren Volksklassen genügen. Die zweite Stufe bestand aus den allgemeinen Stadtschulen, die durch Bildung bis zum Knabenalter die Grundlage für eine wissenschaftliche Ausbildung oder für ein bürgerliches Gewerbe schaffen sollte. Die dritte Stufe war das Gymnasium, das allgemeine wissenschaftliche und sittliche Bildung vermitteln sollte als Grundlage für höhere Studien an einer Universität. (Es ist im Prinzip das gleiche Stufenystem, wie es 1970 der deutsche Bildungsrat in seinem „Strukturplan" entworfen hat!) 69

Ein Kritiker Süverns war der konservative Ludwig von Beckedorff, der 1820 das Volksschulreferat übernahm. Er setzte das Konzept der „naturgemäßen Ungleichheit der Standeserziehung" der Idee der „allgemeinen Menschenbildung" entgegen. Durch letztere würde Neid, Eifersucht und Unruhe geschürt werden, da es keine Gleichheit gab. Das pädagogische und politische Ziel der allgemeinen Menschenbildung passe nicht zur Monarchie. Hinzu kam, daß die liberale Schulreform bereits auf Konzeptebene sozialselektiv war durch den Ausschluß der unteren Klassen von den höheren Stufen. Nach der Ermordung des Dichters und russischen Staatsrats Kotzebue durch den Burschenschaftler Sand leiteten die Karlsbader Beschlüsse 1819 die „Restaurationsphase" im Deutschen Bund ein. Anlaß war die vorherrschende Revolutionsangst des deutschen Adels. Es folgten Zensuren der Presse, die Turnplätze wurden geschlossen, Burschenschaften verboten, Universitäten überwacht und Revolutionäre aus dem Staatsdienst entlassen.70 Trotzdem hatten sich in diesen Zeiten die Zustände der Elementarschulen prinzipiell verbessert. Sie wurden quantitativ ausgebaut und mit ausgebildeten Lehrern besetzt. Die Lehrinhalte wurden über den religiösen Lehrstoff hinaus erweitert und die Lehrerseminare verbreitet.71

Das Herzogtum Nassau war hingegen unter dem Herzog Wilhelm von Nassau in den Zeiten des Umbruchs ein reformfreudiger Staat. So freuten sich Lehrer Meyer und Kurt, als sie erfuhren, daß die Wiesbadener Regierung am 24. März 1817 das „Nassauische Schuledikt" veröffentlicht hatte. In allen Gemeinden sollten die Volksschulen, neben den höheren Schulen, jedem Menschen, ohne Unterschiede des Geschlechts, der Religion, des Standes und der künftigen Bestimmung notwendige allgemeine Bildung zukommen lassen.72 So wurden fortan in Eschborn katholische, evangelische und jüdische Kinder gemeinsam unterrichtet, auch wenn die Mehrheit der Schüler lutherisch war. Lehrer Ohlenmacher listete ab 1820 in seiner Schulchronik genau auf, wie viele Kinder welcher Konfession und Religion die Schule besuchten.73 Die beispielgebende nassauische Simultanvolksschule sollte allen Schülern Chancengleichheit ermöglichen. Zur Finanzierung wurde am 29. März 1817 der „Nassauische Zentralstudienfond", der heute noch besteht und wirkt, gegründet. Das Stiftungsvermögen wurde durch die Zusammenfassung von vierzehn vorwiegend kirchlichen Stiftungen gebildet und besteht aus Grundstücken, Wald, Hofgütern und Wertpapieren. Die Verpflichtungen, die vom damaligen Stiftungsgründer eingegangen wurden, werden auch heute noch erfüllt. So erhalten 74 Gymnasien im Gebiet des früheren Herzogtums Nassau Zuschüsse zur Beschaffung von Lehr- und Lernmaterial und zur Realisierung von Schulprojekten. Bedürftige Studierende, die im Gebiet des früheren Herzogtums Nassau geboren sind, erhalten Stipendien. Die Bauten bestimmter evangelischer Pfarr- und Kirchengebäuden im Raum Wiesbaden werden unterhalten und die übernommenen Belastungen der ehemaligen Einzelfonds in Form von „in Geld umgewandelte Fruchtabgaben" an bestimmte Pfarreien in Nassau werden immer noch gezahlt.74 Bei dem Stichwort „Pfarrei" waren mir Pfarrer Rohm und Kurt wieder in den Sinn gekommen. Wie es wohl der Pfarrfamilie in diesen schweren Zeiten ergangen war? Ich drehte wieder an meinem Meisterwerk der Technik...

