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Bewegungsfreiheit Im Herbst 1940 rief der „Reichsbauernführer" die Bauern und Landwirte zur „Erzeugungsschlacht" auf. Zu den Erntearbeiten wurden auch Kriegsgefangene eingesetzt. „Außerdem sind italienische, slowakische und polnische Landarbeiter angeworben worden, so daß fühlbarer Mangel nicht bemerkbar wurde. " Daß die polnischen Arbeiter anders zu behandeln seien als die anderen Arbeiter, machte der Landrat in einer Bürgermeisterdienstversammlung im Mai 1941 deutlich „Nach 21 Uhr darf im Sommer kein Pole mehr auf der Straße sein. Unter keinen Umstanden darf es geduldet werden, daß sich Polen in verschiedenen Dörfern gegenseitig besuchen". Tagsüber hatten die polnischen Zivilarbeiter nur an ihrem jeweiligen Arbeitsort Bewegungsfreiheit. Wenn sie ihn verlassen wollten, z. B. wenn sie zum Einkaufen aus Großauheim nach Hanau wollten, brauchten sie eine schriftliche Genehmigung. Der Großauheimer Bürgermeister als Ortspolizeibehörde wies am 16. Dezember 1940 die Firmen BBC und Rütgerswerke zur „geeigneten Bekanntgabe" daraufhin, daß „für polnische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene das Betreten des Stadtinnern von Hanau" durch bestimmte Straßen begrenzt werde, die einzelnen aufgeführt wurden, u. a. Wilhelmstraße, Vor dem Kanaltor, Akademiestraße, Leipziger Straße. Offenbar mußten die Polen-Erlasse öfter in Erinnerung gebracht werden. So schrieb der Bürgermeister von Großauheim am 4. April 1941 an die Firmen BBC und Rütgerswerke sowie an zwei Landwirte und einen Schmiedemeister, die polnische Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigten: „Ich mache darauf aufmerksam, daß es auf Grund der Polizei-Verordnung des Herrn Regierungspräsidenten vom 10.4.1940 den Zivilarbeitern polnischen Volkstums verboten ist, in der Zeit vom l. April bis 30. September von 21-5 Uhr und in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. März von 20-6 Uhr auszugehen und ihre Unterkunft (Gehöft) zu verlassen. Die Einhaltung der festgesetzten Zeiten muß durch den Arbeitgeber oder eine zuverlässige dazu beauftragte Personregelmäßig kontrolliert werden. Der Arbeitgeber hat jede Zuwiderhandlung gegen diese Anordnung sofort der Ortspolizeibehörde zu melden. " Die GeStapo, Staatspolizeistelle Darmstadt (wegen der Zerbombung Darmstadts in Bensheim ansässig), verfügte im November 1944 an die Kreise: „l. Sperrstunde für Ostarbeiter und Polen wird auf 20.00 Uhr festgesetzt. 2. Für sämtliche übrigen ausl. Arbeitskräfte ist Sperrstunde ab 21 Uhr. 3. Das Gebot gilt sowohl für die in Lagern als für die in Privatquartieren untergebrachten ausl. Arbeitskräfte". Der Hanauer Landrat schickte den gleichen Text am 6. Dezember 1944 an die Bürgermeister, der Großauheimer Bürgermeister gab dies am 8. Dezember „allen Lagern zur Kenntnis". Zur Diskriminierung der Ostarbeiter und Polen kam nun nach der Invasion der Alliierten in Nordfrankreich aufgrund des Näherrückens der Kriegs-Hauptkampflinie die Angst vor Spionage und Sabotage durch Franzosen u.a. Das nächtliche Ausgehverbot wurde schon wenige Tage später verschärft; der Landrat gab am 11. Dezember 1944 an alle Bürgermeister bekannt: „Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Rhein/Westmark hat ab sofort aufgrund der vorherrschenden Sicherungslage im gesamten Bereich Rhein/Westmark die Sperrstunde für ausländische Arbeitskräfte einheitlich auf 20 Uhr festgesetzt und Ausnahmen grundsätzlich untersagt." Die Bestimmung, daß polnische Zivilarbeiter die Gemeinde, in der ihre Arbeitsstätte lag, nicht verlassen durften, wurde offenbar häufig mißachtet. Der Hanauer Nazi-Landrat schrieb im Mai 1942 an alle Bürgermeister des Kreises: „Weiter sind an jedem Sonntag die Wanderungen der Polen von einer Gemeinde zur anderen zur Tagesordnung geworden. Ich erinnere letztmalig an meine verschiedenen Bekanntmachungen und werde für die Zukunft jeden Bürgermeister, der gegen die bestehenden Gesetze und Anordnungen verstößt, zur Rechenschaft ziehen." Fast genau ein Jahr später wiederholte der Landrat in einem Rundschreiben an alle Bürgermeister in deutlich gereizter Tonlage: „Trotz aller Verbote, trotz aller Hinweise und trotz aller Anordnungen ist an Sonn- und Feiertagen sowie in den Abendstunden die Abwanderung aller Ostländer, Russen, Kriegsgefangenen und wie die fremdvölkischen Nationen alle heißen, derartig stark, daß ich hier nicht mehr länger zusehen kann. Ich verweise erneut auf die wiederholt ergangenen strengen Anordnungen und Verfügungen und werde, wenn von der Ortspolizeibehörde sowie den Gendarmeriebeamten hiergegen nicht eingeschritten wird, in Zukunft Letzere zur Verantwortung ziehen." Die Arbeitskarten der polnischen Arbeiter und Ostarbeiter enthielten den unterschriebenen amtlichen Stempelaufdruck: „Inhaber darf Arbeitsort (siehe