[Auf den Kaiser wurde geschossen]

Das Jahr 1878 setzte ganz Deutschland, ja fast die ganze Welt in ungeheure Aufregung. Am 11. Mai wagte es ein durch die sozialdemokratische Lehre irregeführter, verkommener Mensch Hödel aus Leipzig unseren Kaiser und König zu erschießen, traf ihn aber nicht.

Am 2. Juni fand abermals ein Attentat auf unseren Kaiser statt. Es war ein Doktor namens Nobiling aus Posen, der zwei Schüsse auf unseren Kaiser abschoß. Ungefähr 30 Schrotkörner fuhren ihm in Arme, Brust, Hals und Kopf; jedoch war die Verwundung nicht lebensgefährlich. Menschen, welche auf ihren Kaiser, der doch ein so warmes Herz für sein Volk hatte, schießen konnten, beweisen, daß sie ein gefühlloses, rohes Herz haben.

[Und wieder das Wetter]

Das Jahr 1878 war ein sehr feuchtes, nasses Jahr, weshalb die Ernte nicht gut ausfiel. Kartoffeln gab es auf nassen Äckern keine und auf trockenen nicht viel.

Auch das Jahr 1879 war ziemlich naß und darum nicht warm. Die Ernten fielen deshalb abermals nicht günstig aus. Namentlich ließ die Kartoffelernte wieder viel zu wünschen übrig. Das Obst geriet ziemlich gut. Die Äpfel wurden durchschnittlich mit fünf bis sechs Mark das Malter verkauft. Der Winter war sehr streng, aber nicht sehr schneereich. Viele Obstbäume und Weinstöcke erfroren.

Die Witterungsverhältnisse waren im Jahre 1880 weit günstiger als im vorhergehenden, weshalb auch die Ernte gut ausfiel. Die Kartoffelernte war besonders gut. Obst aber gab es nur wenig. Der Herbst war anfangs gut, wurde aber gegen Ende Oktober so regnerisch, daß die Saat kaum bestellt werden konnte. Durch die anhaltenden und starken Regengüsse gab es Überschwemmungen, welch großen Schaden anrichteten.

Die Kälte trat erst im Monat Januar ein, erreichte aber einen noch höheren Grad als im verflossenen Winter.

Im Jahre 1881 waren das Frühjahr, der Sommer und der Herbst so naß, daß die ganze Ernte "heimgestohlen" werden mußte. Die Fruchternte fiel gut, die Kartoffelernte dagegen schlecht aus. Die Saat konnte bestellt werden, die Schnecken richteten großen Schaden an. Das Regenwetter dauerte bis in den halben November.

Durch diesen halbjährigen Regen wurde die Erde so gedrängt und die Flüsse so gesättigt, daß es eine Überschwemmung gab, wie sie in Jahrhunderten nicht erlebt wurde. Dadurch gingen Menschen und Tiere zugrunde und eine Masse Gebäude wurde von den Fluten weggerissen und die Menschen obdachlos gemacht. Viele Familien kamen um Hab und Gut und retteten kaum das nackte Leben. Die staatliche Hilfe war nicht imstande, diese Not und dieses Elend allein zu steuern, deshalb wurden an vielen Orten Geld, Kleidungsstücke, Betten etc. gesammelt, um so einigermaßen den Bedrängten zu helfen. Bemerkt dazu muß noch werden, daß die auswärts wohnenden Deutschen, besonders in Amerika, mit bedeutenden Summen ihren bedrängten Brüdern zu Hilfe kamen. Was hier den Ort anbelangt, so sei bemerkt, daß das ganze Oberdorf Wasser in den Kellern hatte. Infolge des nassen Sommers wurde die Körnerfrucht so naß nach Hause gebracht, daß sie kaum dreschbar war. Die Kartoffel- und Obsternte fiel sehr gut aus. Das Malter Äpfel mit sieben Mark bezahlt. Zwetschgen gab es jedoch sehr wenige, da die Bäume meistens erfroren waren.

Am 11. Januar 1885 brach dahier ein Brand aus, dem die Scheune des Konrad Adam zu Opfer fiel.