4. Schwere Zeiten - Kriegsfolgen und die Nassauische Armenpflege

Trotz Kriegsende wollten die schweren Zeiten nicht enden und Pfarrer Rohm hatte alle Hände voll zu tun, um Kraft und Trost zu geben. In den Jahren 1816 und 1817 hatte man die Ernte wegen der starken Regenfälle und Kälte nicht rechtzeitig einbringen können und vieles war auf dem Feld zum Teil im Schnee verdorben. Es folgten grenzenlose Teuerungen. Das Brot, die Kartoffel und das Saatgut waren wegen der Mißernte auf das drei- bis vierfache des normalen Preises gestiegen. Das ganze Dorf litt unter den Folgen.75 So mußte auch Kurt das Saatgut für die Pfarräcker in Frankfurt auf dem Markt teuer bezahlen und mühsam nach Eschborn karren. Armut, Hunger und die harte Arbeit um das tägliche Brot bestimmten den Alltag der Gemeinde. Die Kriegsgeschehnisse und die Armut hatten Kurts Traum einer Lehrerausbildung zerschlagen. Nach endlosen Diskussionen über einzuführende Reformen in der Schule, hatten Kurt und Lehrer Ohlenmacher sich zerworfen. Kurt war seither mit der Landwirtschaft und dem Obstbau beschäftigt, damit sich die Familie Rohm das teure Geld für die Bestellungskosten der Äcker sparen konnte. Nebenbei unterstützte er seinen Ziehvater ehrenamtlich in den Alltagsgeschäften des Pfarramts. Seine guten Schreib- und Rechenkenntnisse brachte er in der Studierstube ein. Er erstellte Schriftsätze und Abrechnungen für Hilfe suchende Gemeindemitglieder, die dessen nicht mächtig waren. Gemeinsam mit Rosina machte er Hausbesuche und kümmerte sich darum, daß Alte und Kranke das Nötigste an Pflege, Nahrung und persönlichen Kontakt bekamen. Nach der Schließung des Armenhauses war die Sorge um die Armen als freie Wohltätigkeit geregelt worden. Die Armut betraf oft das Alter und viele Bürger nahmen aus Ehrgefühl nur in dringendster Not Unterstützung an. Kurt war durch das „Nassauische Armenpflegeedikt" vom 19. Oktober 1816 zum Armenpfleger bestellt worden und Pfarrer Rohm beaufsichtigte ihn als Mitglied der Amtsarmenkommission der herzoglichen Landesregierung. Kurt hatte Berichte und Armenlisten zu erstellen und bei seinen Hausbesuchen „Abhörungsbögen" auszufüllen, um die Lebensumstände seiner Betreuten zu ermitteln.76 Um Kurts Hilfe in Anspruch nehmen zu können mußte man seinen ständigen Wohnsitz in Eschborn haben (Heimatprinzip). Bei Unglücksfällen von Durchreisenden halfen der Herr Pfarrer und Kurt auch mit Geldern aus der Armenkasse. Die Kosten für verunglückte reisende Gesellen übernahm die Zunftkasse bis zur Abschaffung der Zünfte und Einführung der Gewerbefreiheit 1819 in Nassau. Durch Kurts Erhebungen konnte der Hilfsbedarf in Form von Pflege, Geld oder Sachleistungen im Einzelfall festgelegt werden (Individualisierungsprinzip). Natürlich mußte Kurt auch prüfen, ob nicht Verwandte sich um ihre hilfebedürftigen Familienmitglieder kümmern konnten. Gerne lies Kurt auch anderen Helfenden den Vorrang (Subsidiaritätsprinzip), da er selber alle Hände voll zu tun hatte.77 Rosina zum Beispiel hatte sich einigen Frauen der Gemeinde angeschlossen, die ebenfalls versuchten das kriegs- und mißerntenbedingte Elend zu lindern. Pfarrer Rohm hatte auch immer ein wachsames Auge auf die sittliche Lebensführung und Gottseligkeit seiner Gemeinde. So wurde eines Tages von den Frauen der Gemeinde eine Beschwerde an ihn heran getragen worden: Die Männer hatten es sich zum Brauch gemacht des Abends und Sonntags in der Mühle den vom Mühlenwirt selbst gebrannten Korn im Übermaß zu trinken. Es war vorgekommen, daß sie danach betrunken zuhause der Trägheit gefrönt hatten und sogar gewalttätig zu den Frauen und Kindern geworden sind. Bei solchem unsittlichen Verhalten mußte der Pfarrer eingreifen. Wie leicht konnte ein rechtschaffener Bauer durch Alkohol, Maßlosigkeit und Trägheit der Armut verfallen oder arbeitsunfähig werden. Pfarrer Rohm leitete die Beschwerde, die Kurt ausformuliert hatte, ans Amt weiter. Bald wurde zum Sonntagsschutz der Aufenthalt in den Wirtsstuben zu Gottesdienstzeiten verboten und regelmäßige Kontrollen des Wirtshauses durchgeführt. Unter Strafandrohung, sowie öffentliche Bekanntmachung der Geld- bzw. Arreststrafen wurde die Ordnung wieder hergestellt (Sozialdisziplinierung).78

