"Revolutionäre Umtriebe" in Hofheim

Für das politische Selbstbewußtsein der Bürger Hofheims blieb die Revolte nicht folgenlos.

Die von der Herzoglichen Landesregierung gefällten politischen Urteile wurden in der Regel im Amtsblatt des Herzogtums Nassau, dem „Herzoglich Nassauischen allgemeinen Intelligenzblatt“, veröffentlicht. Bei der Durchsicht dieser Urteile fällt auf, daß im Raum Hofheim, Höchst, Hochheim in der Zeit zwischen 1831 und 1843 ein Schwerpunkt politischer Aktivitäten in Nassau festzustellen ist, die durch „correctionelle Straferkenntnisse“, d. h. durch Haftstrafen geahndet wurden. Zwei der Hofheimer Bürger, die an der Schulhausrevolte mittelbar oder unmittelbar beteiligt waren, ließen sich als Abgeordnete in die „Landständische Deputiertenversammlung“ des Herzogtums wählen.

In dem ständischen Parlament der 22 Landesdeputierten Nassaus war Philipp Joseph Weiler Anfang 1832 der erste gewählte Abgeordnete aus Hofheim. Er war Kaufmann, Ratsherr und u. a. Besitzer der "Kellerei", d. h. des Kellereigebäudes und der benachbarten Liegenschaften. In die Vorgänge um die Schulhausrevolte war er involviert, da er sich für den Kauf des Kellereigebäudes durch die Stadt eingesetzt hatte.

Mit 14 anderen Deputierten, u. a. Georg Hofmann aus Hochheim, verweigerte er Herzog Wilhelm von Nassau wegen des ungelösten Domänenstreites im März 1831 die jährliche "Rente" von 140.000 Gulden. Der Herzog erhöhte daraufhin die Zahl der Abgeordneten der Herrenbank, um die Mehrheit im Parlament zu erringen. Den oppositionellen Landesdeputierten wurde ihr Mandat aberkannt. Ihr schriftlich verteilter Protest gegen diesen Verfassungsverstoß führte dazu, daß die 15 Oppositionellen wegen "Aufreizung zur Steuerverweigerung, zum Ungehorsam und zur Widersetzlichkeit" angeklagt und am 18. Februar 1833 verurteilt wurden, Georg Hofmann als "Rädelsführer" zu 6 Monaten Correctionshaus, Philipp Joseph Weiler und 10 andere zur Zahlung der Untersuchungskosten.

 

Der zweite Hofheimer Abgeordnete in der Deputiertenkammer des Herzogtums wurde von 1833 bis 1835 Johann Seelig (* 5. März 1787 in Hattersheim, † 16. Mai 1861 in Hofheim), gewählt aus der Gruppe der Grundbesitzer im Wahlkreis Wiesbaden. Er war von 1817-1831 Schultheiß von Hofheim und wurde wegen der Schulhausrevolte 1831 vom Dienst suspendiert und zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt.

Johann Seelig kam 1835 erneut in Konflikt mit dem reaktionären Regime des Herzogtums Nassau: Wegen Teilnahme an einer „politischen Verbindung zur Verbreitung aufrührerischer Schriften“ wurde er zusammen mit fünf weiteren Hofheimern, fünf Bürgern aus Höchst und dem Papierfabrikanten Hugo Franz Wehrfritz aus Kriftel angeklagt. Ob sie alle als gemeinsam agierende Gruppe angeklagt wurden und welche Schriften sie tatsächlich verbreitet haben, ist unklar, da es zu diesem Strafverfahren der nassauischen Landesregierung keine Akten mehr gibt.

Bemerkenswert ist, daß Johann Seelig zur Zeit der Anklage und seiner Verurteilung Deputierter der Landesdeputierten-Versammlung Nassaus war; die gewählten Abgeordneten genossen also damals keinen Immunitätsschutz. In der Deputiertenversammlung am 7. Dezember 1835 wurde lediglich mitgeteilt, daß er zu dieser Versammlung nicht einberufen sei, weil er zu einer neunmonatigen Correctionshausstrafe verurteilt worden sei. Als Grund seiner Verurteilung wurde mitgeteilt, daß er „mit mehreren Einwohnern von Hofheim und Höchst an einer politischen Verbindung Theil genommen habe, deren Zweck die Verbreitung aufrührerischer Schriften gewesen sei“. Am 9. Dezember 1835 wurde der Deputiertenversammlung mitgeteilt, daß Johann Seelig wegen der „ihn betroffenen Unfälle“ und wegen seiner zerrütteten Gesundheit sein Abgeordnetenmandat niedergelegt habe.

