Der Feind als Kollege

Ausländische Zivilarbeiter kamen in den Kriegsjahren aus verbündeten und aus besetzten Ländern nach Deutschland, sie kamen zum überwiegenden Teil gezwungenermaßen als Hilfskräfte in die deutsche Kriegswirtschaft aber auch teils freiwillig wegen der Arbeitslosigkeit in ihrer Heimatregion. Ausgehend von den abstrusen Rassetheorien der Nationalsozialisten formulierten deutsche Verwaltungsbeamte Vorschriften zur Unterscheidung von Gruppen und ihrer unterschiedlichen Behandlungen: 1. Arbeitskräfte „germanischer Völker" (Norweger, Dänen, Niederländer), 2. „fremdvölkische" Arbeitskräfte (z.B. Franzosen, Belgier), 3. Arbeitskräfte „aus dem Osten". Letztere wurden wiederum unterschieden in „Arbeitskräfte aus den ehemaligen Staaten Litauen, Lettland und Estland", Arbeitskräfte „polnischen Volkstums", Arbeitskräfte aus dem „altsowjetrussischen Gebiet" („Ostländer") und „fremdvölkische Arbeitskräfte nicht-polnischen Volkstums aus dem Generalgouvernement und den eingegliederten Ostgebieten" (vgl. Kapitel Ostarbeiter-Erlasse). Diese „völkische" Unterscheidung wurde überlagert von sicherheitspolitischen Überlegungen: Ukrainer aus der sowjetischen Ukraine galten als „Ostländer", Ukrainer aus dem ehemals polnischen Staatsgebiet galten als „fremdvölkische Arbeitskräfte nicht-polnischen Volkstums". Polen aus dem ehemals polnischen Staatsgebiet mußten das Polen-Zeichen tragen, polnische Arbeiter, die aus Frankreich nach Deutschland kamen, dagegen nicht. Es ist eine für uns Heutige schwer nachvollziehbare Welt.

Das Arbeitsverhältnis

In der Vorschriftensammlung für die Kommunalverwaltung aus dem Jahr 1942 heißt es: „Die ausl. Arbeitskräfte stehen in den Arbeits- und Lohnbedingungen mit den reichsdeutschen gleich (mit geringen Unterschieden), d.h. sie dürfen weder besser noch schlechter gestellt werden. Polen und gewisse Arbeitskräfte aus dem Osten nehmen eine Sonderstellung ein." 824 Und weiter: „Die ausl. Arbeiter und Angestellten nehmen - mit Ausnahme gewisser Arbeitskräfte aus dem Osten - an den deutschen Sozialversicherungseinrichtungen teil; sie entrichten also Beiträge zur Invaliden-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung und erwerben umgekehrt den Anspruch auf Leistungen dieser Versicherungszweige wie Deutsche. Schwangere werden vom Arbeitsamt zurückgeschafft."

Die Diskriminierung der polnischen Arbeitskräfte hatte der Reichsarbeitsminister in einer „Anordnung über die arbeitsrechtliche Behandlung der polnischen Beschäftigten" in 17 Paragraphen verwaltungsmäßig geregelt, um ihnen „eine besondere Stellung im Arbeitsleben des deutschen Volkes zuzuweisen". Einige Beispiele: „Bestimmungen über die Fortzahlung des Gehalts in Krankheitsfällen oder die Zuschußzahlung zum Krankengeld sind nur dann anzuwenden, wenn es sich um einen unverschuldeten Betriebsunfall handelt" (§ 2,5; Hervorhebung vom Verf.). „Wird an Feiertagen gearbeitet, so besteht kein Anspruch auf einen Feiertagszuschlag zum Lohn" (§ 3). „Familien- oder Kinderzulagen dürfen polnischen Beschäftigten nicht gewährt werden" (§ 4,1). „Die Gewährung von Weihnachtszuwendungen... an polnische Beschäftigte ist unzulässig" (§ 4,3). Es „soll grundsätzlich an polnische Beschäftigte nur die niedrigste betriebsübliche Vergütung ihrer Alters- und Tätigkeitsgruppe gezahlt werden" (§ 9,2). Die Jugendschutzbestimmungen wurden außer Kraft gesetzt: „Für polnische Beschäftigte im Alter von 14 bis 18 Jahren gelten an Stelle des Jugendschutzgesetzes... die für Erwachsene geltenden Vorschriften über die Arbeitszeit" (§ 14,1).

Die Abstufung in Arbeitskräfte minderen Rechtsstatus wurde für „Ostarbeiter" fortgesetzt: „Arbeitskräfte aus den neu besetzten Ostgebieten, die durch die Arbeitseinsatzverwaltung innerhalb des Reichsgebiets eingesetzt sind, stehen in einem Beschäftigungsverhältnis eigener Art." Sie „unterliegen nicht der Reichsversicherung", „Urlaubs- und Familienheimfahrten werden nicht gewährt".

Demgegenüber galten für Ukrainer aus dem ehemaligen polnischen Staat die „für polnische Beschäftigte geltenden Bestimmungen" und für Arbeitskräfte aus Litauen, Lettland und Estland die Arbeitsbestimmungen „vergleichbarer deutscher Gefolgschaftsmitglieder".

Der deutsche Arbeiter sollte sich gegenüber dem Ausländer überlegen fühlen. In der Anordnung über die arbeitsrechtliche Behandlung der polnischen Beschäftigten wird dies im Paragraphen 12 ausgedrückt: „Soweit nicht zwingende betriebliche Gründe es erfordern, dürfen polnische Beschäftigte nicht an Arbeitsplätzen eingesetzt werden, die sie berechtigen, deutschen Gefolgschaftsmitgliedern Weisungen zu erteilen." In der Vorschriftensammlung für die Kommunalverwaltung wird diese Bestimmung als „besonders wichtig" bezeichnet und durch Fettdruck her vorgehoben. Und in den Ostarbeiter-Erlassen heißt es: „Trotz allem wird der deutsche Arbeiter am gleichen Platz mit den Arbeitskräften aus dem altsowjetischen Gebiet tätig sein müssen. Es ist daher erforderlich, den deutschen Arbeiter in seiner Stellung hervorzuheben, daß er trotz seiner Mitarbeit als Vorgesetzter und Aufsichtsperson in Erscheinung tritt und bei ihm ein Solidaritätsgefühl mit diesen Arbeitskräften möglichst nicht entstehen kann." Arbeitsverwaltung, DAF und Reichsnährstand hatten die Betriebsführer über die „verschiedenen Möglichkeiten der Hervorhebung des deutschen Menschen zu belehren".