Der Eschborner Jugend stand als Ort der Geselligkeit in diesen Jahren auch nur das Wirtshaus zur Verfügung. Pfarrer Rohm wollte die Jugend, um die er sich schon immer mit Hingabe sorgte, vor den schädlichen Einflüssen schützen. So lud er sonntagabends von 6:00 bis 8:00 Uhr alle jungen Leute zu sich ein. Kurt kannte die meisten aus seiner Lehrtätigkeit und animierte sie zum gemeinsamen Singen und Lesen von Geschichten.79 So konnte man für ein paar Stunden den Kummer und die Sorgen des Alltags vergessen und mit Freunden lustig beisammen sein. Gelegentlich gesellte sich auch der Lehrer Ohlenmacher dazu, der im Jahr 1820 durch eine Verfügung der nassauischen Landesregierung verpflichtet wurde eine Schulchronik zu führen, wie er Kurt erzählte. Mit Feder und dunkler Tinte hielt er auf handgeschöpftem Papier in einem dicken grauen Buch halbjährlich die Veränderungen der Schule, Lehrer, Schüler, Prüfungen, Feierlichkeiten sowie wichtige Ereignisse des Vaterlandes und der Gemeinde fest.80 In diesem Jahr kam auch die zweite Wende in Kurts Leben.

5. Blick in die Zukunft der Familie - Fortschritt, soziales Engagement und Diakonie

Kurt heiratete seine Jugendliebe, Liesl Peters, geboren 1800 in Eschborn. Gemeinsam bezogen sie eine Wohnung auf dem väterlichen Bauernhof. Liesls Vater war froh, einen tüchtigen und im Ort angesehenen Schwiegersohn zu bekommen, der über großes Wissen in der Landwirtschaft verfügte. Kurt bewirtschaftete nun den Hof mit Liesls Vater und ihrem Bruder. Im März 1821 wurde ihr Sohn Paul geboren, der im Alter von zwei Jahren an hohem Fieber starb. Die Familie trauerte lange über den Tod ihres Kindes. Im Mai 1826 kam dann das Töchterchen Maria Elisabeth, der Liebling der Familie, zur Welt.