Das Jahr 1885 war ziemlich trocken. Die Ernte fiel zufriedenstellend aus, besonders die Kartoffelernte war gut. Obst gab es dagegen sehr wenig, obgleich die Bäume im Frühjahr in schönster Blütenpracht standen. Der Winter trat in diesem Jahr schon im November mit Schnee und Eis ein. Der Monat Dezember dieses Jahres und Januar und Februar des Jahres 1886 waren sehr kalt. Die Kälte hielt bis Ende März an. Der Sommer war ziemlich kühl und feucht. Der Winter trat in diesem Jahr spät ein. Der 21. und 22. Dezember brachte solchen Schnee, daß der Bahnverkehr zwei Tage lang eingestellt werden mußte.

Bei der im Sommer 1887 stattgefundenen Bürgermeisterwahl trat an die Stelle des abtretenden Herrn Matthäus Adam der bisherige Gemeindevorsteher Herr Joseph Burkart. Alois Mathes wurde Gemeindevertreter.

Das Frühjahr 1888, besonders der Monat Mai, war sehr kalt und naß. Die Ente fiel sehr gering aus. Obst gab es fast keines. Die Äpfel für den Apfelwein wurden von der mittleren Lahn bezogen.

[Drei-Kaiser-Jahr]

Am 9. März 1888 starb seine Majestät Wilhelm I., Kaiser von Deutschland und König von Preußen. Ihm folgte in der Regierung Friedrich der III., welcher jedoch nur 99 Tage regierte. Ein unheilbares Halsübel machte dem Leben von allem Volke geliebten Kaiser ein frühes Ende. Ihm folgte am 15. Juni in der Regierung Kaiser Wilhelm II.

Gleich zu Anfang seiner Regierung wurde im Reichstag das Unfall-, Invaliden- und Altersruhegesetz durchgeführt, welches für die Arbeiter eine große Wohltat ist und sie in Krankheit und Alter vor großer Not schützt.

[Nichts los von 1890 bis 1910 - aber dann gab es eine allgemeine Wasserversorgung]

In den nun folgenden zwanzig Jahren ist wenig beachtenswertes in der Gemeinde vorgefallen.

Da Niederhöchstadt sich im Laufe dieser Jahre nach außen hin sehr vergrößerte, das Wasser der wenigen hier befindlichen Gemeindebrunnen war nach Untersuchung des Kreisarztes zu Homburg v. d. Höhe sehr kalkhaltig und daher als Trinkwasser für die Gesundheit nicht sehr dienlich, ja sogar schädlich sei, wurde 1910 der allgemeine Wunsch laut, wie in den Nachbarorten, so auch hier eine Wasserleitung anzulegen. Da die Annahme sich bestätigte, das im nahegelegenen Gewann "Im Eich" genügend Wasser zur Versorgung des Dorfes vorhanden sei, wurde noch in demselben Jahr zur Ausführung des geplanten Projektes geschritten. Die Ausführung wurde dem wenigstfordernden Herrn Reinhard von Aschaffenburg übertragen. Bauleiter war Bauarchitekt Andreas aus Heddernheim. Noch am Schluß des Jahres war der ganze Ort mit Wasser versorgt, was in jeder Familie als eine Wohltat betrachtet wurde, da das Wasserholen am weitentfernten Gemeindebrunnen zur Winterzeit oft mit Lebensgefahr bei Eisglätte verbunden war.

[Gasbeleuchtung und elektrisches Licht]

Nachdem 1911 die Ortsstraßen aufgebrochen waren und teilweise wieder neu gepflastert werden mußten, wurde in diesem Jahr beschlossen, auch Gasbeleuchtung im Orte einzuführen. Nachdem man mit der Nassauischen Gasgesellschaft in Höchst a. M. einen für die Gemeinde günstigen Vertrag abgeschlossen hatte, wurde zur Ausführung der Anlage geschritten. Da die Gasgesellschaft sich bereit erklärte, die Leitung unentgeltlich in die Häuser zu verlegen, war bald jedes Haus mit demselben versehen und jeder freute sich der herrlichen Beleuchtung.

In demselben Jahre wurde auch noch das elektrische Licht eingeführt, was besonders in den Wintermonaten als eine große Wohltat betrachtet wurde, da nunmehr das trübe Erdöllicht in den Ortsstraßen, welches vielfach nicht brannte, durch das helle elektrische Licht ersetzt wurde.

