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4.1. AVO beim I. Garderegiment (5.1.1917) Nach einem schönen Silvestergottesdienst in der gut erhaltenen Kirche der Protzenstellung, in der ein großer Tannenbaum brannte, und dann einem gemütlichen Abend mit den dortigen Batterieangehörigen, an dem ein von den Offizieren gestifteter Punsch getrunken wurde, mußte ich in der Morgenfrühe des l. Januar als AVO zur Infanterie. 6 Tage mußte ich zum Regimentsstab, der seinen Gefechtsstand in den Trümmern einer früheren Ferme an der Maisonette Höhe hatte, anschließend mußte ich 6 Tage in den vordersten Graben, um darnach 6 Tage Ruhe zu haben. Der Regimentsstab des I. Garderegiments bestand aus einer erlauchten Offiziersgesellschaft, in deren Mitte, wie man wußte, die AVO der leichten und schweren Artillerie ein geduldetes Übel waren. Denn die Offiziere waren alle hochadelig, wußten aber aus Erfahrung, daß es ohne die Artilleristen nicht geht. Regimentskommandeur war Graf Eulenburg, Regimentsadjudant war Graf Schweinitz, Ordonanzoffizier war Graf von der Schulenburg. Ein weiterer Offizier: Oberleutnant v. Müller. Die unterirdische Wohnung des Stabes ist gut ausgebaut. Von einem tiefen Stollen gehen links und rechts die Gänge zu den einzelnen „Zimmern" ab. Es ist wie auf dem Flur eines Hotels, nur alles klein und primitiv. Die AVO der leichten und schweren Artillerie, genannt „Plisch" und „Plum" bewohnen dieselbe Bude, die aber so eng ist, daß sobald beide darin sind, einer sich auf eins der an einer Wand übereinander gebauten Betten legen muß. Das ist ja schnell gemacht, da solches Bett auch schmutzige Stiefel vertragen kann. Ich liege oben. Aber über mir ist sozusagen der Tanzboden der Ratten, da geht es hin und her, quietscht und quatscht es in einem fort, oft tropft es auch verdächtig durch die Bretter. Morgens um 10 Uhr gibt es Kaffee, - man kann also lange schlafen, - um 2 Uhr wird zu Mittag -, um 8 Uhr zu Abend gegessen. Nach jedem Essen steigen Schachpartien mit dem Kommandeur, der „Eule". … 4.3. Wechselnde Erfahrungen mit anderen Truppen (25.3.1917) Das erste Vierteljahr 1917 war für uns an der Front zwar ruhig, doch durch das viele Wechseln der Stellungen und Verschobenwerden an der Sommefront außerordentlich unruhig. Der ständige Wechsel hatte darin seinen Grund, daß ein neuer Grossangriff im Sommegebiet gemeldet wurde. Die Führung kam deshalb zu immer neuen Umgruppierungen. Das bedeutete für uns: Übernahme fremder Stellungen, Zusammenarbeit mit bisher unbekannten Infanterieeinheiten, Quartiermachen in überfüllten Orten des Hinterlandes. Grausig war die Ablösung einer sächsischen Batterie nördlich von Chaulnes, die ihre Bunker in der Stellung, wie auch ihre Protzenquartiere wie Schweineställe verließ. In dieser Zeit konnte man auch mal einen Blick in das Etappenleben tun. Ein Ortskommandant, Graf v. Gersdorf, lud mich, der ich Vorkommando war, sehr entgegenkommend 2 mal zum Mittagstisch und einmal zum Abendessen ein. Gegessen wurde von vornehmstem Geschirr des schloßartigen Gebäudes, in dem er wohnte. Aber auch ein mir bekannter Haupt-Wachtmeister der Fußartillerie, der mich zum Kaffee einlud, setzte frisch gebackene Brötchen vor. Mir schien doch manches in der Etappe hängen zu bleiben, das nicht nach vorne zu der kämpfenden Truppe kam! Bei uns war es selbstverständlich, daß die Offiziere genau dasselbe empfingen wie die Mannschaften. Um diese Zeit zeigte es sich mehr und mehr, daß die Verpflegung immer ärmer wurde. Butter wurde ganz selten, Kartoffeln waren rar. Statt ihrer gab es Rüben, und weil es so viele Rüben gab, hörte man oft das Scherzwort: „Wir sollten Stallhasen werden!" 