Der Ablauf der Hofheimer Schulhausrevolte 

In Nassau haben viele Kommunen ihre finanzielle Notlage in Gesuchen an die Landesdeputierten dargestellt und um Abhilfe gebeten. In dem Gesuch vom 22. März 1831 brachten auch die Hofheimer ihre Beschwerden vor. Sie verlangten u. a. eine Entschädigung für Truppeneinquartierungen, Aufhebung von Zöllen, Rücknahme von Zehntabgaben und den Ankauf des Kellereigebäudes als Schule an Stelle eines Neubaues. Das Gesuch wurde von den sechs gewählten, ehrenamtlichen Mitgliedern des Stadtvorstandes und den vier ehrenamtlichen Mitgliedern des Feldgerichts, d. h. den Stadträten unterzeichnet. Zu diesen zählte auch Philipp Joseph Weiler, der Besitzer der Kellerei. Um dem Gesuch noch mehr Gewicht zu verschaffen, führte der Stadtvorstand etwa Mitte April 1831 eine Art Bürgerbefragung unter den damals 338 Hofheimer Haushaltsvorständen durch mit der Frage, wer für oder „gegen den Hauskauf (Burgstraße 11) und Neubau“ sei. Alle 226 Unterzeichner, d. h. etwa zwei Drittel der Haushaltsvorstände, votierten mit ihrer Unterschrift gegen den Neubau.

Die „Bittschriftencommission“ der Deputiertenversammlung – heute würde man Petitionsausschuß sagen - legte am 26. April 1831 ihren Bericht zu der Hofheimer Petition vor, der in der planmäßigen Sitzung der Versammlung am Montag, dem 2. Mai 1831 in Wiesbaden beraten werden sollte. Dieser Bericht, in dem auf die insgesamt neun „Beschwerden“ der Hofheimer ausführlich eingegangen wird, ist im Wortlaut in den Protokollen der Deputiertenversammlung abgedruckt und hier im Anhang vollständig wiedergegeben. Wegen des Domänenstreites vertagte der Herzog die Sitzung am 2. Mai jedoch auf unbestimmte Zeit.

In vielen Berichten über die Schulhausrevolte steht, daß eine Hofheimer Delegation der Deputiertenversammlung die Bittschrift am 2. Mai überreichen wollte. Dies ist deshalb unwahrscheinlich, weil sie schon am 22. März vom Stadtvorstand unterzeichnet worden war und der Bericht der Bittschriftenkommission schon am 26. April abgegeben wurde. Außerdem waren die Sitzungen der Deputiertenversammlung nicht öffentlich. Wahrscheinlich ist, daß sich die Auflösung der Landstände schnell herumgesprochen hatte. Der Deputierte Johann Werle des Wahlkreises Wiesbaden, Posthalter in Hattersheim, kehrte am 3. Mai von Wiesbaden nach Hattersheim zurück und wurde dort – wie übrigens andere Deputierte im Herzogtum auch – von der Bevölkerung als Opfer der Willkür des Herzogs vor seinem Wohnhaus am Posthof durch ein Ständchen gefeiert. Man sieht daraus, daß die Deputierten, obwohl sie nur von einer verschwindenden Minderheit der Bevölkerung gewählt worden waren, doch als Volksvertreter gegen die Politik des Herzogs und seiner Regierung betrachtet wurden.

Von dem Deputierten Werle kam vermutlich auch die Nachricht, daß die Hofheimer Beschwerden in Wiesbaden nicht behandelt worden waren. Da andererseits der Neubau der unerwünschten Schule schon fortgeschritten war, führte dies in Hofheim zum offenen Aufruhr: Am Abend des 3. Mai wurde der bis zu den Fenstergesimsen des Erdgeschosses vollendete Rohbau der Schule von 30 bis 40 Bürgern abgerissen.

Die Untersuchungsakten der Hofheimer Revolte mit den Vernehmungsprotokollen der Untersuchungskommission, die von der Landesregierung schon am 5. Mai 1831 eingesetzt wurde, sind erhalten geblieben, ebenso viele Akten der Landesregierung zu dem Ereignis. Nicht auffindbar waren die über 1.000 Seiten Akten der Untersuchung durch das Kriminalgericht Wiesbaden, das nach heutigem Verständnis 1831 die staatsanwaltlichen Ermittlungen durchführte.

Dessen abschließender, etwa 50-seitiger Bericht an die Landesregierung liegt aber vor. Insgesamt ist die Entstehung und der nachfolgende Ablauf der Ereignisse deshalb recht gut dokumentiert. Danach trafen sich die später als Hauptschuldige der Revolte Verurteilten, nämlich Bernhard Westenberger, Nicolaus Messer, Conrad Förster, Jakob Kippert, Peter Forst und Nikolaus Forst, am Nachmittag des 3. Mai 1831 am Neubau des Wohnhauses von Bernhard Westenberger und verabredeten sich, gemeinsam mit anderen abends den begonnen Neubau der Schule einzureißen.