Das große Ansehen, das Pfarrer Rohm genoß, wurde ihm 1835 beim Festzug anläßlich seines 50-jährigen Jubiläums zuteil. In Eschborn ließen alle ihre Arbeit ruhen. Die gesamte Gemeinde versammelte sich vor dem Bromhof, wo der Herr Pfarrer wohnte, um ihn zur Kirche zu geleiten. Der Sängerchor, angeleitet von Kurt stimmte ein Ehrenlied auf dem Lindenplatz vor der festlich geschmückten Kirche an. Pfarrer Rohm stand gerührt mit Maria Elisabeth an der Ehrenpforte aus Linden- und Eichenästen. Die Feierlichkeiten endeten bei einem Festessen im Gasthaus Nassauer Hof mit über fünfzig Geistlichen und höheren Beamten. 81

Der Zeitraum 1815 bis 1848 war erfüllt vom Freiheits- und Einheitsstreben der Völker. Abends fanden wieder Diskussionsrunden statt, bei denen Maria Elisabeth Paul, den Enkel des Lehrers Meyer kennen und schätzen lernte. Sie verweilte auf dem elterlichen Hof bis zur Hochzeit im Jahr der deutschen Revolution. Zwei Jahre später kam endlich der lang ersehnte Nachwuchs. Die Tochter Eva Maria wurde 1850 geboren. Indessen ging der politische Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland weiter. Wieder marschiert das Herzogtum Nassau gegen Preußen, diesmal an der Seite Österreichs. Die positiven Auswirkungen des nassauischen Schuledikts und der Verbreitung von Elementarschulen in Nassau zeigte sich 1866 in der Erhebung zum Analphabetismus bei der Musterung der Rekruten. Nur einer von Tausend konnte gar nicht lesen und schreiben.82 Nach dem Sieg Preußens wurde Nassau und die freie Reichsstadt Frankfurt annektiert. Eschborn gehörte ab 1866, dem Todesjahr Diesterwegs, zur preußischen Provinz Hessen-Nassau. 83

Von jetzt an war Hessen-Nassau mit der gesellschaftlich-politischen Entwicklung Preußens verbunden und nahm an dessen Fortschritt teil. Das Kommunikations- und Verkehrswegenetz wurden ausgebaut. Der Taunus war ein beliebtes Erholungsziel für die Städter, so daß eine Erweiterung der Bahnstrecke Frankfurt-Rödelheim nach Kronberg im Bau war. Die Eröffnung des Eschborner Bahnhofs im Jahr 1874 brachte den Zuzug vieler Frankfurter Familien aufs Land. Die Großstadt war nun in Kürze zu erreichen, ohne stundenlange Fußmärsche durchs Feld oder einer holprigen Fahrt mit dem Fuhrkarren, wie einst. In Frankfurt standen den Eschbornern neue Arbeitsplätze, kulturelle und soziale Einrichtungen, Geschäfte und Fabriken, Hospitäler und Ärzte zur Verfügung. Das ländliche Eschborn war zu einer Randgemeinde der Großstadt Frankfurt geworden.84 Die vereinfachte Verkehrssituation ermöglichte auch Eva Maria im Jahr 1875 bei den Diakonissen in Frankfurt die Ausbildung zur Krankenpflegerin zu absolvieren.