In dem Jahre 1911 konnte Herr Bürgermeister Burkart auf eine 25-jährige Tätigkeit als Bürgermeister in Niederhöchstadt zurückblicken. Am Vorabend desselben Tages brachte die ganze Gemeinde ihrem Bürgermeister als Dank für seine langjährige verdienstliche Tätigkeit einen Fackelzug dar.

Bürgermeister Burkart war bis 1914 im Amt. Im August dieses Jahres wurde an seine Stelle Herr Ferdinand Keidel zum Bürgermeister gewählt. Bürgermeister-Stellvertreter wurde Philipp Kilb.

Als Gemeinderatsmitglieder wurden Johann Brech, Philipp Bommersheim und Georg Herberth und in die Gemeindevertretung Johann Becker, Georg Philipp Scherer, Johann Philipp Henrich, Jakob Brech, Anton Krämer, Joseph Hemmerle, Georg Adam, Adam Adam, Georg Gottfried Henrich, Johann Adam III. und Wilhelm Wendel gewählt (27).

Im Jahre 1914 brach der große Weltkrieg aus. Näheres darüber siehe Seite 71.

[Bürgermeister und Gemeinderatsmitglieder]

Im Jahre 1916 legte Bürgermeister Keidel sein Amt nieder und an seine Stelle wurde im Juli desselben Jahres Philipp Kilb zum Bürgermeister gewählt. Beigeordnete waren Adam Henrich und Otto Bauer und Gemeinderatsmitglieder Philipp Georg Adam, Albin Bauer und Johann Adam III. Als Gemeindevertreter wurden gewählt: Philipp Johann Brendel, Ferdinand Keidel, Georg Gottfried Henrich, Johann Adam III., Anton Theis, Karl Seifert, Adam Henrich, Wilhelm Keller, Anton Burkart, Otto Bauer, Philipp Johann Henrich und Johann Fischer.

Philipp Kilb führte sein schweres, mühevolles Amt als Bürgermeister während der Kriegs- und Nachkriegsjahre bis zum September 1920. Infolge Differenzen zwischen ihm und der Gemeindevertretung legte er sein Amt nieder.

[Bürgermeisterwahlen, große Not und die Franzosen in Niederhöchstadt]

Bürgermeister Kilb führte sein Amt während der schwersten Zeit, die jemals über Deutschland hereingebrochen ist. Nicht nur, daß im ganzen Lande eine Hungersnot war, so daß alle Nahrungsmittel, Bekleidungsstücke und was sonst zur Lebenshaltung notwendig war, war rationiert und auf die einzelne Köpfe der Familie verteilt werden mußte, sondern auch die Franzosen besetzten im Dezember 1918 unseren Ort und bereiteten dem Bürgermeister manche Unannehmlichkeiten. Die Franzosen blieben bis August 1929 im Orte. Fast keine Familie blieb von einer Einquartierung von denselben verschont. Mancher Einwohner wurde von denselben auch mit Strafe bedroht.

Der Verkehr nach den Nachbarorten und der Stadt Frankfurt wurde für die meisten erschwert. Kein Beamter durfte ohne ihre besondere Erlaubnis nach Frankfurt. Jeder mußte im Besitz einer Ausweiskarte sein. Kein Lebensmittel oder sonstiges durfte ohne ihre besondere Genehmigung weder ein- noch ausgeführt werden. Alle Bewohner des Dorfes atmeten auf, als sie endlich 1929 wieder abzogen und die Zollgrenzen aufgehoben wurden (28).

Am 15. Februar 1921 wurde an Stelle des Philipp Kilb Otto Bauer zum Bürgermeister der Gemeinde gewählt. Ein Herr noch jung an Jahren, aber entschlossen, sein Amt mit Umsicht und Gewissenhaftigkeit zu verwalten. Als Beigeordneter wurde Anton Theis gewählt. Bei der später stattgefundenen Wahl der Gemeinderatsmitglieder wurden Albin Bauer, Georg Herberth und Johann Adam III. und als Gemeinde-Vertreter Karl Glöckner, Ferdinand Keidel, Jakob Sachs, Philipp Buch, Anton Theis, Adolf Holste, Adam Henrich, Martin Scherer, Adam Ochs, Wilhelm Keller, Johann Fischer und Johann Philipp Henrich gewählt.

Das Jahr 1921 war sehr heiß und trocken, trotzdem fiel die Getreide-, sowie auch die Kartoffelernte sehr gut aus. Obst gab es recht vieles. Besonders gut wurden die Weintrauben, so daß der 1921-er Wein eine Güte bekam und den berühmten 1911-er noch bei weitem übertraf.

