2.3. Behandlung der Fremdarbeiter aus dem Westen und Norden

„Der Masseneinsatz von ausländischen Arbeitnehmern aus den besetzten Gebieten Frankreichs, Belgiens, der Niederlande, Norwegens und Dänemarks erfordert mit Rücksicht auf die künftige Gestaltung der Beziehungen des Deutschen Reiches zu den in diesen Ländern lebenden Völkern eine der verschiedenen Mentalität dieser entsprechende staatspolizeiliche Behandlung." So leitete die Staatspolizeistelle Kassel der Geheimen Staatspolizei ein mehrseitiges Schreiben ein, das mit Datum vom 21. März 1941 an die Landräte und Oberbürgermeister sowie die Stapo-Außendienststelle in Hanau ging und detaillierte Handlungsanweisungen zum Umgang mit „Arbeitnehmern germanischer Abstammung und fremdvölkischen Arbeitnehmern" enthielt.

Als „Arbeitnehmer germanischer Abstammung" wurden die „Arbeiter mit niederländischer, dänischer und norwegischer Staatsangehörigkeit und flämischer Volkszugehörigkeit" bezeichnet; sie seien „grundsätzlich wie Deutsche zu behandeln."

Bei den „fremdvölkischen Arbeitskräften, die im wesentlichen aus Nordfrankreich und Belgien kommen, handelt es sich nicht nur um Franzosen und Wallonen, sondern darüber hinaus auch um Polen, Tschechen, Jugoslaven, Slowaken, Italiener usw." Bemerkenswert daran ist insbesondere, daß hier nicht im Sinne der Nazi-Ideologie die „Volkszugehörigkeit" die Behandlung bestimmte, sondern die Rekrutierungsregion Frankreich/Belgien: „Unter Voranstellung produktionspolitischer Gesichtspunkte ist die gleiche Behandlung aller fremdvölkischen Arbeitskräfte ein unbedingtes Erfordernis. Die aus den besetzten Gebieten des Westens kommenden Polen
- ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit
- sind wie alle übrigen fremdvölkischen Arbeitnehmer zu behandeln. Auf sie treffen die Bestimmungen über die Behandlung der im Reich eingesetzten Zivilarbeiter und Arbeiterinnen polnischen Volkstums, insbesondere auch die Polizeiverordnung über die Kenntlichmachung, nicht zu." Damit gab es nun polnische Fremdarbeiter (aus Polen) mit dem diskriminierenden Zeichen „P" und (aus Nordfrankreich und Belgien, insbesondere aus dem Bergbau) ohne dieses „P".

Die GeStapo-Anweisung verlangte, die „ausländischen Arbeitnehmer möglichst weitgehend geschlossen in Lagern unterzubringen", wobei „germanische" und „fremdvölkische" zumindest stubenweise zu trennen seien. Da eine „Sesshaftmachung ... auf deutschem Boden" als „unerwünscht" galt, war „das Nachkommen von Familien der fremdvölkischen Arbeitnehmer" „streng zu unterbinden". Und wie schon in den Polen-Erlassen kam hier für alle Ausländer, auch die „germanischen", die Anweisung: „Es muß aber sichergestellt werden, daß ein Geschlechtsverkehr dieser ausländischen Arbeitskräfte mit deutschen Volksgenossen nicht stattfindet." Daß die Unterscheidung zwischen „nationalpolnischen" Arbeitern, für die die Polen-Erlasse galten, und „fremdvölkischen" Polen zur Verwirrung führen konnte, macht folgende Ergänzung deutlich: „Da die Polen der Anordnung der Kennzeichnung nicht unterliegen, ist in solchen Fällen bei deutschen Personen, die sich gegen das Verbot des Geschlechtsverkehrs vergehen, zu prüfen, ob sie Kenntnis davon hatten, daß es sich bei dem anderen Teil um einen Polen handelt."

Eine längere Passage behandelte die „Bekämpfung der Arbeitsunlust und Widersetzlichkeit in den Betrieben". Dabei wurde zugegeben, daß die Fremdarbeiter zumindest zum Teil mit falschen Versprechungen angeworben worden waren: „Vielfach haben auch die besonders in der ersten Zeit in den besetzten Gebieten geübten Werbemethoden, z.B. Versprechungen über die Höhe des Lohnes, die Art der Unterbringung, das Nachziehen der Familienangehörigen, die Art der Beschäftigung, Gewährung des Urlaubs usw., Veranlassung zu derartigen Disziplinlosigkeiten gegeben. Die Erforschung der Gründe für das undisziplinierte Verhalten des ausländischen Arbeitnehmers ist daher in jedem Falle für die Beurteilung unerläßlich."

Die Niederländer, Flamen, Norweger und Dänen konnten mit Nachsicht rechnen: „... ist bei Verstößen von Arbeitnehmern germanischer Abstammung gegen die Arbeitsdisziplin mit Belehrungen, Ermahnungen und Verwarnungen in vorsichtiger, aber eindringlicher Form vorzugehen." Für die Arbeiter aus Belgien und Frankreich galt der Strafenkatalog: „Gegen fremdvölkische Arbeitnehmer werde ich bei ständig lässiger Arbeit, Arbeitsniederlegung, eigenmächtigem Verlassen der Arbeitsstelle und sonstigen Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin mit den üblichen staatspolizeilichen Maßnahmen vorgehen." Den Dienststellen war klar, was damit gemeint war; zu den „üblichen Maßnahmen" gehörte die Einweisung in ein „Arbeitserziehungslager".

Aufnäher Ostarbeiter

Kennzeichnung für „Ostarbeiter", um 1942, Baumwollaufnäher, 7,5 x 7,5 cm/ 8x8 cm (Deutsches Historisches Museum Berlin).