Im Jahr 1877 wurde August Mencke Pfarrer in Eschborn. Wie zuvor Pfarrer Adam Rohm, war auch er ein engagierter Seelsorger. Vor seinem Amtsantritt in Eschborn hatte er innerhalb weniger Jahre seine gesamte Familie durch Krankheit verloren bis auf seinen Sohn Oskar. Dies mag der Grund für seinen besonderen Einsatz in der Krankenpflege gewesen sein. Sein Leben lang war Pfarrer Mencke der Diakonie verpflichtet gewesen. Seine Schwester Wilhelmine führte ihm den Haushalt und half ihm seinen Sohn zu erziehen, den er für die höhere Schule in Frankfurt vorbereitete. Nach seinem Tod im Jahr 1906 kommt sein Sohn, Pfarrer Oskar Mencke, dem Wunsch seines Vaters nach und gründet mit dem väterlichen Erbe die erste Krankenschwesterstation in Eschborn. Im Jahr 1907 begleitete Eva Maria ihre junge Kollegin Mathilde Meurer nach Eschborn, die ihren Dienst als erste Diakonissen-Schwester in Eschborn antrat. „Schnell fand die neue Schwester Arbeit und bald auch die Anerkennung der Gemeinde für ihre Hingabe und Treue", wie Pfarrer Adolf Paul, der Nachfolger des Dekans August Mencke, schrieb. Er ist der Autor des „Vom Vorgestern zum Heute", das interessante Buch der Eschborner Geschichte, das ich vor meiner Zeitreise gebannt gelesen hatte. Sowohl Dekan Mencke als auch Pfarrer Paul sind Ehrenbürger der heutigen Stadt Eschborn.85

Stammbaum Schorneder Familie

Schorneder Stammbaum

Fazit

    Die Geschichte der Sozialen Arbeit und die Entwicklung pädagogischer Konzepte sind, wie [M.H.] „...die deutsche Schulgeschichte als Ausschnitt und als Ausdruck eines unabgeschlossenen Prozesses gesellschaftlicher Auseinandersetzungen zu begreifen, der auf Möglichkeiten künftiger Weiterentwicklung verweist und damit zu politischer Stellungnahme und Entscheidung herausfordert. "
    (Herrlitz [6], 1986: S.9)

Zurück von meiner beeindruckenden und erkenntnisreichen Zeitreise, die mir in den letzen Wochen oft Kopfschmerzen bereitet hatte, falle ich müde ins Bett. Mein Mann ist froh, daß ich wieder da bin...

Mir war bewußt geworden, daß das Rad der Zeit nie stillsteht und die Zahnräder der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Bildung und der Lebensrealität jedes Einzelnen wie ein Uhrwerk ineinander greift und sich gegenseitig beeinflußt. So kann eine Veränderung der Geschwindigkeit oder Richtung eines Rads alles verändern. Das soziale Engagement einzelner starker Persönlichkeiten, wie hier gesehen am Beispiel des Pfarrer Rohms, des Dekan Menckes sowie der zahlreichen Philosophen und Pädagogen wirken bis in den heutigen Alltag hinein. Bleibende Institutionen der sozialen Arbeit am Ort ihres Wirkens sowie überregional wurden geschaffen und weiter entwickelt. So haben die Konzepte und Theorien der Herren Pestalozzi, Fröbel und Diesterweg noch heute aktuellen Wert. Aktuelle Probleme und Veränderungen im heutigen Schulsystem sind mit Blick auf die Schulgeschichte mir besser verständlich geworden.

Wenn ich heute durch Eschborn laufe und die Gebäude der alten Schule, der Wirtshäuser und Höfe sehe, beginnt meine Zeituhr gleich laut zu ticken und ich blicke in die Vergangenheit. Wenn ich an der heutigen ökumenischen Diakoniestation vorbei gehe, die immer noch ambulante Alten- und Krankenpflege betreibt, Schwerkranken und Sterbenden begleitet, Hausnotruf, Haushaltshilfe und Essen auf Rädern anbietet, denke ich an Dekan Mencke. Im Zentrum Eschborns steht ihm zu Ehren das Dekan-Mencke-Haus, eine betreute Wohnanlage für Senioren des EVIM (Evangelischer Verein für Innere Mission in Nassau).