4.5. Wir hinterlassen eine Wüste! Unter Zurücklassung schwacher Kräfte, die erst in der Morgenfrühe eingeholt wurden, nahm unsere Führung die vorne eingesetzten Teile langsam zurück, um eine circa 30 km weiter hinten liegende Stellung, die Siegfriedstellung, einzunehmen. Bei Beginn ihrer Großoffensive an der Front sollten Franzosen und Engländer ins Nichts stoßen. Sie sollten in dem von uns verlassenen Gebiet auch nirgends eine Bleibe, sondern nur Wüste und Öde vorfinden. Schaudernd haben wir beim Zurückgehen erlebt, wie die Pioniere durch Sprengen ganze Arbeit machten. Da liege ich in unserem Durchgangsquartier in einem wunderbaren Bett, habe, weil die Wohnung so kalt ist, in der Nacht eine weiße Zipfelmütze aus dem dortigen Kleiderschrank auf dem Kopf. In der Morgenfrühe marschieren wir ab und sehen rückwärts-blickend, wie diese letzten Häuser hinter uns durch Sprengung in die Luft fliegen. Wir zogen auf unserem Weg durch Dörfer, in denen die Häuser links und rechts der Strasse brannten. Pferd und Reiter wurde es bei der Hitze ungemütlich zu Mut, und doch ging es hindurch, wenn auch krachend die Häuser einstürzten, die Funken flogen und die Pferde sich bäumten. Diese Absatzbewegung aus einem Gebiet, in dem kein Haus mehr stehen blieb, kein Brunnen mehr Wasser gab, durch Sprengung alle Strassen unpassierbar gemacht worden waren, gelang ohne Störung durch den Feind, der die Front vor ihm plötzlich verlassen vorfand. Aber all das, was wir da sahen, all diese Zerstörung, widerte uns an! Doch wir wußten auch, daß die deutsche Sommefront durch diesen Rückzug um 70 km verkürzt wurde. 4.6. Fragen an die Zukunft (9.3.1917) Was wird die kommende Zeit bringen? Wir stehen wieder an derselben Front wie vor einem Jahre, am Winterberg (Chemin des Dames) mit den bekannten Frontorten Bouconville und St. Croix. Wie ist mir diese Gegend noch wohlbekannt! Ich bin wieder AVO, muß viel im Graben vorne sein und Männlein für alles spielen. Was sind wir doch an der Westfront für arme Schweine, sind dauernd tief drinnen im Dreck und warten darauf, daß der Feind von neuem zu Trommeln beginnt. Das ist kein schönes Gefühl und bringt keine Ehren ein. Ob es bald zu einer großen furchtbaren Schlacht kommt, welche die Entscheidung, Sieg und Frieden bringt? Die Revolution in Rußland verspricht ja, mit diesem Feind bald fertig zu sein. Daß es dem Ende zugehen kann, läßt das Herz frohlocken! Denn lange kann es so nicht weitergehen! Es ist ein merkwürdiger Krieg bei uns im Westen. Zwei Riesen, stark und ausgeruht, von Kopf bis fuss gepanzert, stehen sich an der Front gegenüber! Der eine glaubt, am anderen eine verwundbare Stelle gefunden zu haben, er zielt darnach, doch dem ändern entging das nicht. Was verwundbar war, bekommt nun einen doppelten Panzer, und stark und fest wird dem Gegner ins Auge gesehen. Gewiß wird es nicht mehr lange dauern, daß sie aufeinander stürzen, - man möchte wünschen bald! - denn dann geht es dem Ende zu, das uns hoffentlich die siegreiche Heimkehr bringt! 4.15. Das Weh der Zivilbevölkerung! Alle der Front nahen Orte wurden in diesen Tagen von der Zivilbevölkerung, die fast alle ihre Habe zurücklassen mußte, geräumt. Von der Truppe konnte daher aus diesen Orten viel für sie Brauchbares geholt werden. Auf den Feldern stand wunderbarer Weizen, den die Fahrer mit Freuden noch unreif für ihre Pferde abmähten. In Gärten konnten reife Johannisbeeren gepflückt und wunderbare Rosen geschnitten werden. Aus Werwick holten wir uns in unsere Unterkunft. „die Ongeret Ferme". Teppiche, Sessel, Spiegel, prachtvolle Gläser, Teller, Tassen und anderes. Einen