Die weiteren Mitglieder der „politischen Verbindung“, die 1835 zu Correctionshaus verurteilt wurden, waren mit jeweils neun Monaten Haftstrafe aus Hofheim Johann Manzino, Philipp Cremens und Joseph Seelig, vermutlich ein Sohn von Johann Seelig. Zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt wurde Martin Weiler, der jüngere Bruder von Philipp Joseph Weiler. Es ist unklar, ob für ihn strafverschärfend wirkte, daß er schon im Zusammenhang mit der Schulhausrevolte mit 4 Wochen Gefängnis bestraft worden war. Mit neun Monaten Haft im Correctionshaus wurde auch Hugo Franz Wehrfritz aus Kriftel bestraft. Er war der Sohn des Papierfabrikanten Hugo Franz Wehrfritz, Schwager von Philipp Cremens und wurde 1848 Abgeordneter des ersten Nassauer Parlamentes nach der Revolution 1848/49. Von den Angeklagten aus Höchst wurden Nicolaus Weingärtner, Adam Thoma, Viktor Brenner, Lorenz Bied und Jacob Bredel zu ein- bis zweijähriger Haft im Correctionshaus verurteilt.

Von den Hofheimer Verurteilten waren – wie früher dargestellt – außer Philipp Joseph und Martin Weiler auch Johann Seelig, sein Sohn Joseph Seelig und Johann Manzino in der Schulhausrevolte involviert. Die Angehörigen von Philipp Joseph Weiler, Philipp Cremens, Johann Manzino, Martin Weiler, Franz Wehrfritz und Joseph Seelig versuchten im Mai 1835 durch eine Bittschrift an die Landesdeputiertenversammlung die Landesregierung zu bewegen, die Untersuchung gegen die Angeklagten einzustellen. Die Deputiertenversammlung unterstützte zwar das Gnadengesuch, die im „Intelligenzblatt“ im November 1835 verkündete Verurteilung zeigt aber, daß ihm nicht statt gegeben wurde. Johann Manzino, von Beruf Glaser und Schreiner, hat seine zweite Haftzeit im Correctionshaus Kloster Eberbach produktiv genutzt: Das von ihm dort im Mai 1836 angefertigte und signierte Nähkästchen ist im Familienbesitz in Hofheim erhalten geblieben.

Nach dem Wiener Kongreß 1814/15 führte die Restauration der alten Herrschaftsverhältnisse in Deutschland dazu, daß aufkommende nationale und demokratische Bewegungen durch eine reaktionäre Politik, Pressezensur und politische Überwachung unterdrückt wurden. Seit den Karlsbader Beschlüssen des Deutschen Bundes (1817) gab es in den Ländern und beim Bund eine systematische Überwachung aller "revolutionärer Umtriebe", die die Ziele der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), soziale Gerechtigkeit oder die nationale Einheit erreichen wollten.

Die "Zentralbehörde für politische Untersuchungen" des Deutschen Bundes führte ein zentrales Register aller in den Ländern verhafteten und verhörten Personen (Schwarzes Buch). In diesem Schwarzen Buch wurden auch 6 Hofheimer als "Staatsfeinde" registriert: Philipp Cremens, Johann Manzino, Johann Seelig, Joseph Seelig , Martin Weiler und Philipp Joseph Weiler, vermutlich wegen der oben angeführten Delikte.

 

Wegen der Verfolgung in Deutschland verlagerten sich politische Aktivitäten ins Ausland, insbesondere nach Paris, wo eine große Kolonie wandernder Handwerksgesellen (mehr als 20.000) bestand. Dort wurde im Februar 1832 der "Deutsche Volksverein" gegründet, der politische Freiheit und die deutsche Einheit forderte. Aus dem Volksverein ging 1834 der "Bund der Geächteten" hervor, der wegen der schärferen Vereinsgesetze als Geheimbund und hierarchisch-autoritär organisiert war. Seine Ziele waren die Befreiung Deutschlands von absolutistischer Herrschaft, politische Freiheit und soziale Gleichheit.