Eschborn ist heute durch die hohen Gewerbeeinnahmen eine der reichsten Gemeinden Hessens, die auch heute noch zahlreiche Pendler anzieht. Diese Finanzkraft kommt den Familien und Einwohnern zugute. Es gibt die integrative Süd-West und die Hartmut-Grundschule. Die nach dem Ritter benannte Schule steht an dem Ort der damaligen Turmburg der „Herren von Hesscheburnen. Die Gesamtschule Heinrich von Kleist, der ja in Eschborn stationiert war, wird derzeit noch im Gymnasialzweig aufgestockt. Und seit 2006 dürfen die Kinder der Stadt Eschborn die Kindertagesstätten zwischen 7:00 und 12:30 Uhr kostenfrei besuchen, in Weiterführung der freien Volksbildung.

Literatur- und Materialliste

Literatur:

[I] Berg, Christa (2005): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band 2- Hammerstein, Notker und Herrmann, Ulrich (Hrsg.): 18. Jahrhundert - Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800. München: Verlag C.H. Beck

[2] Blum, Peter (1987): Staatliche Armenfürsorge im Herzogtum Nassau 1806-1866. Wiesbaden: Historische Kommission für Nassau

[3] Diesterweg, Adolph (1851): Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer. 4. Auflage. Essen in der Ausgabe Paderborn 1958

[4] Ebeling, Hans / Birkenfeld, Wolfgang (1974): Die Reise in die Vergangenheit. Band 3 - das Werden der modernen Welt. Braunschweig: Westermann Verlag

[5] Erning, Günter (1987): Bilder aus dem Kindergarten - Bilddokumente zur geschichtlichen Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung in Deutschland. Freiburg: Lambertus Verlag

[6] Herrlitz, Hans-Georg / Hopf, Wulf / Titze, Hartmut (1986): Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart, 2.Auflage, Königstein /Ts.: Athenäum Verlag

[7] Hohendorf, Gerd und Rupp, Horst (1990): Diesterweg: Pädagogik - Lehrerbildung -Bildungspolitik. Weinheim: Deutscher Studien Verlag

[8] Niederquell, Theodor (1984): Die Bevölkerung von Eschborn 1650-1775. Zur Sozialgeschichte und Demographie eines Dorfes im östlichen Vortaunus. Wiesbaden: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 34

[9] Paul, Adolf (1969): Vom Vorgestern zum Heute. Eschborn und seine Geschichte. Oldenburg: Gerhard Stalling AG

[10] Reble, Albert (1967): Geschichte der Pädagogik. 9. Auflage. Stuttgart: Ernst Klett Verlag

[11] Reble, Albert (1993): Geschichte der Pädagogik - Dokumentationsband. 3. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag

Schirrmacher, Gerd (2008 ff): Historische Phasen sozialer Wohlfahrt und sozialer Arbeit in Deutschland -Begleitmaterial des BASA-Online Modul O1. Fulda: Text Download vom 31.03.09

  [12] 3. Phase (2009) - Die Armenfürsorge in der Zeit des Absolutismus und des aufgeklärten Absolutismus (1648 bis Ende des 18. Jahrhunderts)

  [13] 4. Phase (2008) - Armenfürsorge und Sozialpädagogik im Zeitalter der Industrialisierung (19. Jahrhundert bis 1914)

[14] Schirrmacher, Gerd: Synopse zum Leben und Wirken Adolph Diesterwegs - Zusätzliches Begleitmaterial des BASA-Online Modul O1.1 Fulda: Pdf-Text Download vom 07.04.2009

[15] Schmid, Heinz Dieter u.a. (Hrsg.) (1980): Fragen an die Geschichte. Band 3 - Europäische Weltgeschichte. 5. Auflage. Frankfurt a.M.: Hirschgraben Verlag

[16] Weimer, Hermann und Jacobi, Juliane (1992): Geschichte der Pädagogik. 19. Auflage. Berlin, New York: De Gruyter Verlag