ganz traurigen Anblick bot das verlassene Nonnenkloster. In ihm lagen in den verlassenen Klausen jetzt wirr durcheinander auf dem Boden liegende Teile der Wasche der Nonnen, Gebetbücher und Heiligenbilder. Über einem jeden Nonnenbett war noch ein eindrucksvoller Totenkopf, in Silberfarbe auf schwarzer Pappe dargestellt. Ich nahm solche Abbildung mit, heftete sie an die Eingangstur einer von uns bewohnten Baracke, nahm sie später mit nach Hause, wo sie noch in meinem Arbeitszimmer hängt. Auch dient mir heute noch als Lesezeichen das einstige Lesezeichen der großen Altarbibel von Werwick. 4.20. Defensivfieber Es konnte gar nicht anders sein, als daß in solchen Zeiten die Stimmung der Eingesetzten, sei's durch Übermüdung oder die stete Unruh und Gefahr, sowie die Nässe, auf einem Tiefstand ankam. So war es in diesem Juli. Man konnte von einer Erkrankung sprechen, die wir Defensivfieber nannten. Nichts hat das mit Angst zu tun! Aber die Tatsache legte sich doch auf die Gemüter, daß man hier im Westen nur noch Abwehr kannte, um bald an diesem, bald an jenem Frontabschnitt überlegene Angriffe zu erwarten, ein. Warten, das auf die Nerven ging. Voll Neid blickten wir nach dem Osten, wo die deutschen Kameraden Siege feiern konnten, während wir hier im Westen schon lange nichts anderes mehr kannten, als wie bösartige Katzen einen Buckel machen, knurren, und uns die, die über uns herfallen wollten, durch Kratzen und Beißen vom Leibe halten! Es liegt im Menschen, vor allem im Soldaten, daß er gern der erste und beste sein möchte! Doch wie niederdrückend war hier in Flandern auch die Luftüberlegenheit des Feindes! Man litt darunter, daß der Engländer es frohlockend immer wieder erleben konnte, daß unsere Flieger vor ihm, wenn er in Schwärmen kam, sofort entflohen. Natürlich fanden über uns auch Luftkämpfe statt. Wurde einer abgeschossen, wußte man bis auf einzelne Ausnahmen nicht, war es Freund, war es Feind! Dieses Defensivfieber wirkte sich in großer Nervosität aus von den hohen Stäben bis hinab zur Batterieführung. Als das Regiment einen Offizier vertretungsweise mit der Führung der 3. Batterie beauftragte, sagte uns schon der Regimentskommandeur: „wir anderen Offiziere müßten ihm gegenüber zusammenhalten!" Das taten wir auch, denn er war ein arg verwöhnter Mann mit einem bodenlosen Egoismus. Gaumen, Magen und Ehrsucht waren ihm allein des Lebens Sterne! Wenn wir anderen allem waren, war uns der Himmel klar und hell. Wenn er da war, herrschte schwüle Gewitterstimmung! Keiner hat es bedauert, als er bald wieder versetzt wurde, und so tranken wir nach seinem Abschiednehmen eine Flasche Wein zur Freude. Aber in noch viel unschönerer Weise zeigte sich das Defensivfieber m der Flandernarmee! Es schien dem äußeren Anschein nach den Menschen zu gehen wie den Pferden, die auch all das Grünfutter, das sie bekamen, nicht vertrugen. Als der Durchfall einsetzte, der mehr und mehr alle ergriff, schob man es teils auf das Brot, das oft etwas sauer geliefert wurde, führte es auf die frischen Kartoffeln zurück, die aber schon wochenlang gegessen wurden, oder suchte andere Gründe. Der gemachten Erfahrung nach wird dieser Durchfall aber nichts anderes gewesen sein als reines Defensivfieber, das sich schon an der Aisnefront fand, als es noch keine frischen Kartoffeln gab und gutes Brot, oft sogar Brötchen geliefert wurden. Der Durchfall fand sich vor allem bei denen, welche die Hosen immer gestrichen voll hatten! 