1.1.   Vom Eintritt ins AR 63 bis zum Ausrücken ins Feld

Nach Ausbruch des Krieges am 1. August 1914 versuchte ich vergeblich in Frankfurt, Wiesbaden und Bad Homburg in einem der Infanterie Regimenter als Kriegsfreiwilliger angenommen zu werden. Als dann der Führer einer Artillerie Munitionskolonne in meinem Elternhause in Eschborn einquartiert war, brachte er mich am 16. August persönlich in die Bockenheimer 63er Kaserne, wo ich nun sofort angenommen wurde. Unterricht am Gerät und Geschütz, Richtübungen, Geschützexerzieren mit schnellem Auf- und Absitzen, Reitunterricht, Pferdepflege und Stalldienst füllten den Tag aus.
(…)

1.2.   8 Tage nach Ankunft an der Front die Feuertaufe!

Am 16. Oktober wurden wir in Mainz mit Tornister und Helm, Karabiner und langem Säbel ausgestattet. Dazu kaufte ich mir, der ich bisher Nichtraucher war, als zum Soldaten gehörig eine kurze Pfeife. Am Abend fuhr unser Zug ab. Es ging im Güterwagen den Rhein entlang, dann über Lüttich, Namur, Valenciennes zur Endstation Nesle. Endlich konnten wir dort, nachdem der Zug immer wieder stundenlang auf Bahnhöfen liegen geblieben war, am 21. Oktober unseren Güterwagen verlassen. Ein langer Weg war mit dem noch ungewohnten Gepäck nach dem Orte Gruny zurückzulegen. Dabei machten wir Kriegsfreiwilligen gewiß nicht den Eindruck, gute Soldaten zu sein, denn wir mußten viel Spott aus dem Munde am Wege stehender, Barte tragender Aktiven hören: „Schaut mal, Kerle wie die, die wollen den Krieg gewinnen!" Wir waren also an der Sommefront gelandet! Ich wurde der unter der Führung von Hauptmann Wippen stehenden 3. Batterie und in ihr dem 3. Geschütz zugeteilt. Am 26. Oktober ging die Batterie, die paar Tage der Ruhe gehabt hatte, vor Damery in Feuerstellung, wo es schwere französische Angriffe abzuwehren galt. Das unweit unserer Stellung liegende Le Quesnoy wurde von den Franzosen gestürmt. Deutlich hörten wir ihr Hurräh Schreien beim Sturm. Der Ort ging verloren und die erste Batterie büßte in ihm 2 Geschütze ein. An den folgenden Tagen folgten immer neue Angriffe des Feindes; wir mußten viel schießen und lagen unter starkem Beschuß. Da bekam am 3. November unser 3. Geschütz einen Schrapnell Volltreffer. 2 Kameraden wurden durch Kugeln getroffen, Kanonier Brill, der sofort tot war, sowie der Kriegsfreiwillige Berberich, der im Lazarett starb. Dies über dem Geschütz krepierende Schrapnell, dessen Kugeln an mir, dem Munitionskanonier des  Geschützes,   vorbei   sausten,  gab  mir  die Feuertaufe.

1.3.   Der Wechsel von Einsatz und Ruhe

Das Leben in den Erdlöchern bei den Geschützen im freien Feld läßt den Wechsel von Einsatz und Ruhe erstrebenswert machen. Denn auch bei mir sah es nach den ersten 14 Tagen des „Feldlebens" so aus: Zum ersten Mal ziehe ich, als es an der Front ruhig war und die Sonne wohltuende Wärme schenkte, seit langen Tagen die Stiefel aus. Doch - o Schreck! - was ich da finde! Ein halbes Pfund Schmutz lag unter den Strümpfen und in ihm faulten und keimten Haferkörner, die vom nicht geernteten Haferfeld, in dem wir unsere Stellung hatten, herrührten. Die Strümpfe mußten notwendig gewechselt werden, doch die waren im Tornister im weiter zurückliegenden Dorf bei den „Protzen" (Munitionswagen, Bagagewagen, Fahrern, Pferden). Es ist nicht zu beschreiben, wie schmutzig wir alle waren. Die Hände waren vom ständigen Umgang mit Geschütz und Granaten schwarz. Es gab keine Gelegenheit sie zu waschen. Diese Not führte dazu, daß bei ruhiger werdender Front die Geschütze mit Kommen der Nacht am Rand des hinter uns liegenden Dorfes Goyencourt in Stellung gingen, um wieder in der Morgenfrühe in die alte Stellung einzurücken. Im Dorf aber wurden in halb zerschossenen Häusern Räume zurecht gemacht, in denen man sich aufhalten, schlafen, sich waschen und kochen konnte.

Noch notwendiger aber erwiesen sich Tage ganzer Ruhe! Doch sie waren für uns Kriegsfreiwillige nicht nur schön. Das „freiwillig" wurde ausgenutzt! So wurde uns an solchen Tagen alles aufgepackt. Nicht nur die Geschütze, das Gerät, die Ausrüstung waren zu reinigen und instand zu setzen. Wir wurden gerufen Latrinen anzulegen, mußten im Schloßpark von Goyencourt ausschwärmen und all die sich dort findenden „Nachtwächter" und sich in Verwesung befindliche Tierleichen begraben, mußten die Ortsstraße von Schmutz und Schlamm reinigen. Solch ständiges Eingespanntwerden ließ dann wieder froh sein, wenn solche „Ruhetage" zu Ende waren und es von neuem in Stellung ging. Doch erfüllte es mich in diesen Tagen mit Stolz und Freude, als Hauptmann Wippen mich zu sich rief.