Ziegler, Hansjörg. Hist. Gesellschaft Eschborn e.V. (Hrsg.) (1988 ff): Eschborn in Bildern von Gestern. Frankfurt a.M.: Frankfurter Societäts Druckerei

  [17] III. Teil - Kinder und Jugendliche des Westerbachdorfes

  [18] V. Teil - Wirtschaftlicher Alltag des Westerbachdorfes

[19] Ziegler, Hansjörg (1999): Dorfschulmeister Jakob Hölzer erzählt aus der Vergangenheit des Dorfes Niederhöchstadt. Hist. Gesellschaft Eschborn e.V. (Hrsg.). Hofheim im Ts.: Blei & Guba


Internetquellen:

[20] Becht, Manfred (2007): Eine Fundgrube für Heimatforscher. Höchster Kreisblatt 06.01.2007 hier: Webseite der Historischen Gesellschaft Eschborn e.V: http://www.historische-eschborn.de/html/fundgrube.html (Zugriff: 21.04.09)

[21] Cromm, Günther (1965): 300 Jahre Schule in Eschborn. Gemeindevorstand der Gemeinde Eschborn / Ts. (Hrsg.). hier: Webseite der Historischen Gesellschaft Eschborn e.V: http://www.historische-eschborn.de/html/300 jahre schule.html (Zugriff: 31.03.09)

[22] Pötz, Astrid (2004): Die Schule - Schule und Gesellschaft - vom Machtmittel der Kirche zur Veranstaltung des Staates. Geschichtsportal des Rhein-Lahn-Kreises. VG Bad Ems. AK Dausenau: http://www.rhein-lahn-info.de/geschichte/heimatbuch-dausenau/schule.htm (Zugriff: 01.05.09)

[23] Raiß, Gerhard (2000): Pfarrer Johann Daniel Rohm und die Freischule in Eschborn 1773 -1790. Zwischen Main und Taunus MTK-Jahrbuch 2000. hier: Webseite der Hist. Gesellschaft Eschborn e.V: http://www.historische-eschborn.de/html/freischule eschborn.html (Zugriff: 31.03.09)

[24] Raiß, Gerhard (2006): Der Dekan August Mencke und Eschborn. Zwischen Main und Taunus MTK-Jahrbuch 2006. hier: Webseite der Historischen Gesellschaft Eschborn e.V: http://historische-eschborn.de/html/dekan mencke.html (Zugriff: 22.04.09)

[25] Staengle, Peter (1997): Heinrich von Kleist - Daten zu Leben und Werk im Online KleistArchiv Sembdner der Stadt Heilbronn: http://www.kleist.org/umat/bio002.htm (Zugriff: 28.04.09) http://www.kleist.org/briefe/002.htm (Zugriff: 06.05.09)

[26] Semper Talis (2005): Königlich Preußisches Erstes Garderegiment zu Fuß - Webseite http://www.erstes-garderegiment.de/Geschichte/Geschichte3a.htm (Zugriff: 28.04.09)

[27] Musterschulverein (2002): Geschichte der Musterschule. Webseite des Musterschulvereins. Frankfurt: http://www.musterschulverein.de/msv frames.html (Zugriff: 09.05.09)

[28] Regierungspräsidium Darmstadt (2009): Der Nassauische Zentralstudienfonds (NZF) http://www.hessen.de/irj/RPDA Internet?cid=79d87675d683a25b 12ebbd3e2c79171 a (Zugr: 14.05.09)


Sonstige Quellen:
[29] Interview mit Stadtarchivar Gerhard Raiß am 22.04.2009 9:00-11:30 Uhr Themen (Zeitalter 18. / 19.Jhd.):
- Schulentwicklung in Eschborn
- Die Rolle des Dorfschullehrers und des Pfarrers in der Gemeinde
- Der Schulunterricht
- Geschichten aus den Gesindebüchern Eschborns
- Die freien adeligen Höfe in Eschborn
- Saisonarbeiter aus dem Fuldaer Land - frisches Blut für Eschborn
- Das Armenhaus in Eschborn - der Stephanshof
- Alten- und Krankenpflege durch eine Diakonisse
- Die Saufgelage der Männer
- Französische Besetzung Eschborns
- Beziehung Eschborns zu den Nachbargemeinden und zur freien Reichsstadt Frankfurt