4.21. AEG - Allgemeines Etappengewäsch Bekanntlich gehören zu einem kämpfenden Heer die Etappeneinheiten, und die sind zahlenmassig viel stärker als die eingesetzten Truppen. Ihr Verhältnis zueinander mag 7 zu 3 sein. Trommelfeuer, das Leben in Gräben und engen Erdbunkern, wie das Versinken in Morast und Schmutz bleibt ihnen erspart. Sie haben meist wohnliche Quartiere im Hinterland, in dem mancher Ortskommandant eine Stellung hat wie ein kleiner Fürst. Im Urlaub zählen sie natürlich zum Heer der so tapfer kämpfenden Soldaten. Viel von dem, was sie zu wissen meinen, haben sie allerdings nur aus dunklen Quellen, oder gibt tatsächlich Geschehenes entstellt wieder. Als Beispiel sei das Erzählen vom guten Leben der Offiziere genannt! Wirkliche Frontsoldaten wissen davon nichts. Sie wissen, daß vom Offizier meist mehr gefordert wurde als vom Mann, und daß sie, was das Essen anlangte, nichts anderes haben konnten, als denselben Fraß, der im Dunkeln der Nacht, in der Frühe des Morgens oder erst spät am Abend in die Stellung gebracht werden konnte Viele Nachrichten, die von hinten an die Front kamen, ordnete man gleich als „Allgemeines Etappengewäsch" AEG ein. So wurde in diesem Juli von einem Hauptmann erzählt, der die Batterie als Chef übernehmen solle. Er habe aber noch nicht das EK I, und das bedeutete, daß er mit rücksichtslosem Einsatz der Batterie schnell Lorbeeren ernten wolle. Dann wußte man zu berichten, daß das Regiment auf die große Fahrt nach Rußland kommen werde, ein Wunsch, den viele hatten, ein Gerücht aber, an dem kein Körnlein Wahrheit war! Solches und anderes Etappengewäsch brachte immer wieder Enttäuschungen, wie vergänglich man auch war, in dem Einsatz vorne, der nur primitivstes Leben, rücksichtslosen Mut und Gefahr kannte, von der anderen Welt etwas zu hören, in der man in weichem Bett liegen, auf gepolstertem Stuhl sitzen und in sauberer Kleidung an einem gedeckten Tisch eine schöne Mahlzeit einnehmen konnte. 4.22. Wieder auf Schießplatz Seebourg (August 1917) Der Zustand der in der Artillerieschlacht in Flandern im Blick auf Mann, Pferd und Material arg mitgenommenen Batterien machte ihre Ablösung notwendig. Eine ganze Anzahl Geschütze des Regiments waren durch gegnerischen Artillerie-Beschuß ausgefallen. Alle Geschütze bedurften durch ihre Überbeanspruchung der Überholung. So erfolgte die Ablösung des Regiments und seine Verlegung am 3.8. auf den Schießplatz Seebourg, der ja durch den früheren Aufenthalt dort bekannt war. Im Dorfe Amfroipret fand die Batterie wieder mit Freuden Unterkunft, und die Quartiere von früher wurden gerne von neuem bezogen. Mir ward jetzt die große Freude, in einen kurzen Urlaub nach Hause fahren zu dürfen. Während dieser Ruhezeit in Seebourg wurde das gesamte Regiment mit neuen Geschützen ausgerüstet. Die Kanonenabteilungen mit der langrohrigen FK 16, die 10.400 Meter weit schoß, die Haubitz-Abteilung mit der 1. FH 16. Da mit dem neuen Geschütz für die verschiedenen Entfernungen mit Kartuschen verschiedener Ladungen geschossen wurde, bedurfte es häufigen Unterrichts und Geschützexerzierens, wie verschiedener Scharfschießen auf dem Schießplatz, wo uns die Treffsicherheit der neuen Geschütze in Staunen setzte. 4.31. Resignation (September 1917) Wie ich es erlebte, haben es viele junge Menschen und solche besten Alters erlebt, daß sich die Länge des Krieges, der sie aus Studium, Beruf und Vorwärtskommen gerissen hatte, bedrückend auf sie legte. Stille Hoffnungen auf einen baldigen Frieden waren immer wieder enttäuscht worden. Die Hartnäckigkeit des Widerstandes und der gegnerischen Angriffe sagten uns, daß an ein Ende des Krieges noch nicht zu denken war. Die Divisionen aus dem Osten, die nach endgültigem Sieg über Rußland nach dem Westen kommen und helfen sollten, eine Wende zu bringen, blieben