Hunger, Hunger, Hunger!

Daß die Fremd- und Zwangsarbeiter aus dem Osten zu wenig zu essen bekamen, war für jeden sichtbar. Zeitzeugen berichten heute gerne von Hilfsaktionen: Man brachte Brot mit, steckte ihnen Obst zu. Auch wenn man annehmen darf, daß die heutige Betonung der „guten Taten" eine Entlastungsfunktion hat, bleibt festzuhalten, dass das tradierte dichotomische Weltbild der Arbeiterschaft - „Wir hier unten, die da oben" - weiterhin mehr Gültigkeit als die Rassetheorien der Nationalsozialisten hatte. Der russische Schweißer bei den Stadtwerken oder die ukrainische Hilfsarbeiterin bei Degussa waren zuerst einmal Kollegen, denen zum Frühstück ein Butterbrot mitgebracht wurde.

Mancherorts spielten bei derartigen verbotenen Aktionen auch Werkschutz oder Lagerwache mit. So berichtet ein Zeitzeuge vom Lager des Gleisbauhofs an der Blücherstraße, dass sein Onkel, der im „Chinesenhof" (heute an der Friedrich-Engels- Straße) wohnte, regelmäßig Eintopf kochte und abends den Topf unter dem Zaun durchschob, wo er von einem Russen abgeholt und später zurückgebracht wurde; die Lagerwache habe dies selbstverständlich bemerkt und „immer weggeguckt".

Aus Ravolzhausen wird berichtet, dass die russischen und ukrainischen Arbeiter in der Ziegelei von einem großen Teil der Dorfbewohner regelmäßig mit warmem Essen versorgt wurden. Ein Zeitzeuge erklärt das so: „Das waren die kommunistischen Wähler, damals ein Drittel des Dorfes, die sich den Fremdarbeitern besonders verbunden fühlten."

Es gab auch das Gegenteil, massive Übergriffe des Werkschutzes; in Hanau wurde dies in den Nachkriegsjahren insbesondere aus der Dunlop bekannt. Ein wohl typisches Beispiel schildert ein Zeitzeuge aus Klein-Auheim aus dem Herbst 1940; der Betroffene war allerdings kein Fremdarbeiter, sondern ein Häftling des Bautrupps an der Straßenrampe zur Klein-Auheimer Brücke. Der Nebenerwerbslandwirt und sein Sohn kamen auf dem Pferdefuhrwerk an der Baustelle vorbei und sahen mit Erschrecken, wie ein Wachposten mit einer stählernen Spiralfeder auf einen Mann einschlug, der sich blutend und wimmernd auf dem Boden wälzte. Sein Vergehen: Er hatte eine weiße Rübe, also Viehfutter, aus dem Boden gerissen, um seinen Hunger zu stillen.