Das „Bonifatiuskreuz" - eine Legende?
Hansjörg Ziegler

Eine Dokumentation kann und darf nicht nur das Schöne, das wirklich Vorhandene bzw. die Sonnenseiten des Darzustellenden beleuchten, sondern sie muß auch die Zweifel, das Noch-nicht-Geklärte, d. h. die Schattenseiten, aufzeigen. Auch an unserem „Bonifatiuskreuz" gibt es, trotz der vorstehenden, bis zur Glorifikation des Steinmals reichenden Berichte, noch Fragliches, was wir nicht vergessen dürfen und woran uns die nachfolgenden Berichte mahnen werden und sollen. Es geht, wie schon wiederholt ausgesprochen, um den Anlaß und das Jahr der Setzung des Eschborner Steinkreuzes. Es gab schon früher einzelne Stimmen, und es gibt jetzt deren mehrere, besonders aus Kreisen der Steinkreuzforschung, die Vorbehalte gegen Namen und Alter anmelden bzw. die auf Grund normaler „empirischer Betrachtung des Problems" den Nachweis führen, daß das „Bonifatiuskreuz" genauso „ein Mord-, Sühne- oder Erinnerungskreuz sei, wie tausend andere zwischen Kaukasus, Baskenland und Schweden, die einzeln und geheimnisumwoben in der Feld- und Waldflur stehen".

Daß es typologisch zu den Steinkreuzen gehört, ist nicht umstritten. Aber was für eines ist es? Ist es den Mord-, Sühne- oder den Erinnerungsmalen zuzuordnen? Darüber und über die Deutung der „Einritzungen" gehen die Meinungen auseinander. Deshalb darf bei der Lektüre nachstehender Berichte nicht vergessen werden, daß es ebenso nur Deutungen wie die des vorigen Kapitels sind. Daß sie anschließend gebracht werden, geschieht aus chronologischer Sicht und soll weder als Korrektur des vorher Gesagten, noch als Abwertung der Berichte dieses Kapitels verstanden werden. Auch ihnen fehlt, wie den vorstehenden, der schlüssige Beweis, d. h. die wissenschaftliche oder urkundliche Zuordnung.

Zur Wiedergabe nachstehender Berichte trifft das auf Seite 53 und Seite 54 Gesagte zu. Auch hier sind Texte wegen Raummangels gekürzt und es werden nur die Teile gebracht, die unmittelbar zum Thema etwas aussagen. Sollte der Eindruck entstehen, daß die eine oder andere Textstelle aus dem Gesamtkonzept gerissen und dadurch der richtige Sachverhalt nicht mehr erkennbar ist, so geschieht dies nicht mit Absicht. Im Zweifelsfalle kann der interessierte Leser durch die Quellenangaben leicht den Originaltext auffinden. Eine Ausnahme bildet der zweite Bericht dieses Kapitels, der des Flurdenkmalforschers Heinrich Riebeling (der sich um die Flurdenkmalforschung in Hessen große Verdienste erworben hat, hat sich neben dem hier wiedergegebenen Bericht in mehreren Arbeiten mit der Deutung des Steinmales auseinandergesetzt), der mit freundlicher Genehmigung des Autors ungekürzt wiedergegeben wird. Es ist eine Arbeit, die die Schwachstellen der „Bonifatiuskreuz-Deutung" aufdeckt und die meinungsbildend war und ist, an der sich andere Heimatforscher orientieren und die nach ihrem Erscheinen aus dem „Bonifatiuskreuz" alternativ ein „Sühnekreuz" machte.

Das rätselhafte Gewächs am mittelalterlichen Crutzigenkloster und anderes
Prof. Dr. K. M. Kaufmann - Die Römerstadt -Frankfurt am Main, 4. April 1934

Die irreführende Überschrift resultiert daher, daß sie sich auf Leserzuschriften auf einen in der vorhergehenden Nummer einer Frankfurter Vorortzeitung erschienenen Artikel bezieht, die für unser Thema aber ohne Bedeutung sind. Von Bedeutung aber dürften die „weiteren Zuschriften" sein. Dies nicht nur wegen der Vorbehalte gegen die „Bonifatiuskreuz"-Deutungen des Autors, sondern weil er das Steinmal mit „keltischen Formen" in Verbindung bringt.

 „Weitere Zuschriften berühren die Frage des angeblichen Bonifatiuskreuzes bei Eschborn. Es wird darauf hingewiesen, daß dieses uralte, jetzt ins Frankfurter Museum übertragene Wegekreuz von der Römerstraße nicht an einem der alten Etappenpunkte lag, die in erster Linie als Haltestellen für den Verkehr und zumal bei einer feierlichen Übertragung der Gebeine des heiligen Bonifatius in Betracht zu ziehen seien. Dieser Einwand mag schon im Hinblick auf die Kürze der angenommenen Wegstrecken Hofheim-Eschborn und dann Eschborn-Crutzigenkloster berechtigt sein. Ein Ochsenkarren - das damals übliche Transportmittel - braucht, dem Lauf der alten Römerstraße (Elisabethenstraße) folgend, höchstens drei bis dreieinhalb Stunden für die ganze Strecke Hofheim-Crutzigenkloster, so daß ein Zwischenhalt nicht sehr wahrscheinlich war.

Die Gruppe der ,Drei Steine', zu welcher jenes Basaltkreuz an der Grenze der Sossenheimer und Eschborner Gemarkung zählte, war übrigens altbekannt. Auch wurden sie schon vor Jahren beschrieben und von einem unserer besten deutschen Künstler und Heimatkenner, von Meister Hanny Franke, dem Maler speziell gerade unseres Niddagaues, im Bild festgehalten und veröffentlicht.

Meines Erachtens bleibt die Frage nach der Bedeutung des Steines vorläufig eine offene. Scheint mancherlei, insbesondere seine ans Keltische erinnernde Form, für ein beträchtliches Alter zu sprechen, so zwingt doch nichts dazu, in ihm eine Bonifatiuserinnerung zu erblicken, am wenigsten die strittige Inschrift. Schon Maler Frankes geschultes Auge glaubte im ersten ihrer drei unregelmäßig gesetzten Buchstaben - die man H B Q gelesen hat und mit Hie Bonifatius Quievit („Hier ruhte B.") erklären möchte - ein B zu erkennen, und es spricht auch mancherlei gegen die vorgeschlagene Lesart. Hat man früher an ein Mord- oder Sühnekreuz gedacht, so bleibt auch die Möglichkeit eines Pestkreuzes offen, und schließlich wäre der ehrwürdige Stein auch als mittelalterliches Hoheitskreuz denkbar, etwa als Marktzeichen eines Lehens oder einer Beneficiumsgrenze."