eingeklebte Arbeitserlaubnis) ohne Genehmigung der Kreispolizeibehörde nicht verlassen." Im Februar 1944 wurde die Zuständigkeit auf die Ortspolizeibehörde verlagert. Die Arbeitskarte war als Ausweis mitzuführen. Andere ausländische Arbeitskräfte hatten Pässe oder vorläufige Fremdenpässe und hatten Aufenthaltserlaubnisse in der Regel über die Gemeinde hinaus für den Stadt- und Landkreis. „Außerhalb des Stadt- und Landkreises Hanau dürfen sich also auch die Inhaber solcher Pässe ohne schriftliche Genehmigung des Landrates nicht aufhalten," brachte der Hanauer Landrat in einem Rundschreiben im April 1944 in Erinnerung und wiederholte sein Klagelied: „Es häufen sich nun die Fälle, in denen polnische Zivilarbeiter und Ostarbeiter ohne schriftliche Genehmigung der Ortspolizeibehörde außerhalb des Arbeitsortes und Inhaber von Pässen und vorläufigen Fremdenpässen ohne meine schriftliche Genehmigung außerhalb des Stadt- und Landkreises angetroffen werden, wodurch sich große Mißhelligkeiten ergeben und die Überwachung der Ausländer stark erschwert wird." Weiter heißt es darin: „Genehmigungen zum Verlassen des Arbeitsortes dürfen nur schriftlich erteilt werden und müssen sich aus sicherheitspolizeilichen, verkehrstechnischen, arbeitseinsatzmäßigen Gründen und aus Gründen der Ausländerüberwachung auf wirklich dringendste Ausnahmefälle (Besuch von Eltern, Kindern, Ehegatten, Geschwistern oder nachweislich kranken Verwandten anderen Grades) beschränken." Offenbar handhabten dies einige Bürgermeister großzügig, denn der Landrat monierte am 16. Dezember 1944: „Es wurde festgestellt, daß den Ausländern von einzelnen Bürgermeistern Urlaubsscheine ausgestellt werden, die sich auf das gesamte Kreisgebiet ausdehnen. Diese Scheine sind sofort einzuziehen und nur in besonders gelagerten Fällen als einmalige Erlaubnis auszustellen. Ich verbiete hiermit letztmalig die Ausstellung von Urlaubsscheinen, damit den Ausländern die Möglichkeit genommen ist, sich im gesamten Kreisgebiet zu bewegen und die Stadt Hanau zu überschwemmen und zu betteln." Diese letztgenannte Verfügung, beim Bürgermeister von Großauheim am 21. Dezember 1944 eingegangen, ist geprägt von der Angst vor Spionage und Sabotage durch ausländische Arbeitskräfte, ohne daß dies direkt benannt wird. Der Landrat verweist eingangs darauf, daß „die Sperrstunde für sämtliche Ausländer einheitlich auf 20 Uhr festgesetzt" ist und schließt: „Gerade in der Jetztzeit (sic!) können und dürfen Ausländer ihren Gemeindebereich nicht verlassen, es sei denn, daß sie auswärts zu Arbeiten eingesetzt werden. An Sonn- und Feiertagen müssen Ausländer in ihrem Gemeindebereich verbleiben." In den Bombenangriffen der Alliierten auf Wohngebiete und Arbeitsstätten mußten auch die Fremdarbeiter um ihr Leben fürchten; näheres dazu später im Kapitel Tod. Viele flüchteten aus den Städten und versuchten, bei Bauern eine neue Arbeitsstelle und Ernährung zu finden. Eine große Suchaktion löste der Regierungspräsident Kassel am 19. April 1944 nach Bombenangriffen auf die Stadt Kassel aus. Per Funkspruch erging über die Polizeiverwaltung Fulda auch an den Gendarmerie-Kreis Hanau die Verfügung: „Die gesamte Ordnungspolizei sowie sämtliche Stadt- und Landwachtmänner sind sofort zu alarmieren und haben nach flüchtigen ausländ. Arbeitern zu fahnden, die anläßlich des Luftangriffs auf Kassel ihre Arbeitsstelle verlassen haben. Gleichzeitig ist nach feindlichen Fallschirmabspringern zu fahnden." Die Suchaktion wurde nach vier Tagen „aufgegeben". Der Gendarmerie-Kreis Hanau hatte ergänzend die Ortspolizei angewiesen: „Es empfiehlt sich, sämtliche ausl. Arbeitskräfte einer eingehenden Kontrolle zu unterziehen, wo sie früher in Arbeit gestanden haben. Sollte sich dabei ergeben, daß irgendeiner in Kassel in Arbeit gestanden hat, ist mir umgehend zu berichten. Darüber hinaus sind Streifen der Stadt- und Landwachtmänner einzusetzen, die Waldungen, Abbauten pp. nach Fallschirmabspringern absuchen." Der Gendarmerie-Kreis Hanau setzte am 23. Dezember 1944 eine Suchaktion in allen Betrieben, bei Bauern usw. in Gang: „Durch den Bombenterror auf Hanau sind eine ganze Anzahl ausländischer Arbeiter flüchtig gegangen, haben ihre Arbeitsstelle verlassen und halten sich teilweise in den Landgemeinden auf, wo sie bei den Bauern pp. unberechtigt die Arbeit aufgenommen haben. In der Zeit vom 24.12. bis einschließlich 26.12.1944 sind in sämtlichen Ortschaften Appelle der Ausländer abzuhalten unter Zugrundelegung der namentlichen Listen der Bürgermeister. Dabei ist festzustellen, wer sich ohne ordnungsgemäße Zuweisung dort aufhält. Diese Personen sind festzunehmen und mit einer Nachweisung (Muster folgend) und einem kurzen Bericht der Stapo in Hanau zuzuführen." Die Ortspolizei Großauheim übergab am 26. Dezember drei Ausländerinnen der GeStapo Hanau. |