bisher aus! Nur das stand fest, daß die Heimat bisher von Kriegsnot gewahrt geblieben war. Noch aber war die Flandernschlacht im Gange, und schon wieder munkelte das AEG von einer bald kommenden neuen französischen Offensive! Dazu kamen in den Briefen aus der Heimat viel Nachrichten über das Fehlen am Nötigsten, sowie das große Leid, das der Tod an der Front in die Häuser brachte. Ich hörte von einstigen Mitstudenten meines Alters, die nicht Kriegsteilnehmer waren, bereits ihr zweites Examen abgelegt hatten und ins Amt traten. Da konnte man nicht umhin, sich zu fragen: Was wird aus uns im Soldatenkleid werden, die wir nun schon Jahre im fremden Land im Kampfe stehen, eine ganz andere Welt leben als die der Wissenschaft, aus der wir kamen? 4.32. Ein unbeschreibliches Trichterfeld (20. bis 24.9.1917) Ich hatte Ruhetag im Protzenquartier, freute mich der Stille, des sauberen Zimmers und der durch meinen Burschen wieder sauber gemachten Kleidung. Freudig las ich in einem Buch, zu Füssen lag mir mein lieber Moll. Da wird mir der Befehl überbracht, mich sofort fertig zu machen, um in der Stellung 2 Geschütze - einen Zug - abzuholen, um mit ihnen nach dem Norden zu ziehen, wo es nicht gut stände. Das hatte in unserem bisher ruhigen Abschnitt Alarm ausgelöst. Auf höheren Befehl wurde aus in Stellung befindlichen Batterien je ein Zug herausgelöst, - diese Züge aber zu einer Alarmabteilung zusammengefaßt, welche sofort in die Artillerielinie im Norden zwischen Becelaere und Geluwelth eingeschoben werden sollte. Das Trommelfeuer im Norden hatten wir ja längst gehört! Doch solange es nicht an die eigene Tür klopft, regt es einen alten Soldaten nicht auf. Die Geschütze werden aus der Stellung geholt, die Abteilung sammelt sich, und als so zusammengestoppelte Abteilung marschieren wir von unheimlichem Geschützdonner und nahen Einschlägen begleitet der Front entlang nordwärts. Es ging zum Teil auf Strassen, die durch hohe Kulissen gegen die feindliche Einsicht geschützt waren. Jeder fragte: was wird es geben? 4.34. Tankschlacht von Cambrai (22.11. bis 8.12.1917) Die Hoffnung, nach Abschluß der Schießplatzzeit an eine ruhige Front zu kommen, wurde durch den im Räume von Cambrai losgebrochenen Grossangriff enttäuscht. Grosse Wälder hatten die Bereitstellung von verschiedenen Angriffsdivisionen, von hunderten von Tanks und starken Kavalleriekräften der deutschen Aufklärung vollkommen verborgen gehalten. Dann hatte in der Frühe des 21. Novembers der Angriff auf die deutschen Linien mit einem kurzen gewaltigen Feuerschlag durch Artillerie und Minenwerfer begonnen. Als sich der Rauch verzogen hatte, sah man mächtige feindliche Panzer auf die deutschen Stellungen zurollen, alle Drahthindernisse nieder walzen und selbst in den Gräben kein Hindernis für ihr Vorwärtskommen finden. Die Schockwirkung auf die hier eingesetzte Landwehrdivision ist nicht verwunderlich. Es gelang dem Feind, die deutsche Front in einer Tiefe von 8 km aufzubrechen und dadurch Cambrai aufs stärkste zu gefährden. Durch diesen Einbruch wurde unser Artillerieregiment alarmiert und in diesen Kampf geworfen, der von Mann und Pferd ungeheuer viel forderte. Einige Bilder aus der Tankschlacht: 1.Nervosität und Ungewißheit über Kommendes ließen die Abteilung am 25. den Befehl geben, aus unserer am 24. eingenommenen Stellung 2 Geschütze als Tankzug unter meiner Führung herauszunehmen und mittags um 2 Uhr mit ihnen in Fontaine Notre Dame in Stellung zu gehen, da Tanks gemeldet seien. Der ich das Gelände bereits erkundet hatte, wusste ich, daß Auffahren am hellen Tage ganz nah der vorderen Linie die größten Verluste