Schon 1918 trat, wie schon vorne erwähnt, eine große Knappheit an Lebensmittel ein, daß dieselben nur noch mit Lebensmittelkarten bezogen werden konnten. Milch wurde nur noch an Kinder unter sechs Jahren, an kranke und altersschwache Personen abgegeben. Da die Kartoffelernte im Jahre vorher sehr gering war, mußten sich viele Leute mit Kohlrüben statt Kartoffeln ernähren. In den Städten war das Elend noch ein größeres als auf dem Lande, so daß die Leute aus der Stadt scharenweise selbst auf die entlegendsten Dörfer gingen, um für sehr vieles Geld nur einige Lebensmittel zu bekommen.

In den folgenden Jahren nahm die Teuerung immer mehr zu. So kostete Ende 1919 ein Pfund Fleisch im Kauf mit Karten 2 Mark und 83 Pfennige und im freien Handel 8 bis 12 Mark, ein Ei 70 Pfennige bis l Mark.

[Ein Blick auf das Geschehen im Reich]

Ein Anzug, welcher früher 60 bis 70 Mark kostete, kostet jetzt je nach Qualität 300 bis l .000 Mark. Für ein paar Stiefel müssen jetzt 70 bis 200 Mark bezahlt werden. Denn hohen Preisen entsprechend stiegen auch die Arbeitslöhne. Ein gewöhnlicher Arbeiter, auch Arbeiterin, verdient am Tage 18 bis 30 Mark. Trotzdem werden immer höhere Löhne verlangt. Um dieselben zu erzwingen, folgt Streik auf Streik, wobei es selbstverständlich ohne Unruhen nicht abgeht. Armes Deutschland - tief bist du gesunken! Wann wird dein Retter erscheinen?

Unter dem Vorwand, Deutschland bliebe mit seinen Zahlungsverpflichtungen, zu denen es im Versailler Friedensvertrag verpflichtet wurde, zurück, besetzten 1922/23 die Franzosen das Ruhrgebiet mit seinen Kohlen- und Erzbergwerken. Damit verlor das Deutsche Reich seine wichtigsten Einnahmequellen. Infolgedessen verlor die Mark ganz ihren Wert und man rechnete nun nicht mehr nach Mark und Pfennig, sondern nach Hunderten, Tausendern und Millionen. Zuletzt sogar nach Milliarden und Billionen.

[Die Franzosen immer noch Besatzungsmacht]

Viele Deutsche wurden aus den besetzten Gebieten ausgewiesen. Auch unser Pfarrer von Böhm mußte seine Pfarrei verlassen und mit ihm noch zwei hiesige Einwohner. Da diese Zustände für die Dauer unhaltbar wurden, auch Frankreich die erwünschten Vorteile nicht fand, einigte man sich bei einer Zusammenkunft der Minister Deutschlands und der Minister der Alliierten 1924 dahin, daß Deutschland versprechen mußte, innerhalb eines Zeitraumes von 50 Jahren jährlich eine Summe von etwa fünf Millionen Mark (29) an seine früheren Feinde zu zahlen. Nunmehr gelang es auch, die Mark wieder zu stabilisieren, d. h. ihr einen Wert von ungefähr 65 Pfennige, zu geben. Die Preise blieben indessen immer noch sehr hoch und erreichten noch lange nicht ihren Friedensstand. Die Stabilisierung der Mark hatte zur Folge, daß nunmehr das Ausland billigere Waren liefern konnte als Deutschland, da auch in diesen Ländern ein großer Währungsverfall herrschte. Es entstand in Deutschland eine große Arbeitslosigkeit. Tausende von Arbeitern wurden aus den Fabriken entlassen, andere arbeiteten wöchentlich nur noch an drei Tagen. Im Jahre 1926 sind ungefähr zwei Millionen Arbeiter brotlos geworden und erhalten vom Staate Arbeitslosengelder.

Die Jahre 1925 und 1926 waren nasse Jahre. 1926 war ein sehr frühes und warmes Frühjahr, jedoch der Sommer sehr feucht, und der Dezember brachte noch einmal eine Julihitze. Die Getreideernte war trotzdem ziemlich gut. Die Obst- und Kartoffelernten waren mittelmäßig.