In einem späteren Bericht, der sich auf mündliche Überlieferungen in Hofheim stützt, soll der Treffpunkt der Verschwörung die Wirtschaft des Philipp Kremenz gewesen sein. Die Gastwirtschaft, die später die Metzgerei Kilb wurde, lag in der Hauptstraße, Ecke Taubengasse. Es kamen etwa 30-40 Gleichgesinnte zusammen, die den Rohbau der Schule gegen 10 Uhr abends innerhalb einer Viertelstunde abrissen. Am nächsten Tag, Mittwoch, dem 4. Mai, kam vom herzoglichen Amt Höchst der Amtmann Justizrat Caspar Hendel, um die Vorfälle in Hofheim zu untersuchen. Als sich diese Nachricht herumgesprochen hatte, wurden die Glocken der Kirche St. Peter und Paul geläutet, die Einwohner strömten vom Feld und aus der Stadt zusammen. Amtmann Hendel fühlte sich bedroht, flüchtete sich zunächst ins Pfarrhaus und von dort über die Papiermühle des Johann Hohfeld in Kriftel nach Höchst. Eine größere Gruppe von Hofheimern, u. a. auch Bernhard Westenberger, verfolgten den Amtmann bis zur Papiermühle, die er mit der Kutsche des Hohfeld Richtung Höchst verließ. Schulkinder sollen der Kutsche Steine hinterher geworfen haben. Diesen Erfolg, die Vertreibung des Vertreters der Staatsmacht, feierten die Hofheimer anschließend in den Wirtshäusern. Zwei vom Landsturm stammende Trommeln wurden in den Straßen geschlagen. Die Reste des Schulbaus wurden vollständig abgebrochen und ein Balken mit einem Trauerflor aufgerichtet.

Vor dem Rathaus errichteten die Revoltierenden einen Freiheitsbaum, eine mit Bändern geschmückte Fichte – seit der französischen Revolution in der damaligen Zeit ein Symbol der Revolution und der Republik. Der Stadtschultheiß berichtete dem Amtmann in Höchst am 5. Mai, daß er den Freiheitsbaum habe entfernen lassen. Am späten Abend des 4. Mai soll sich die Lage beruhigt haben. Der Stadtschultheiß wurde aktiv und organisierte mit einer Gruppe besonnener Bürger eine Wache. Spät abends erschien jedoch eine Delegation Hattersheimer Bürger, die von den Hofheimer Ereignissen gehört hatten und mit einigen Gewehren bewaffnet waren, um Lärm zu erzeugen. Sie feierten in den Wirtshäusern mit vielen Hofheimern die Revolte gegen die herzogliche Willkür und zogen mit ihnen gegen Mitternacht nach Hattersheim. Der an dem Marsch beteiligte Hattersheimer Ludwig Schweikart sagte später aus, daß die Hofheimer nach Höchst weiter marschieren wollten, um dort „die Mauth aufzuheben“, d. h. das Zollstätte zu demolieren. Zunächst zog man aber zum Posthof nach Hattersheim, um den Deputierten und Posthalter Werle nochmals hochleben zu lassen.

Von hier an gibt es unterschiedliche Berichte über den weiteren Ablauf der Ereignisse. Der eine sagt, daß die „Tumulanten“ – so heißen sie in den amtlichen Protokollen - in Hattersheim weiter Lärm geschlagen hätten und sich zu später Stunde alkoholisiert und übermüdet nach Hause begeben hätten. Ein Zeitungsbericht aus dieser Zeit erklärt, daß der Zug von Hofheimern und Hattersheimern nach Höchst weiterziehen wollte. Davon habe sie aber Johann Werle durch Zureden abgebracht und man sei dann nach Hause zurück gekehrt. In einem späteren Zeitungsbericht wird berichtet, daß die Hofheimer und Hattersheimer in Höchst das Amtshaus und die Zollstätte am Main stürmen wollten.

Der Höchster Amtmann Hendel hatte für den Fall, daß die Hofheimer und Hattersheimer Tumulanten nach Höchst zu seinem Amtshaus an der Ecke Bolongarostraße/Amtsgasse weiterziehen sollten, schon Vorkehrungen getroffen. Nach seinem Bericht an die Landesregierung vom 9. 5. 1831 hatte er an der Stadtgrenzen und im Amtshaus bewaffnete Wachen aus Reservisten und der Stadtwache aufstellen lassen. Dazu bestand wohl auch deshalb Anlaß, als es nach einem Zeitungsbericht schon am Vortag in Höchst zu Zusammenrottungen gekommen sein soll „mit der unverkennbaren Absicht, das Licentamt aufzuheben“. Dazu kam es aber nicht, die Menge soll sich ohne „Exzesse“ zerstreut haben. Sicher gab es aber auch bei dem Amtmann Hendel und bei der Nassauischen Landesregierung die Befürchtung, daß sich in Höchst die gewalttätigen Tumulte wiederholen könnten, die sich Ende September 1830, also nur sieben Monate vorher, in Kurhessen in der Stadt Hanau zugetragen hatten.