gebracht hätte. So machte ich mich zunächst mit einem Melder allein auf, um festzustellen, ob wirklich Panzer im Anrollen seien. Es war falscher Alarm gewesen! Erst im Dunkel des Abends brachten wir nun die beiden Geschütze in Fontaine an geeigneten Plätzen in Stellung und kauerten uns in Ausbuchtungen der Straßenböschung zum Schutz gegen Sturm und Regen. Eine ganze Anzahl zerstörter Tanks sahen wir im Ort und die Leichen um sie herum liegen. Staunen konnte ich nur, daß so ein mächtig großes Stück Eisen sich bewegen und Mauern und Bäume vor sich umlegen kann. Der nächste Tag, an dem ich von Leutnant Barthel abgelöst wurde, war ruhig. In der Morgenfrühe des 27. aber griff der Engländer an, bekam das Dorf mit den beiden Geschützen in seine Hand, wobei 3 Mann der 8. verloren gingen. Durch Gegenstoß der Infanterie, an dem sich auch der Führer des Tankzugs Leutnant Barthel beteiligte, kamen Dorf und Geschütze wieder in unsere Hand. Der tüchtige Unteroffizier Bäuscher wurde tot in Häusertrümmern aufgefunden. 2. Die Offiziere der Batterie waren ständig in Bewegung. Durch Angriff und Gegenangriffe veränderte sich stets die Front. Bald war der Boulonwald in eigenem, bald in feindlichem Besitz. Die vordere Linie mußte festgestellt, eine Beobachtungsstelle gesucht werden. Neues Sperrfeuer war einzuschießen. Unvergessen bleibt, wie ich am 1.12. mit einigen Mann, die eine 6 km lange Telefonleitung legen mußten, teils auf dem Bauch kriechend zur vordersten Linie am Bourlonwald kam. Ich mußte die Batterien der Abteilung auf die englischen Linien einschießen, da in einer Stunde ein Angriff der Infanterie stattfinden sollte. Nichts ahnten die Infanteristen vom kommenden Angriff, nur daß einige zum Nachdenken gekommen waren, weil sie beim Empfang des Morgenkaffees einen guten Schuß Cognac in ihrem Kochgeschirrdeckel empfangen hatten. Beim Rückweg überfiel uns schlimmstes Artilleriefeuer, daß wir, in Grantlöchern hockend, dachten, unsere letzte Stunde habe jetzt geschlagen! An eine gegenseitige Ablösung war in diesen Tagen nicht zu denken. Als ich zum ersten Mal zu den Protzen konnte, hatte ich 14 Tage keine Hose ausziehen können. 3. Der Ort Bourlon wie auch der freigekämpfte Bourlonwald boten ein erschütterndes Bild. Überall lagen im Gelände, grauenhaft anzusehen, von zum Teil verstümmelten oder verkohlten Leichen umgeben die zusammengeschossenen englischen Stahlungetüme mit ihren stolzen Namen Hypatia, Hyaena, High Flyer usw. Die Panzergranaten der deutschen Artillerie hatten ihre Wände durchschlagen, sie damit in Brand geschossen und die 10-köpfige Besatzung elend umkommen lassen. Ein großes Leichenfeld war der Bourlonwald selbst. Der Engländer, der ihn nicht aufgeben wollte, hatte erleben müssen, daß nicht weniger als 16.000 Gasgranaten in ihn hineingeschossen wurden, durch die viele umkamen. Daß aber auch ein harter Kampf Mann gegen Mann stattgefunden hatte, zeigten die vielen Toten mit zertrümmerten Schädeln und die durch Bajonettstiche aufgerissenen Leiber. Aus diesem Kampfgelände bleiben mir auch die vielen Leichen gefallener Schotten unvergessen, an denen ich bei Erkundungen vorbei kam. In kurzen, beinahe Mini Wollröckchen halb nackt, lagen sie in den kalten nassen Feldern. Es war Freude und Stolz unseres Regiments, daß auch durch seinen Einsatz der Grossangriff der Engländer abgewehrt und das anfänglich von ihm gewonnene Gelände fast restlos zurückgewonnen wurde. An den Einsatz bei Cambrai erinnert mich ein in meinem Zimmer hängendes englisches Bajonett aus dem Bourlonwald, - aus bestem Stahl, - scharf und rostfrei, das mir mit seiner Rückseite als Lineal dient. |