Wegen der autoritären Struktur der "Geächteten" spaltete sich Ende 1836 der "Bund der Gerechten" ab, dessen führender Kopf Wilhelm Weitling, Schneidergeselle aus Marburg war. Er verfaßte ein Manifest, das kommunistische Ideen auf christlicher Grundlage enthielt. Die "Geächteten" formierten sich unter dem Namen "Bund der Deutschen" 1839 neu, behielten aber ihre politischen Ziele bei.

Allen Verbindungen war gemeinsam, daß ihre Mitglieder ihre Ideen und Forderungen nach Deutschland zurückbrachten und daß sie sich dort in kleinen Gruppen (Zellen) organisierten. Deshalb tat die politische Polizei alles, sie ausfindig zu machen und zu verhaften. So wurden in dieser Zeit auch mindestens drei Hofheimer verhaftet, angeklagt und verurteilt.

Der bekannteste Hofheimer, der wegen "revolutionärer Umtriebe" verhaftet und verurteilt wurde, war Adam Mohr (* 1815, † 1881). Er ist der Großvater des Gründers der Firma Polar-Mohr, Adolf Mohr. Adam Mohr kam als wandernder Handwerksgeselle über die Schweiz, Italien, Südfrankreich und Algier Ende 1839 nach Paris, wo er sich dem "Bund der Deutschen" anschloß. Durch die Geständnisse anderer Mitglieder des Bundes, die von der politischen Polizei vernommen worden waren, kam er auf die Fahndungsliste und wurde nach seiner Rückkehr nach Hofheim dort im Mai 1841 verhaftet. Die Akten des „Criminalgerichtes Wiesbaden“, das die Untersuchung gegen ihn führte, sind erhalten geblieben, im Unterschied zu den Akten der Gerichtsverhandlung vor dem Hof- und Appellationsgericht Usingen. Er wurde von diesem Gericht im ersten Quartal 1842 wegen „Theilnahme an einer gemeingefährlichen Verbindung“ zu vier Monaten Correctionshaus verurteilt. Wie lange er in Untersuchungshaft gesessen hat und ob und in welchem Zeitraum er die Strafe verbüßt hat, ist nicht bekannt.

Trotz seiner politischen Vorbelastung blieb Adam Mohr ein geachteter Hofheimer Bürger. Als „Mechanikus“ konstruierte und baute er Maschinen, z. B. Lumpenschneider und Fegmühlen. Er gründete, vermutlich schon 1842, eine „Mechanische Werkstatt“, die in der Hauptstraße 16 lag. Er engagierte sich im öffentlichen Leben als Kreisrat des Landkreises Höchst und als Schöffe der Stadt Hofheim und war über 25 Jahre Vorsitzender des Hofheimer Lokalgewerbevereins. 1870 wurde er in den Vorstand des Gewerbevereins für Nassau gewählt, zu dessen Ehrenmitglied er 1875 ernannt wurde.

Ähnlich wie Adam Mohr wurden aus Hofheim auch Nikolaus Landler, Schuhmacher und Jakob Christoph Seelig, Küfer und Sohn des früheren Stadtschultheißen Johann Seelig, am 12. April 1841 vom „Criminalgericht Wiesbaden“ in Untersuchungshaft genommen. Sie wurden der Mitgliedschaft im "Bund der Gerechten" angeklagt. Auch ihre Untersuchungsakten sind erhalten geblieben, aber nicht die Gerichtsakten vom Hof- und Appellationsgericht Usingen. Dieses verurteilte Nikolaus Landler im ersten Quartal 1842 ebenso wie Adam Mohr zu vier Monaten Correctionshaus. Über eine Verurteilung Jakob Christoph Seelig ist nichts bekannt. Zusammen mit Mohr und Landler wurden wegen des gleichen Deliktes, nämlich „Theilnahme an einer gemeingefährlichen Verbindung“, im ersten Quartal 1842 verurteilt, zu vier Monaten Correctionshaus Wilhelm Bieger aus Bierstadt und Michael Ruppert aus Wiesbaden, zu sechs Monaten Christian Blessing aus Höchst und zu einem Jahr Correctionshaus Anton Hahn aus Zeilsheim.