- Literaturempfehlungen
[30] Einblick in handschriftliche Dokumente des Eschborner Stadtarchivs am 22.04.2009:
- Schulchronik Eschborns - Beginn 1820 durch Lehrer Jakob Ohlenmacher
- Urkunden zu Eschborner Rechnungen des Jahres 1795

*) Hausarbeit des Online Studiengang BASA-O an der HS Fulda
Modul: Ol - Geschichte der Sozialen Arbeit
Dozent: Prof. Dr. Gerd Schirrmacher
Verfasserin: Mirella Herrmann
Bearbeitungszeitraum: 15. März - 17. Mai 2009

Dokumentiert: die Aufgabenstellung, die diesem Aufsatz zugrunde liegt:

Gehen Sie mit mir zusammen auf eine Zeitreise und schreiben Sie eine Geschichte fort, deren Anfang und deren einstweilige Rahmenhandlung ich Ihnen erzähle. Der fachliche Extrakt Ihrer Ausführungen ist wichtig, der sich auf die Geschichte der sozialen Arbeit beziehen muss: Die einzelnen Familiengenerationen und handelnden Personen müssen Begegnungen mit Sozialer Arbeit und den Vorformen davon haben, so wie sie zu ihren Lebenszeiten existieren! Das Erleben der jeweiligen Strukturen/Teilstrukturen des Sozialwesens bzw. der „vormodernen Caritas“ soll vor dem Hintergrund der weiteren zu beachtenden historischen Erscheinungsformen im Mittelpunkt Ihres kleinen Romankapitels stehen. Um das Ganze für Sie interaktiver zu machen, lasse ich Ihnen die Möglichkeit, den fiktiven Stammbaum der Familie Schorneder nach fachlichem Gusto zu verändern. Beachten Sie bitte, dass einzelne Mitglieder der Familie Erinnerungen an jeweils frühere Zeiten haben. Man erinnert sich und vergleicht sein schweres/leichtes Los immer mal wieder mit dem der Vorfahren.

In allen Generationen der fiktiven Familie Schorneder existieren Menschen, die ohne soziale Hilfe unter dem Niveau leben müssten, das sie am Leben erhält bzw. Ihnen später keine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen leben ermöglichen würde. Wieder andere sind ehrenamtliche, vielleicht später auch hauptamtliche Helfer, Fürsorgerinnen und Fürsorger oder Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter.

Sie müssen in Ihrer Forterzählung nicht bis in die Gegenwart kommen. Sie können sich dafür entscheiden, nur eine oder zwei Zeitperioden abzuhandeln oder vielleicht sogar nur einen Zeitabschnitt aus einer größeren Zeitphase, dann diesen aber bitte intensiver. Gut sind immer eine kurze Besinnung auf die jeweilige Vorgeschichte und ein Ausblick auf weitere Entwicklungen nach der ausgewählten Zeitphase.”

Die Idee der Zeitreise ist ein hervorragendes "Transport"-Mittel! In Verbindung mit der Ich-Person des Erzählers kann die scheinbar abstrakte Geschichte (ein kleiner Ausschnitt eines Blickes auf das Dorf Eschborn) sehr lebensnah dargestellt werden. Nicht nur die kleinen sondern auch die großen Zeitläufte werden konkret ins bewertende Auge des wachen Menschen von heute gerückt, sogar die damaligen Menschen werden zu konkreten Individuen: handelnd, leidend, lernend, erfahrend.

Wir können mit diesen Menschen durch die Zeit gehen - und nehmen teil an deren Leben, an der gesellschaftlichen Entwicklung.
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